Ausgebeutet, gequält, erniedrigt

Von Antje Diekhans · 07.02.2013
Mehr als 100.000 Frauen reisen jedes Jahr von Äthiopien in die arabischen Länder aus, um als Hausmädchen zu arbeiten. Doch viele von ihnen erwartet ein Albtraum aus Gewalt, Ausbeutung und sexuellen Übergriffen. Ein Bericht aus Addis Abeba.
Am Flughafen in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba sind jeden Abend Dutzende von ihnen zu sehen. Junge Frauen, manche fast noch Kinder, die mit großen ängstlichen Augen durch die Halle irren. Sie suchen den Abflugschalter für Maschinen auf die Arabische Halbinsel. Dort soll ihr neues Leben beginnen. Ein Leben mit einer guten Arbeit und einem guten Gehalt, von dem sie ihre Familien in Äthiopien unterstützen können.

Auch Alemshay Temsgen stieg hier vor zwei Jahren mit klopfendem Herzen in ein Flugzeug nach Dubai. Sie war aufgeregt, aber gleichzeitig glücklich. Ein Arbeitsvermittler hatte ihr eine Stelle als Hausmädchen versprochen.

"Ich hatte schon von vielen anderen Mädchen gehört, die dort hingegangen waren. Keine sprach von Schwierigkeiten. Ich habe gehofft, dass sich mein Leben verbessern würde."

Doch es erwartete sie ein Alptraum. Bis heute hat sich Alemshay nicht von dem erholt, was in Dubai geschah. Fast hätte sie es nicht überlebt.

Wie die meisten jungen Frauen, die den Sprung wagen, spricht die damals knapp 20-Jährige kein Englisch oder Arabisch. Als sie in Dubai ankommt, muss sie sich mit Händen und Füßen verständigen. Der Vermittler bringt sie zu einer Familie, bei der sie leben und arbeiten soll. Schnell wird Alemshay klar, dass sie hier nicht als Hausmädchen, sondern als eine Art moderne Sklavin angesehen wird.

"Mein Arbeitgeber hatte die Familie, bei der ich gewohnt habe. Und dann noch eine Zweitfrau. Tagsüber musste ich mich um den einen Haushalt kümmern, abends um den anderen. Ich habe quasi rund um die Uhr gearbeitet."

Doch der Mann im Haus stellt nicht das größte Problem für Alemshay dar. Ihre "Herrin", wie sie sie nennt, ist unberechenbar.

"Ich habe mir große Mühe bei der Arbeit gegeben, obwohl ich mich vor lauter Müdigkeit manchmal fühlte, als ob ich schlafwandle. Wenn ihr etwas nicht passte, hat die Herrin mich geschlagen. Einmal sollte ich eins der Kinder baden. Aus Versehen habe ich kaltes statt warmes Wasser angestellt. Das Kind hat geschrien. Als die Herrin das gehört hat, kam sie und hat mich mit eisigem Wasser übergossen. Dann gab es Schläge. So ähnlich war es jeden Tag."

Es dauert nur rund vier Wochen, bis die Situation eskaliert. Alemshay soll Fenster putzen. Die Familie lebt in einem Hochhaus im vierten Stock.

"Die Herrin hatte mich schon häufiger mit einem Messer bedroht. Als ich die Fenster putzte, rief sie mich, aber ich habe sie nicht gehört. Sie war wütend und kam wieder mit dem Messer. Ich hatte große Angst. Was genau dann geschah, weiß ich nicht. Sie muss mich wohl gestoßen haben."

Alemshay fällt aus dem Fenster. Ein Sturz, der leicht tödlich sein kann. Die junge Frau überlebt schwerverletzt.

"Meine Knöchel waren beide gebrochen. Viele Rippen. Auch die Arme. Ich kann bis heute nicht richtig gehen oder mich hinunterbeugen. Es schmerzt noch immer."

Fünf Monate liegt Alemshay in einem Krankenhaus in Dubai, bevor der Vermittler sie zurück nach Addis Abeba schickt. Die Knochen an ihrem rechten Fußgelenk sind nicht richtig zusammengewachsen. Der Fuß steht schief. Die junge Frau hat rote wulstige Narben am ganzen Körper. Immerhin: Langsam kann sie die Erlebnisse seelisch verarbeiten.

"Ich hatte sonst jede Nacht Alpträume. Aber das passiert nicht mehr so oft – es wird besser."

Alemshays Geschichte ist längst kein Einzelfall. Sie hat es wenigstens noch zurück geschafft. Einige Mädchen verschwinden einfach. Die Vermittler nehmen ihnen die Papiere ab. Wie eine Handelsware werden die jungen Frauen von einem Haushalt zum nächsten weitergereicht. Sie verdienen kaum etwas. Manche bekommen umgerechnet immerhin 100 Euro im Monat. Einige aber auch gar nichts.

Obwohl auch in Äthiopien zumindest einige dieser Schicksale bekannt werden, gibt es weiter einen wahren Exodus in die arabischen Länder. George Okutho ist der Leiter der "Internationalen Arbeitsorganisation", einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen, in Addis Abeba.

"Die Zahlen, die wir vom Arbeitsministerium bekommen haben, zeigen, dass 1000 bis 1200 Anträge eingehen. Jeden Tag. Die meisten wollen nach Saudi-Arabien, in den Libanon, nach Jordanien oder auch in den Jemen."

Offiziell reisen jedes Jahr mehr als 100.000 Frauen von Äthiopien in die arabischen Länder aus, um als Hausmädchen zu arbeiten. Die Dunkelziffer dürfte noch viel höher liegen. Es gibt einige staatlich anerkannte Vermittler, aber vor allem viele private Agenturen, die gutes Geld damit machen, dass sie den jungen Frauen eine leichte Arbeit mit Top-Verdienst versprechen.

"Wenn sie ankommen, wartet aber ein ganz anderer Job auf sie. Manche werden sexuell ausgebeutet, zur Prostitution gezwungen. Sie werden misshandelt und in Häusern untergebracht, wo sie unter sehr schlechten Bedingungen leben müssen."

Manche haben aus lauter Verzweiflung schon Selbstmord begangen. Die Frauen, die auswandern, haben oft nicht mal die Schule abgeschlossen. Sie kommen aus den Dörfern in Äthiopien, wo viele Menschen noch immer unter der Armutsgrenze leben. Sie sehen keine andere Chance, etwas aus ihrem Leben zu machen.

""Die meisten, die als Hausmädchen arbeiten wollen, sind noch sehr jung. Sie leben auf dem Land, haben keine Ausbildung. Für den Job, den sie machen sollen, fehlen ihnen die Kenntnisse."

Sie haben noch nie einen Geschirrspüler bedient oder ein Bügeleisen in der Hand gehalten. Viele hatten in den Hütten, in denen sie aufgewachsen sind, noch nicht mal Strom. Im hochmodernen Dubai anzukommen, ist für sie mehr als ein Kulturschock.

"Sie haben solche Haushaltsgeräte noch nie gesehen. Wie sollen sie die also bedienen? Wir wollen die jungen Frauen darum besser vorbereiten. Sie sollen wissen, was auf sie zukommt und was eine Stelle als Haushaltshilfe alles erfordert."

Die internationale Arbeitsorganisation führt Trainingsprogramme durch. Dafür hat sie von der Europäischen Union zwei Millionen Euro bekommen. Die Seminare finden in den Dörfern statt.

"Wir müssen die Frauen dort abholen, wo sie herkommen. Wir klären sie darüber auf, was sie erwartet. Dann können sie eine Entscheidung treffen und sehen, in welches Land sie gehen wollen."

Ein anderer Schwerpunkt der Arbeit ist, Rückkehrerinnen zu helfen. Viele trauen sich nicht, wieder Kontakt mit ihren Familien aufzunehmen. Sie fühlen sich gescheitert und schämen sich, weil sie nicht wie versprochen viel Geld mitbringen. Für sie gibt es in Addis Abeba ein Zentrum, das von der Arbeitsorganisation unterstützt wird.

In einem Seminarraum sitzen rund zwanzig junge Frauen zusammen. Alle haben mal als Hausmädchen in den arabischen Ländern gearbeitet, haben mehr oder minder schlechte Erfahrungen gemacht. AGAR, so heißt das Zentrum, nimmt die Frauen auf. Viele sind traumatisiert, wenn sie zurückkommen, sagt Leiterin Sasu Nina.

"Wir arbeiten mit dem Flughafen zusammen. Wenn die Frauen ankommen und deutlich wird, dass niemand sie abholen wird, rufen die Flughafen-Mitarbeiter uns an. Wir bringen sie dann erst mal in ein psychiatrisches Krankenhaus, wo sie untersucht werden. Dann holen wir sie hierher und behandeln weiter ihre seelischen und körperlichen Probleme."

Es gibt Schlafräume für die Frauen mit Etagenbetten. Mehrere Dutzend sind hier untergebracht. Die Jüngste im Zentrum war gerade mal 14 Jahre alt. Mit falschen Papieren war sie ausgereist und kam nach einigen Monaten zurück.

"Sie war in einem Haus eingesperrt gewesen. Sie hatte viele blaue Flecken. Ich denke, dass sie geschlagen wurde. Wir konnten ihren Bruder ausfindig machen, der sie abgeholt hat. Sie ist nicht lange bei uns geblieben."

Manchmal haben die Arbeitsvermittler ein Einsehen und schicken die Frauen oder Mädchen wieder zurück. Doch das sind Ausnahmefälle. Meist bleibt den jungen Äthiopierinnen keine andere Möglichkeit, als ihren Arbeitgebern wegzulaufen. Ohne Papiere können sie in den arabischen Ländern aber keinen anderen Job finden. Die einzige Verdienstmöglichkeit für sie ist dann die Prostitution, sagt Sasu Nina.

"Sie müssen irgendetwas arbeiten. Also verkaufen sie sich in Bordellen oder auf der Straße."

Eine Rückkehr wird immer schwieriger. Die Frauen geben sich zum Teil selbst die Schuld an dem, was geschehen ist. Sie wollen ihren Familien nicht mehr unter die Augen treten.

Auch Vergewaltigung ist in Äthiopien ein Tabu-Thema. Viele der Hausmädchen werden sexuell missbraucht, vermutet Sasu Nina. Aber darüber spricht kaum jemand offen.

Azeb Hassan wirkt auf den ersten Blick wie eine selbstbewusste junge Frau. Zum Unterricht bei AGAR ist sie in einem engen grünen Anzug mit einer Lederjacke darüber gekommen. Ihre lockigen Haare sind blond gefärbt. Aber wenn die 26-Jährige von ihren Erfahrungen berichtet, bröckelt die Fassade schnell und es zeigt sich eine zutiefst verstörte Frau. Azeb hat in Kuwait gearbeitet.

"Ich war dort illegal. Eine private Agentur hat mich vermittelt. Ich kam in eine Familie mit acht Kindern. Es war noch ein anderes Hausmädchen da, auch aus Äthiopien. Unsere Chefin war anfangs sehr nett. Aber dann hat sie sich komplett gedreht. Wir mussten 20 Stunden am Stück arbeiten. Sie wollte nicht, dass wir etwas essen."

Azeb und die andere Hausangestellte mussten im Mülleimer nach Essbarem suchen. Bezahlt wurden sie auch nicht. Die junge Frau erinnert sich, dass sie in vier Monaten nur umgerechnet rund 50 Euro bekam. Doch das alles steckte sie noch weg. Tränen steigen ihr in die Augen, wenn sie davon erzählt, wie sie die Yacht ihres Chefs schrubben musste.

"Nur weil sie Geld haben, denken sie, dass sie etwas besseres sind als du. Während ich an Deck geputzt habe, hat er immer wieder Eimer mit Wasser über mich geschüttet."

Ob es bei diesen Demütigungen blieb oder ob der Mann sie auch missbrauchte, bleibt offen. Aber es wird deutlich, dass gerade die Erlebnisse auf dem Boot sie traumatisiert haben. Irgendwann konnte Azeb ihre Agentur davon überzeugen, sie an eine andere Familie zu vermitteln. Von dort schaffte sie dann nach insgesamt zwei Jahren den Absprung zurück nach Äthiopien. Die Flugkosten musste sie allerdings selbst zahlen.

"Ich kam mit leeren Händen zurück. Ich habe in Kuwait nichts sparen können. Dabei habe ich doch davon geträumt, mein Leben und das meiner Familie ändern zu können. Wir sind arm und ich wollte, dass es uns besser geht."

Die 26-Jährige hat einen Schulabschluss. Sie hätte vielleicht auch in Äthiopien Arbeit finden können. Aber sie lockte das vermeintlich leichter verdiente Geld in den arabischen Ländern. Nach ihren schrecklichen Erfahrungen will sie nun andere junge Frauen davon abhalten, den gleichen Fehler zu machen.

"Mit Gottes Hilfe würde ich gern die Öffentlichkeit darüber aufklären, was dort geschieht. Ich könnte mir vorstellen, einen Film darüber zu machen. Jeder sollte wissen, wie schwer es ist, im Ausland zu arbeiten. Es gibt ja auch hier Berufsmöglichkeiten für junge Frauen. Wir sollten dafür sorgen, dass es in Äthiopien noch bessere Chancen gibt."

Was sie im Zentrum lernt, könnte Azeb helfen, ihre Pläne zumindest teilweise zu verwirklichen.

Bei AGAR sitzt sie gemeinsam mit Alemshay, der schwer misshandelten Rückkehrerin, im Seminarraum. Sie lernen und hoffen auf einen neuen Anfang – auch wenn ihre Erlebnisse sie bestimmt noch lange verfolgen werden.
Für Alemshay war die Begegnung mit ihrer Familie besonders schwierig. Nach den Monaten im Krankenhaus in Dubai wünschte sie sich einerseits nichts mehr, als endlich ihre Eltern wieder in die Arme zu schließen. Andererseits war es schrecklich für sie, in deren Augen die Bestürzung über ihren körperlichen Zustand zu sehen. Sie weint, als sie von dem ersten Treffen berichtet.

"Sie waren entsetzt. Meine Schmerzen kann ich ertragen. Aber es war schrecklich, meine Eltern so verzweifelt zu sehen."

Die 22-Jährige weiß nicht, wie es weitergehen soll. Ihre Zukunftsträume wurden in Dubai zerstört. Sie wird es schwer haben, Arbeit zu finden.

"Wegen meiner Verletzungen kann ich nichts mehr machen, was körperlich anstrengend ist."

Im Zentrum von Sasu Nina lernt sie immerhin, wie sie ein Geschäft aufbauen kann. Vielleicht klappt es ja doch mit einem kleinen Schreibwarenladen oder einem Kopiergeschäft. Das sind die Hoffnungen, an die sich Alemshay jetzt noch klammert. Wenn andere junge Frauen, sie nach ihren Erfahrungen fragen, kann sie nur eins ganz klar sagen.

"Tut es nicht, geht auf keinen Fall als Hausmädchen ins Ausland."