Ausdruck einer Avantgarde

Von Katja Bigalke · 27.07.2009
Bereits zu DDR-Zeiten galten die exzentrischen Schwarz-Weiß-Bilder von Sven Marquardt als Ausdruck einer Avantgarde. Den Weg hat der Fotograf weiter verfolgt. Gerade werden seine Bilder in zwei großen <papaya:addon addon="d53447f5fcd08d70e2f9158d31e5db71" article="169291" text="Retrospektiven" alternative_text="Retrospektiven" /> gezeigt.
Sven Marquardt ist ein Perfektionist wenn es um das Hängen seiner Bilder geht. Immer wieder bittet der Hüne mit dem schulterlangen Haar seinen Mitarbeiter die schwarze Klebefolie abzuknibbeln, die Fotos straffer, höher, tiefer an der unverputzten Wand zu befestigen.

Auf den großfomatigen Bildern: durchtrainierte Männer, traurige Frauen in dunklen Zellen. "Shame on you" ist der Titel dieser jüngsten Arbeit, die Marquardt für Levis gemacht hat: Einzige Vorgabe war die Vintage Gefängnis-Kollektion der Marke.

"Dann geht es um Wollust, um Fleisch - laut der Bibel ist das ja auch eine der Todssünden, der Kindmord, das war der Brudermorde der hat seinen Bruder quasi ertränkt."

Marquardts Arbeit besteht meist aus kleinen Bilderfolgen. Roter Faden kann eine Person sein oder auch ein Thema - wie das Werk von Rainer Werner Fassbinder. Die bleiche alte Braut, die neben dem jungen Schwarzen auf dem Hochzeitsbett sitzt ist etwa Marquardts Interpretation von "Angst essen Seele auf". Ein melancholisches Bild.
"Eins meiner Lieblingsbilder - ist so viel Hoffnung in dem Bild."
Melancholie und Hoffnung, Verfall und Aufbruch, Jugend und Alter. Marquardt bewertet weder das eine noch das andere – Er versucht es zu vereinen. So ist es kein Wunder, dass sich der 47-Jährige mit dem schweren Silber in Lippen, Nase und Ohren und den Tätowierungen, die sich vom Kopf bis zu den Händen schlängeln, gerne auf dem Friedhof verabredet.

"Ich bin öfter mal hier: zu allen Jahreszeiten. Ich find das nicht so depressiv mitten in der Stadt: aus einer anderen Zeit alles verwildert und zugewachsen ist ein Augenblick ein Moment mich in eine andere Zeit zu bewegen."

Der schwarz gekleidete Mann steht vor einem verwitterten Familiengrab, auf dem er schon in den Achtzigern gerne Halbakte inszenierte, nestelt mit seinen ringbestückten Fingern an der massiven Silberhalskette. Er hat seine Stadt Berlin, seinen Bezirk Pankow nie verlassen. 1962 in Ost-Berlin geboren, macht er Ende der Siebziger eine Ausbildung als Fotograf und Kameramann beim DDR-Fernsehen.

In den Achtzigern fängt er an, Freunde zu fotografieren. Junge, Männer und Frauen mit schwarz umrandeten Augen, inszeniert an den verfallenden Orten des Berliner Ostens. Etwas Zerbrechliches steckt in diesen Bildern und eine große Zuneigung zu den Protagonisten.

"Ich glaube, es war eine unkonventionelle Lebensform, die nicht dem DDR Bild entsprach. Es waren mehr Außenseiter, Leute, die mehr am Rande der Gesellschaft gelebt haben es waren viele junge Leute, die aus Künstlerhaushalten kamen. Eine faszinierende neue Welt, die ich dokumentieren wollte."

Robert Paris etwa, der Sohn der berühmten DDR Fotografin Helga Paris, ist sein enger Weggefährte in dieser Zeit. Mit ihm führt Marquardt das typische Dasein der Bohemiens am Prenzlauer Berg: Das Leben kostet nicht viel, er hält sich über Wasser mit Porträts von Punkbands, Stipendien und Veröffentlichungen in der DDR-Modezeitschrift "Sybille".

Er gilt als Repräsentant einer neuen Fotografen-Generation: Sein Stil: Schwarz-Weiß-Aufnahmen bei Tageslicht, ein bisschen düster und immer inszeniert an ruppigen Orten mit Geschichte:

"Jeder hatte seine Accessoires und Klamotten durch Allerleirau war auch Leder möglich. Das hat mich immer interessiert."

Marquardt erinnert sich gerne an diese provisorische Zeit, auch wenn gegen Ende der Achtzigerjahre alle nur noch von Ausreise sprachen und der Freundeskreis immer mehr auseinanderbrach. Der Fall der Mauer war dann die endgültige Zäsur: Alle mussten sich neu erfinden, sagt Marquardt heute. Nachdem er mit seinem Pappkarton voller Fotos bei etlichen Hamburger Magazinen abblitzte, gab er das Fotografieren auf und begann als Türsteher in den neuen Clubs des Berliner Ostens:

"Das Gefühl der Leidenschaft, das war dann verloren gegangen – Ich musste mal die Kamera weglegen und mich selbst wieder finden in dieser neuen Zeit bleiben."

Verpasst hat er nichts: Walfisch, Ostgut, Berghain - Marquardt kann von sich behaupten, an den Türen der berühmtesten Clubs der Stadt gestanden zu haben. Ins Berghain fährt er immer noch jedes Wochenende, entscheidet Freitags und Samstag von 12 Uhr bis mindestens neun Uhr morgens darüber, wer dabei sein darf bei den legendären Partys im ehemaligen Heizkraftwerk. Er macht den Job gerne.

"Vielleicht hab’ ich einen ganz guten Blick für Menschen. Der Job ist Kommunikation, und ich mag es mit dem Gefühl nach Hause zu fahren, dass das ’ne tolle Party war … Ich hab damals eigentlich gedacht, dass ich mit 40 aufhöre aber nun bin ich immer noch dabei. Es macht Spaß und ich fahr immer noch leidenschaftlich da hin."

Letztendlich ist es auch das Nachtleben, das Marquardt zurück zur Fotografie bringt. Ende der Neunziger hat er wieder Lust zu fotografieren. Viele seiner Inspirationen kommen jetzt aus dem Clubumfeld. Nachtgestalten in Lack und Leder - bei Tageslicht fotografiert. Wieder vereint Marquardt, der unter der Woche ein ausgesprochener Frühaufsteher ist, einen Gegensatz.

"Das funktioniert wunderbar - also nur tagsüber wäre langweilig und nur nachts auch."

Marquardt hat es trotz aller Umbrüche geschafft, sich und seiner Analogfotografie treu zu bleiben. Er freut sich, dass nun neben dem Türsteher – dem gefürchteten Eisenmann vor dem Berghain – auch wieder über den Fotografen Sven Marquardt gesprochen wird.
Mehr zum Thema