Auslaufmodell Ehe

Von Uwe Bork |
Ein Produkt mit großer Nachfrage sieht anders aus. Mag es bei den Sonderangeboten bestimmter Discounter auch durchaus Schlangen geben, die sich von deren schmucklosen Ladenlokalen bereits nächstens um ganze Häuserzeilen ziehen, so scheint der Wunsch, in den mehr oder minder heiligen Stand der Ehe zu treten, die Menschen heute keinesfalls mehr in Trauben vor den Standesämtern und Kirchen zu versammeln.
Nach dem neuesten Statistischen Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland stieg beispielsweise das durchschnittliche Heiratsalter der Männer zwischen 1985 und 2004 von 29,8 auf beachtliche 36,2 Jahre. Frauen zögerten im gleichen Zeitraum die Ratifizierung ihres Ehebundes ebenfalls immer weiter hinaus: ihr 'Ja' vor einem Pfarrer oder Standesbeamten flüsterten sie durchschnittlich erst mit exakt 33 Jahren.

Und damit nicht genug. Geheiratet wird offensichtlich nicht nur immer später, geheiratet wird auch immer seltener. Schon sind in den USA, die uns ja nicht nur beim Verzehr kalorienreicher Fleischklopse oder der Verbreitung garantiert geistfreier Fernsehprogramme stets voraus zu sein pflegen, schon sind in den USA erstmals seit Männergedenken mehr Frauen unverheiratet als verehelicht. Nach den neuesten Statistiken lebten im Jahr 2005 über 51 Prozent und damit knapp mehr als die Hälfte aller Amerikanerinnen ohne Ehepartner. 1950 hatte der entsprechende Wert erst bei 35 Prozent gelegen.

Was, so mögen - und sollten – wir Männer uns angesichts dieser Zahlen fragen, was hat uns plötzlich so unattraktiv gemacht, dass wir schon gegen jeden auch nur mittelmäßig vorzeigbaren Schosshund den Kürzeren ziehen? Woher dieser steile Absturz, nachdem wir doch noch hier in Deutschland – und nicht etwa in irgendeinem verkappt fundamentalistischen Schurkenstaat – bis 1957 unangefochten den 'Letztentscheid' in allen Ehe- und Familienfragen besaßen und etwa völlig selbständig den Wohnsitz unserer Familie bestimmen oder über die Berufstätigkeit unserer Ehefrau entscheiden konnten.

Wie weit ist es mit uns gekommen, dass eine Kolumnistin der New York Times unter nennenswertem Nachhall des Publikums bereits fragen kann "Sind Männer nötig?" und dann mit dem Buch gleichen Titels auch noch einen Bestseller landet? Für die Gegenwart, in der wir nicht einmal mehr nötig sind, um im klassischen Kontakt von Mensch zu Mensch Kinder zu zeugen oder durch unsere schiere Großzügigkeit darbenden Nur-Hausfrauen eine auskömmliche Existenz zu sichern, für diese Gegenwart billigt uns jene verbal überaus potente Postulatin der Frauenpower in einer beschämenden Analogie nur noch eine einzige Rolle zu: die eines "schmückenden Beiwerks", ungefähr wie Eiscreme.

Die Ehe scheint diesseits wie jenseits des Atlantiks zu einem Auslaufmodell abgesunken zu sein, zu einem Muster ohne Wert, das mit fragwürdigen Argumenten allenfalls noch ein paar verstaubte Pfarrer anpreisen, die vom wahren Leben ohnehin nichts verstehen. Eine Ehe zu führen, das ist zu einer beliebig wählbaren Möglichkeit unter diversen gleichrangigen Lebensentwürfen geworden, von denen einige noch nicht einmal die Geschlechtsverschiedenheit ihrer Partner voraussetzen.

Doch gemach: Noch ist nicht alles verloren, noch muss, kann und darf die Ehe nicht vollends abgeschrieben werden.

Eine Gesellschaft, die in ihrer Mehrheit in unverbundene Einzelinteressen zu zerfallen droht, droht damit gleichzeitig als Ganzes zu zerfallen, mit kaum absehbaren Konsequenzen. Selbst Verfechter eines nahezu uneingeschränkten Einsatzes von Ellenbogen sollten anerkennen, dass eine auf Zukunft angelegte Gesellschaft sich nicht aus isolierten Individuen zusammensetzen kann, wenn sie Bestand haben und stabil bleiben will. Wir brauchen vielmehr eine Gesellschaft, in der sich Menschen freiwillig und auf Dauer zusammenschließen, möglichst über zwei oder gar drei Generationen hinweg. Dies gilt es zu fördern: von der Politik, von der Wirtschaft, von uns allen.

Es dürfte in diesem Zusammenhang allerdings unsinnig sein, die Vormachtstellung des Mannes wieder herbeizuwünschen: Sie ist endgültig und mit Recht im Orkus überholter Gesellschaftsmodelle verschwunden. Zumindest in unseren Breiten ist sie durch Beziehungsformen ersetzt worden, die der grundsätzlichen Gleichwertigkeit – und nicht etwa Gleichheit! – beider Geschlechter mehr entsprechen.

Ein wenig mehr, als nur 'schmückendes Beiwerk' zu sein, wünschen wir uns als abgedankte Patriarchen natürlich dennoch, und wir arbeiten auch daran. Allzu viel Eiscreme hat schließlich schon so manchen Magen verdorben...


Uwe Bork, Journalist, geboren 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Universität Göttingen Sozialwissenschaften. Nach dem Studium arbeitete Bork zunächst als freier Journalist für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und ARD-Anstalten. Seit 1998 leitet er die Fernsehredaktion "Religion, Kirche und Gesellschaft" des Südwestrundfunks in Stuttgart. Für seine Arbeiten wurde er unter anderem mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zweimal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet. Bork ist außerdem Autor mehrerer Bücher.
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