Ausgrabungsfunde für die NS-Propaganda

Von Franziska Rattei · 09.03.2013
Eine Ausstellung im Bremer Focke-Museum zeigt, wie eng Archäologie und Politik im Dritten Reich verzahnt waren. Ausgrabungsfunde, so lernt der Besucher, wurden für die mediale Propaganda benutzt und verankerten das ideologisch gefärbte Germanienbild im gesellschaftlichen Bewusstsein.
Karin Walter: "Letztes Jahr hat eine Brauerei in Mannheim, die Eichbaum-Brauerei, ein Bier des Jahres kreiert, das heißt "Der goldene Germane". Und wenn man sich das Etikett auf der Flasche anschaut und dann gesehen hat, wie in der Zeit des Nationalsozialismus eine Werbung für ein "Germanen-Bier" gab, erschreckt es einen doch."

Karin Walter, Kuratorin der neuen Sonderausstellung im Bremer Focke-Museum. Ihr Blick richtet sich auf eine Bierflasche mit Bügelverschluss. Darauf zu sehen: ein rot-blonder Germane mit Wikinger-Helm. "Der Mythos lebt weiter" heißt dieser Teil der Ausstellung, weil der Germanen-Kult auch heute noch benutzt wird, um etwa Produkte zu bewerben. Diese Idee ist nicht neu. Ganz am anderen Ende der Ausstellung liegen kleine Sammel-Bildchen der Mainzer Chemie-Firma "Erdal" in einem Schaukasten. Auf einem zu sehen:

Karin Walter: "Die typische Familie. Natürlich: die Mutter blond, der Vater ein Kopf größer, kräftig. Und natürlich ein nettes, blondes Mädchen dazu. Dieses Bild von der Familie prägt natürlich auch das Bild der Familie, so eine Idealvorstellung."

Die Bildchen sind mehr als 80 Jahren alt und sollten potentielle Kunden damals für eine neuartige Schuhcreme begeistern. Um die Sammelwut noch zu steigern, gab es passende Alben.

Dirk Mahsarski: "Auch die kriegt man noch, komplett beklebt, problemlos, für zehn bis zwölf Euro."

Erklärt Dirk Mahsarski, Leiter der Projektes "Vorgeschichtsforschung in Bremen unterm Hakenkreuz".

"Die Germanen hat es nie gegeben"
Dirk Mahsarski: "Das Problem ist, dass es die Germanen nie gegeben hat. Dass "die Germanen" eine Außenbezeichnung ist, die die Römer erfinden, um zu sagen: jenseits unserer Grenze leben bestimmte Völker, und es gibt einen bestimmten Grund, warum wir die Grenzen so ziehen, wie sie sind. Es gibt niemanden, der sich als ‚Germanen‘ bezeichnet."

Und trotzdem - oder gerade deshalb - eignete sich die Geschichte um die Germanen hervorragend, um einen Kult zu kreieren, so Mahsarski. Was einst der Römer Tacitus aufschrieb, benutzten Kultur und Wissenschaft ab dem 19. Jahrhundert für ihre Zwecke.

Kinder und Jugendliche lasen Germanen-Sagen, Richard Wagner schrieb seine Oper "Die Walküre". Und schon damals, also vor mehr als 100 Jahren, waren klare rassistische Unterklänge auszumachen, sagt Karin Walter, die Ausstellungskuratorin.

Karin Walter: "Da sind die Gebrüder Lindenschmitt, die 1848 in der Nähe von Mainz, in Selzen, gegraben haben, da unter anderem Schädel gefunden haben und aus den Funden geschlossen haben, dass das Germanen gewesen sein müssen. Etwas, was ja dann, zur Zeit des Nationalsozialismus, weitergetrieben worden ist."

Nicht alle Wissenschaftler der Zeit unterstützten das rassistische Germanenbild. Der Arzt Rudolf Virchow zum Beispiel übte klar Kritik; ebenso der Anthropologe Johann-Friedrich Blumenbach. Doch im "wissenschaftlichen Mainstream" setzte sich der Germanen-Mythos durch. Mitnichten wurde Wissenschaftlern etwas aufgedrückt. Sie trugen vielmehr dazu bei, das Germanen-Bild maßgeblich zu formen; allen voran die Archäologen, deren Fach zur NS-Zeit regelrecht aufblühte.

Auch Nicht-Akademiker wurden von Archäologen unterrichtet
Dirk Mahsarski: "Das Fach 'prähistorische Archäologie' boomt. Es wächst deutlich antizyklisch, und das mit Geldern, die eben an weniger ideologisch wertvollen Stellen eingespart werden. Oder es werden dann Mittel von entlassenen jüdischen Professoren umgewidmet und ähnliches."

Auch Nicht-Akademiker wurden von Archäologen unterrichtet, zum Beispiel mit Aufsätzen in populärwissenschaftlichen Zeitschriften oder mit Ausstellungen, die Repliken von angeblichen Germanen-Funden zeigten. Das Focke-Museum war direkt involviert, denn der frühere Leiter, Ernst Grohne, engagierte sich sehr für die Archäologie; ganz im Sinne der NSDAP.

Karin Walter: "Er ist auch nach ‘45 Museumsleiter gewesen. Man kann‘s einfach nur offenlegen, indem man sagt: so ist es. Also, so ein endgültiges Urteil ist, finde ich, auch sehr schwer zu fällen. Man muss es ja auch immer in seiner Zeit zeigen."

Dass Grohne die Nazi-Zeit genutzt hat, um seine Forschungen voranzutreiben, scheint inzwischen erwiesen. Allerdings sorgte er auch dafür, dass die Exponate des Focke-Museums nach Kriegsausbruch ausgelagert und somit erhalten wurden. Ein schwieriges und zweischneidiges Kapitel Archäologie-Geschichte; weshalb sich auch heute noch viele Wissenschaftler des Faches scheuen, es zu bearbeiten.

Die Auseinandersetzung ums "Graben für Germanien" begann vor etwa zehn Jahren. Die Bremer Ausstellung und das dazugehörige Forschungsprojekt präsentieren fundierte Ergebnisse. Aber abgeschlossen ist das Projekt "Archäologie unterm Hakenkreuz" noch lange nicht.

Deutschlandradio Kultur ist Medienpartner der Ausstellung

Die Ausstellung "Graben für Germanien. Archäologie unterm Hakenkreuz" läuft bis 8. September 2013. Empfehlung der Kuratorin: Für Besucher ab Klasse 10.

Der sehr ausführliche Katalog beschäftigt sich nicht nur mit der Ausstellung. Die darin enthaltenen Aufsätze gehen darüber hinaus und in die Tiefe. Kann man auch lesen, ohne in der Ausstellung gewesen zu sein.

"Graben für Germanien - Archäologie unterm Hakenkreuz", erschienen im Konrad Theiss Verlag in Stuttgart. ISBN 978-3-8062-2673-7. Preis: 29,95/24,95 Euro für die Museumsausgabe



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