Ausgestellte Intimität

Von Ulrike Gondorf |
Ganz persönliche Angelegenheiten sind im Museum Morsbroich in Leverkusen in aller Öffentlichkeit zu besichtigen. Die Ausstellung beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Privatsphäre und Öffentlichkeit und zeigt 22 Positionen internationaler Künstler, die in den Blick rücken, was sonst den Blicken entzogen ist.
"Die eigentliche Sensation ist, dass in den letzten Jahren plötzlich Intimität wieder eine ganz wichtige Rolle spielt."

Dr. Markus Heinzelmann nimmt sich bei seiner ersten Ausstellung als neuer Museumsdirektor im Schloss Morsbroich ein ganz aktuelles Thema der Gegenwartskunst vor. Und dazu eines mit provozierender Brisanz.

"Wenn wir Intimität hören, dann haben wir ja immer, ob wir wollen oder nicht, eine Art voyeuristischen Reflex bei uns."

Dieser Reflex scheint sich immer stärker auszuprägen. Ob man nun die Titelbilder und Schlagzeilen am Zeitungskiosk vor Augen hat oder die Selbstentblößung aufmerksamkeitshungriger Gesprächsgäste in kommerziellen Fernsehprogrammen: die Gier nach intimen Details aus dem Leben fremder Menschen war nie größer. Und die immer weiter verschwindende Grenze zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit wird zunehmend ein Thema in der Kunst. Nachdem rund 20 Jahre lang ein kühles, objektives, mit Anleihen und Zitaten jonglierendes Spiel die Trends der so genannten Postmoderne gesetzt hat, rückt das Individuum, sein Körper, seine Sexualität, aber auch seine ganz private Biographie mit allen Problemen, Erinnerungen und Geheimnissen seines Lebens wieder in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, meint Markus Heinzelmann.

"Eine Ausstellung über Intimität ist eigentlich ein Widerspruch in sich, weil dieses Geheimnis ja verraten werden müsste. Das spannende an dieser Ausstellung ist, wie die Künstler sehr private Dinge berichten, aber das Geheimnis nicht brechen."

Nackte Haut ist zu sehen auf den Fotos von Wolfgang Tillmanns, aber aus so großer Nähe fotografiert, dass sie wirkt wie ein abstraktes Gemälde. Aber auch Tabuverletzung ist ein Mittel, das die Künstler einsetzen. Tracy Emin etwa, die offensiv die Grenzen der Diskretion und des Geschmacks verletzt. "All the love I made" nennt sie eine Truhe mit getragener Unterwäsche. Körper und Sexualität sind aber gar nicht das dominierende Thema der Ausstellung. Die 22 internationalen Künstler zeigen die unterschiedlichsten Facetten der Intimität. Die meisten Arbeiten stammen aus den letzten fünf Jahren. Die Künstler sind fast alle zwischen 30 und 40. Es sind prominente Namen darunter wie die Fotografin Nan Goldin und der bereits verstorbene Felix Gonzalez-Torres, andere, die man mit ihren Arbeiten in Morsbroich erst näher kennen lernen kann.

"Beim Thema Intimität spielt das Fotografische als Dokument, aber natürlich auch der Film eine sehr, sehr große Rolle, weil er eigentlich verspricht authentisch zu sein, deshalb haben wir viele Medieninstallationen, viele Fotografien, aber auch 16-mm-Filme in dieser Ausstellung."

Nan Goldin beispielsweise zeigt eine Video-Installation, in der auf drei Bildschirmen Aufnahmen aus ihrer Familie erscheinen, harmlos und banal auf den ersten Blick, aber unter der Oberfläche der schnell wechselnden bunten Bilder versteckt die Künstlerin eine tragische Geschichte: den Selbstmord ihrer 18-jährigen Schwester.

"Eine sehr mitnehmende Arbeit über einen Familienkonflikt und über persönliche Schicksale."

Selbstreflexion ist ein ganz wichtiges Thema und findet ganz verschiedene Ausdrucksformen: Der Schweizer Costa Vece rekonstruiert die mit Bildern, Souvenirs und Alltagsgegenständen vollgestopften Regale, in denen im Haushalt seiner Mutter eine längst zersprengte Familie ein geisterhaftes Nachleben führt. Einen besonders faszinierenden Raum entwirft Michael Schrattenthaler. Er baut sein Kinderzimmer nach, ganz in weißem Styroporschaum wirkt es wie mit einer dicken Eisschicht überzogen.

"Das Tolle an diesem Raum ist, dadurch dass er weiß in weiß gestaltet ist, man den Eindruck hat, dass er völlig vernebelt ist, das Auge findet keinen Halt und irrt durch den Raum und man verliert langsam seine Orientierung."

Nicht nur von sich selbst erzählen die Künstler in dieser Ausstellung, auch die sehr persönlichen Angelegenheiten anderer Menschen werden reflektiert. Und spätestens hier wird Intimität auch zu einem politischen Thema. Ein polnischer Künstler dokumentiert, wie sich ein Überlebender von Auschwitz seine in Jahrzehnten verblasste Häftlingsnummer noch einmal auf den Arm tätowieren lässt, um sich dem Vergessen entgegenzustemmen. Die Amerikanerin Andrea Bowers zeigt in Bild und Ton die Briefe verzweifelter Frauen, die in den 70er Jahren in Kalifornien um eine Abtreibung kämpfen – eine Frage, die im gegenwärtigen innenpolitischen Klima in den USA keinesfalls erledigt ist.

Mit dieser kontrastreichen Ausstellung ist Markus Heinzelmann sein Einstand in Leverkusen gelungen. Er versammelt interessante Objekte und präsentiert sie in einem vitalen Spannungsverhältnis zum Ausstellungsort: das spätbarocke Gartenschloss Morsbroich bietet einen extremen Gegensatz zur aktuellen Kunst, andererseits strahlt es bis heute die Intimität eines privaten, quasi bewohnten Raumes aus und bietet kleine, individuelle Räume, die die Künstler ganz für sich und ihre Objekte gestalten konnten. Viele Arbeiten sind denn auch speziell für diese Schau entstanden oder von den Künstlern selbst vor Ort eingerichtet worden. Von diesen besonderen Gegebenheiten des Orts will sich Markus Heinzelmann auch bei seinen zukünftigen Planungen vor allem leiten lassen.

"Deshalb möchte ich solche Ausstellungen hier zeigen, die man aufgrund der Besonderheit Architektur und der Kunst nur hier sehen kann und an keinem anderen Ort."