Auslandsberichterstattung

"Illusion des Bescheidwissens"

05:55 Minuten
Die erste Pressekonferenz der Taliban in Kabul
Bei der ersten Pressekonferenz der Taliban in Kabul waren vor allem einheimische Journalisten vertreten. Viele von ihnen arbeiten für ausländische Medien. © Imago / Xinhua
Charlotte Wiedemann im Gespräch mit Ute Welty  · 19.08.2021
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In der Berichterstattung über Afghanistan zeige sich, wie stark der Auslandsjournalismus finanziell und personell ausgetrocknet sei, kritisiert die Journalistin Charlotte Wiedemann. Die Grenzen des eigenen Wissens würden nicht ausreichend reflektiert.
In der Afghanistan-Berichterstattung zeige sich eine "Illusion des Bescheidwissens", kritisiert die Journalistin Charlotte Wiedemann. "Und zwar gerade über komplexe außereuropäische Gesellschaften." In Afghanistan seien derzeit nur sehr wenige ausländische Journalisten vor Ort, um aus eigener Anschauung über die Geschehnisse zu berichten.
"Eine Zeit lang ist ja Kundus ausgesprochen worden, als sei das ein Vorort von Wanne-Eickel", sagt Wiedemann, die selbst viel aus Krisenregionen berichtet, sich aber auch seit Jahren in kritischen Reflexionen mit der Auslandsberichterstattung auseinandersetzt.
Die Grenzen des eigenen Wissens würden oft gar nicht mehr bemerkt, rügt sie. Das gelte auch für die Abgeordneten, die im Deutschen Bundestag die politischen Entscheidungen über Militäreinsätze treffen.

Medien als Opfer und Täter

Wenn man sich anschaue, wie Auslandsjournalismus heute betrieben werde, so seien die Medien zugleich Opfer und Täter. Der Auslandsjournalismus werde finanziell und personell ausgetrocknet zugunsten von "Billigberichterstattung", so Wiedemann.
Zugleich werde alles so präsentiert, als sei es schnell verstehbar. "Es gibt so eine Art Pseudoverstehbarkeit von allem." Kaum jemand wage es noch zu sagen: "Das wissen wir nicht, ich verstehe das selber nicht." Die Begrenztheit des Wissens werde auch von den Medien nicht mehr klar gemacht, sagt die Journalistin. "Das finde ich sehr bedauerlich."

Gerade gegenüber islamischen und außereuropäischen Ländern werde eine Haltung geprägt, als seien sie feindselig oder müssten dankbar sein. Beides spiele auch in Afghanistan eine Rolle, so Wiedemann.

Vor der Einnahme Kabuls durch die Taliban haben sich deutsche Medienhäuser in einem Offenen Brief an die Bundesregierung gewandt. Darin fordern sie Hilfe für ihre einheimischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Afghanistan. Die Berichterstattung, die die deutsche Öffentlichkeit und Politik mit Analysen, Erkenntnissen und Eindrücken aus dem Land versorgt habe, sei nicht denkbar ohne den Einsatz und den Mut der afghanischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewesen, die vor Ort unterstützten, heißt es in dem Appell.
Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen sagte in unserem Programm, die Bundesregierung habe die Lage für die Journalisten vor Ort seit Jahren falsch eingeschätzt.

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