Auschwitz-Überlebender

Ein Leben im Zeitalter der Extreme

Der Auschwitz-Überlebende Kurt Julius Goldstein wischt sich auf der Gedenkveranstaltung des Internationalen Auschwitz Komitees zur Befreiung des Konzentrationslagers durch die sowjetische Armee mit einem Taschentuch Tränen aus dem Auge. Im Hintergrund ist ein großformatiges Foto des Weges zu sehen, der zu den Krematorien und Gaskammern des Vernichtungslagers führte.
Kurt Julius Goldstein wischt sich auf der Gedenkveranstaltung des Internationalen Auschwitz Komitees mit einem Taschentuch Tränen aus dem Auge. © picture alliance / dpa / Tim Brakemeier
Von Otto Langels |
Kurt Julius Goldstein musste aus Deutschland fliehen, weil er Jude und Kommunist war. Er nahm am spanischen Bürgerkrieg teil, fiel den Nazis in die Hände und wurde nach Auschwitz deportiert. Er überlebte die Zeit im Lager, ging als überzeugter Sozialist in die DDR und machte Karriere als Journalist. Vor 100 Jahren wurde er geboren.
"Ich hatte ein Kindermädchen, die Tochter einer Bergarbeiterfamilie. Bei denen war ich viel zu Haus. Das führte dann in meinen späteren Knabenjahren dazu, dass ich überlegte: Warum gibt es bei uns zu Haus alles Gute zu essen, und bei dieser Bergarbeiterfamilie ist Schmalhans Küchenmeister?"
Der Überzeugung, dass eine Bergmannstochter genauso gut leben sollte wie ein Kind aus einem wohlhabenden Elternhaus, blieb Kurt Julius Goldstein ein Leben lang treu. Er wurde am 3. November 1914 in Dortmund-Scharnhorst als Sohn eines jüdischen Kaufhausbesitzers geboren, doch die Religion spielte in der Familie kaum eine Rolle. Erst in der Schule, als ihn ein Lehrer wüst beschimpfte, begriff er, welchen Anfeindungen Juden ausgesetzt sein konnten.
"Und dann stand ich vor der Klassentür und weinte und die Stunde ging zu ende und mein älterer Bruder kam und sagte, was hast du denn, Kleiner? Und dann erzählte ich ihm, was passiert war. Und dann sagte er mir: Ach mach dir nichts draus, der mag uns Juden nicht, das ist ein Antisemit. Bei dem fliegst du jede Stunde aus der Klasse raus. Und das war auch so."
Als Jugendlicher trat er in eine jüdische Pfadfindergruppe und die Sozialistische Arbeiterjugend ein. Später wechselte er zur Kommunistischen Partei. Das Judentum und der Sozialismus sollten gleichermaßen sein Leben bestimmen.
"Noch steht ganz Berlin unter dem gewaltigen und furchtbaren Eindruck des riesenhaften Reichstagsbrandes ..."
Eine zwölfjährige Reise von Deutschland nach Deutschland
Nach dem Reichstagsbrand Ende Februar 1933 machte das NS-Regime Jagd auf Kommunisten. Kurt Goldstein tauchte bei Freunden unter, bis die Polizei vor der Wohnungstür stand.
Kurt Julius Goldstein auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2006.
Kurt Julius Goldstein auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2006.© AFP / Pierre-Philippe Marcou
"Ich bin durch die Küchentür weg, und an dem Tag beginnt eine zwölfjährige Reise von Deutschland nach Deutschland."
Er flüchtete nach Frankreich und zog weiter nach Palästina. Als 1936 der spanische Bürgerkrieg ausbrach, folgte er dem Aufruf der Kommunisten, sich den Internationalen Brigaden anzuschließen, um gegen die aufständischen Franco-Truppen zu kämpfen.
"Wer konnte, sollte der spanischen Republik helfen. Und dann bin ich nach Spanien und bin von Anfang an eigentlich Frontsoldat gewesen."
Nach der Niederlage der spanischen Republik brachte sich Kurt Goldstein vor den Faschisten in Frankreich in Sicherheit, wurde dort jedoch interniert, 1942 an das Nazi-Regime ausgeliefert und in das jüdische Sammellager Drancy bei Paris verschleppt.
"Und von dort aus gingen immer die Transporte nach Auschwitz ab. In so einem Güterwaggon wurden hundert Mann reingepresst, Körper an Körper, Frauen mit Kindern auf dem Arm, Schwangere, Alte."
Todesmarsch nach Buchenwald
Als Häftling Nummer 58866 kam Kurt Goldstein in ein Außenlager von Auschwitz, wo er in einer Kohlengrube arbeiten musste. Dass er sich geistesgegenwärtig als Bergmann ausgab, rettete ihm das Leben. Im Januar 1945 schickte die SS die Gefangenen auf den Todesmarsch in das KZ Buchenwald.
"Und da erlebte ich den 11. April 1945. Und da hören wir, wie der Lagerälteste sagt: Kameraden, wir sind frei!"
Wie andere Juden, die aus den Lagern oder dem Exil zurückkehrten, wollte Kurt Goldstein in der DDR ein neues, sozialistisches Deutschland aufbauen. Er ging zum Rundfunk, wurde als SED-Mitglied einer der führenden Journalisten und schließlich Intendant des "Deutschlandsenders" und der "Stimme der DDR". Trotz aller Enttäuschungen blieb er seiner Partei bis zuletzt treu. Stasi-Unrecht und politische Repression blendete er aus. Nach dem Untergang des SED-Regimes hielt er die DDR immer noch für den besseren deutschen Staat.
"Mein Entschluss, den ich 1928 gefasst habe, Kommunist zu werden, war der wichtigste Beschluss in meinem Leben. Als Kommunist wollte ich ja in Deutschland Sozialismus machen. Das haben wir einmal versucht, ist misslungen. Aber ich meine, Deutschland braucht immer noch Sozialismus so wie die Luft zum Atmen."
Bis zu seinem Lebensende engagierte sich Kurt Julius Goldstein gegen Rassismus und Antisemitismus, unter anderem im Internationalen Auschwitz-Komitee. Er starb im September 2007 im Alter von 92 Jahren - ein Leben im Zeitalter der Extreme.
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