Ausgedient? Die Zukunft der Bundeswehr

25.09.2010
Kleiner, schlagkräftiger, billiger: Mit seiner Bundeswehrreform schafft Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg Fakten, die niemand in der Schnelle und Konsequenz erwartet hätte.
Nicht nur, dass er die Aussetzung der Wehrpflicht plant, die Truppe von rund 250.000 auf 163.500 reduzieren und den Wehrdienst auf sechs Monate verkürzen will. Er streicht auch die Musterung – und gibt damit mehr oder minder den Weg frei für eine Berufsarmee.

Wie sieht also die Bundeswehr der Zukunft aus?
Welche Chancen, welche Risiken birgt die Reform?
Was bedeutet sie für die Soldaten, aber auch für die Gesellschaft?

"Ich habe viele Offiziere, auch Generäle kennengelernt, die gesagt haben: Ohne Wehrpflicht wäre ich nicht zur Bundeswehr gekommen", "

sagt der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr Harald Kujat. Für ihn ist die Wehrpflicht ein "großes Gut, das wir über viele Jahre geschaffen haben". Sie sorge für eine ausgewogenere Mischung, als es die Berufsarmee ermögliche. Viele Abiturienten, die sich nie freiwillig zur Bundeswehr gemeldet hätten, seien nach der Pflichtzeit geblieben. Außerdem seien die Wehrpflichtigen eine "Art demokratischer Kontrolle innerhalb der Streitkräfte".

Er sieht die geplante Reform mit Skepsis:

" "Wenn ich die Bundeswehr und 50- bis 70.000 Rekruten verringere, muss ich Kasernen schließen. Schon jetzt können viele Kasernen nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden. Dafür müsste man 1200 bis 1600 Soldaten pro Kaserne haben. Das heißt 120 bis 150 Kasernen werden schließen müssen. Und das bedeutet 1,5 Milliarden Euro an Einnahmen, die den Kommunen verloren gehen."

Wenn man dies einrechne, merke man schnell, dass die geplanten acht Milliarden Euro Einsparungen illusorisch seien.

Harald Kujat mahnt eine öffentliche Diskussion über die zukünftige Rolle der Bundeswehr an:

"Wir sind zum ersten Mal in unserer Geschichte nicht unmittelbar bedroht und nur von Freunden umgeben. Aber andere Staaten, die mit uns verbündet sind, sehen dies durchaus anders. Polen zum Beispiel oder die baltischen Staaten, sie legen großen Wert auf Landesverteidigung."

Es werde neue Kriege geben, zum Beispiel um Wasser.

"Dazu die Kriegszone rund um Afghanistan: Pakistan, Indien, Irak, Iran, Israel – das ist ein Kriegsgebiet ohne Gleichen."

Deutschland sei im Bündnisfall mit gefordert.

"Die Wehrpflicht ist eine Institution für Nostalgiker", "

sagt dagegen Prof. Dr. Herfried Münkler von der Humboldt-Universität zu Berlin. Der Professor für politische Theorie beschäftigt sich seit Langem mit der Geschichte der Kriege sowie dem Verhältnis von Armee und Gesellschaft. Nicht wenige seiner Bücher sind mittlerweile Standardwerke, so etwa "Machiavelli" (1982) und "Gewalt und Ordnung" (1992) oder "Die neuen Kriege" (2002).

Die Krisen und Kriege von heute erforderten eine andere spezialisiertere Armee.

" "Ich glaube, dass der Soldat der Zukunft multifunktionaler sein wird, er muss mehr können, es werden höhere intellektuelle Kompetenzen abverlangt."

Der "Staatsbürger in Uniform", so Münkler, werden mythisiert, wertvolle Ressourcen vergeudet. Es könne nicht sein, dass Männer in ihren produktivsten Jahren "ein Jahr herumgammeln".

Deshalb sei es Zeit für eine Reform – ohne Wehrpflicht.

"Frühere Anläufe zur Aufhebung der Wehrpflicht wurden mit Hilfsargumenten zurückgewiesen, unter anderen dem, dass die Bundeswehr dann keinen Querschnitt der Bevölkerung mehr repräsentiere. Inzwischen ist der Hinweis auf den Zivildienst, der dann auch wegfallen würde, die letzte Stütze des Wehrdienstes. Aber dann müsste man auch sagen, dass die eigentliche Bedrohung der gesellschaftlichen Ordnung nicht mehr von äußeren Feinden ausgehe, sondern von der wachsenden Überalterung im Innern. Das würde freilich ein soziales Jahr, aber keine Wehrpflicht rechtfertigen."

Die Bundeswehr werde sich in Zukunft, wie jedes andere Unternehmen auch, ihre Angehörigen auf dem freien Markt suchen müssen.

"Der Eingriff in die freie Selbstbestimmung, den die Wehrpflicht darstellt, wird wegfallen - früher oder später, hoffentlich nach einer sorgfältig geplanten Umstellungsphase und nicht, weil gar kein Geld mehr da ist."

"Ausgedient? Die Zukunft der Bundeswehr" - Darüber diskutiert Dieter Kassel heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr gemeinsam mit General a.D. Harald Kujat und dem Politologen Herfried Münkler. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800 / 2254 2254 oder per E-Mail gespraech@dradio.de.

Informationen im Internet:
Über Prof. Dr. Herfried Münkler
Über Harald Kujat
Zu der geplanten Bundeswehrreform