Ausgeburt einer zynischen Ideologie

Von Eva-Maria Götz · 15.08.2006
In den neun Jahren ihres Bestehens betrieb die SS-Organisation "Lebensborn" 9 Mutter-Kind-Heime in Deutschland und 15 Heime im von Deutschen besetzten Ausland. Das erste Haus wurde am 15. August 1936 in dem Dorf Steinhöring bei München eröffnet. In den Heimen sollte der deutsche Nachwuchs nach den Maßstäben der krankhaften NS-Rassenideologie gezeugt werden.
Die Kalkulation war kalt und zynisch: Da der geplante Krieg unzähligen Menschen das Leben kosten würde, musste bereits im Vorfeld Einfluss auf das Bevölkerungswachstum genommen werden. Und da die NS-Führung in ihrer krankhaften Rassenideologie lediglich Interesse an der Vermehrung so genannter Arier hatte, die ihrer Vorstellung des "Nordischen Typus" - groß, blond, blauäugig - entsprachen, wurden bereits 1935 zwei gesellschaftspolitische Steuerungsmechanismen in Kraft gesetzt: zum einen die "Nürnberger Gesetze", die Juden, Sinti und Roma neben anderen Diskriminierungen die Heirat mit Ariern untersagten. Zum anderen die Organisation "Lebensborn", die die Fortpflanzung und Vermehrung eben dieser Arier zur Staatssache machte. SS-Reichsführer Heinrich Himmler:

"Ein Volk steht und fällt damit, ob es genügend nordisches, gutes Blut gibt, ob dieses gute Blut gepflegt wird und sich weiter vermehrt oder ob es zu Grabe steigt."

Die möglichst kinderreiche, linientreue Familie stand im Mittelpunkt der nationalsozialistischen Aufmerksamkeit und wurde mit Vergünstigungen, Darlehen und Lobpreisungen gepäppelt. Doch auch unverheiratete Frauen gerieten ins Visier der staatlich gelenkten Familienplanung: um sie zur Schwangerschaft zu animieren und vor allem um eventuelle Abtreibungen zu verhindern, wurde für sie die Möglichkeit geschaffen, in speziellen Heimen anonym zu entbinden und ihre Kinder dort für die erste Zeit nach der Geburt versorgen zu lassen.

"Der Sinn des Lebensborn ist es:
Erstens: Rassisch und erbbiologisch wertvolle Familien zu unterstützen
Zweitens: Rassisch und erbbiologisch wertvolle werdende Mütter unterzubringen und zu betreuen, bei denen nach sorgsamer Prüfung der eigenen Familie und der Familie des Erzeugers durch das Rasse- und Siedlungshauptamtes SS anzunehmen ist, dass gleich wertvolle Kinder zur Welt kommen."

Zukünftige Mütter, die den Zuchtkriterien der SS entsprachen, fanden in den Lebensborn-Heimen eine Rundumbetreuung. Ein eigenes Standes- und Meldeamt garantierte die Geheimhaltung der Geburt. Da die insgesamt neun deutschen Heime streng von der Öffentlichkeit abgeschirmt waren, entstanden Gerüchte über rauschende Sex-Orgien blonder Menschen mit Paarungszwang, der Haut-Gout der Schlüpfrigkeit und Pornografie umweht die Organisation bis heute. Die Autorin Gisela Heidenreich, selbst in einem Lebensborn-Heim geboren:

"Der Lebensborn gibt bis heute Anlass zu Spekulationen, das seien Luxusbordelle für SS- Offiziere gewesen. So war es nicht, aber das ist eine Legende, die sich bis zum heutigen Tag hält."

In ihrem Buch "Das endlose Jahr" schildert Heidenreich die mühsame Suche nach ihrer Herkunft und die ohnmächtige Wut über das hartnäckige Schweigen ihrer Mutter nach dem Krieg - kein Einzelschicksal unter den Lebensbornkindern:

"Das war immer so ein Gefühl, mit mir stimmt etwas nicht, ein frühes Kindheitstrauma, undeutliche Erinnerungen. Aber meine Mutter sagte immer nur: "Das bildest du dir ein"."

Heidenreichs Mutter war die Geliebte eines hochrangigen, verheirateten SS-Mannes und Mitarbeiterin im "Lebensborn" gewesen, was sie bis ins hohe Alter leugnete. Ihre Tochter brachte sie weit entfernt von ihrer kleinbürgerlichen, bayerischen Familie in Norwegen zur Welt. Dort betrieb die SS nach dem Einmarsch der Deutschen ab 1942 insgesamt zehn Heime, in denen rund 6000 Kinder meist norwegischer Mütter und deutscher Väter geboren wurden. Kinder, die nach Kriegsende massiven Diskriminierungen ausgesetzt waren. Auch in Deutschland wurden die rund 18.000 nicht getauften, dafür mit einem silbernen Dolch der SS geweihten Lebensborn- Kinder mit den auffallenden Geburtsscheinen und der geheimnisumwitterten Herkunft häufig ausgegrenzt und schikaniert. Die Mitarbeiter des "Lebensborn" wurden bei den Nürnberger Prozessen als einzige SS- Mitglieder freigesprochen. Es war ihnen gelungen, die Akten zu vernichten und die Organisation als unpolitische Wohlfahrtseinrichtung zu präsentieren. Dass der "Lebensborn" überdies an der Verschleppung und Zwangsadoption von zirka 250 Kindern aus osteuropäischen Ländern beteiligt war, wurde erst Jahrzehnte später bekannt.