Auschwitz-Comic von Julián Gorodischer

"Mein Buch handelt vom Überleben"

Lager Auschwitz-Birkenau im Nebel: Ehemaliges Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, Blick auf einen Wachturm
Lager Auschwitz-Birkenau im Nebel © picture alliance / dpa / Fritz Schuhmann
Von Victoria Eglau · 18.08.2015
Der argentinische Journalist Julián Gorodischer spürt in dem Comic "Camino a Auschwitz" den Holocaust-Erlebnissen seiner Vorfahren nach - und rührt dabei an einigen Tabus.
Am Anfang stand eine Reise, die der Argentinier Julián Gorodischer anlässlich seines vierzigsten Geburtstags unternahm: eine Reise zu den eigenen Wurzeln, nach Polen, wo seine Vorfahren bis zum Holocaust gelebt hatten. Eine Person interessierte den Autor besonders bei dieser Spurensuche: seine Großtante Paie, ermordet im Konzentrationslager Auschwitz.

"Seit ich denken kann, war die Figur Paies in meiner Familie sehr präsent. Aber meine Eltern hatten wenig verlässliche Informationen über sie. Hinzu kam, dass es ihnen als direkten Nachkommen von Holocaust-Überlebenden schwerfiel, über das Thema zu sprechen."
Auch wenn es nicht allzu viel war, was Julián Gorodischer in Polen über Paies letzte Lebensjahre herausfinden konnte, widmete er der Großtante nach seiner Rückkehr den Comic "Camino a Auschwitz", auf Deutsch "Weg nach Auschwitz". In der Geschichte, bebildert von dem Zeichner Marcos Vergara, versucht Gorodischer eine Annäherung an Paie, ohne dabei in Opfer-Stereotypen zu verfallen. Paie wurde im Krakauer Ghetto von ihrer Zwillingsschwester Tzipe getrennt, Gorodischers Großmutter. Ihr gelang die Flucht nach Argentinien, Paie wurde nach Auschwitz deportiert. Gorodischer beschreibt eine junge Frau mit Licht und Schatten, Trostspenderin für andere KZ-Häftlinge und Geliebte von Lagerkommandanten.
Die erste Auflage von "Camino a Auschwitz" war schnell ausverkauft
"'Camino a Auschwitz'basiert auf wahren Geschichten, aber ich habe mir erlaubt, Tatsachen und Fiktion zu mischen. Die lückenhaften Biografien meiner Vorfahren ergänze ich durch die Erinnerungen anderer und lasse Material aus Literatur und Filmen einfließen. Aber zugrunde liegen Tatsachen. Dass es in Auschwitz Prostitution gab, sexuelle Kontakte zwischen Kommandanten und weiblichen Häftlingen, stimmt. Ich erzähle das nicht, um die Opfer zu verurteilen oder zu beschmutzen, sondern um ihre Überlebensstrategien zu zeigen. Mein Buch handelt vom Überleben."
Argentinien hat eine große Comic-Tradition, aber ein Werk, das den Holocaust zum Thema hat, gab es bisher nicht. Die erste Auflage von "Camino a Auschwitz" war denn auch innerhalb weniger Wochen ausverkauft. Der Comic in der Tradition der Ligne Claire besteht aus insgesamt drei Reportagen. Gorodischer nimmt, ähnlich wie Art Spiegelman in "Maus", die Rolle des Chronisten ein. Auf Paies Geschichte folgt die von Gorodischers Großonkel Berl, einem Helden des Warschauer Ghetto-Aufstands und jüdischen Partisanen. Die dritte Reportage ist Luba gewidmet, einer weiteren Großtante des Autors, die die Schoah überlebte und 1960 an der Entführung Adolf Eichmanns aus Argentinien nach Israel beteiligt war. Gorodischers Figuren sind Helden mit Brüchen, sie sind vor allem Menschen. In dem Comic hat Berl Liebesbeziehungen zu anderen Partisanen, und Agentin Luba fühlt sich zeitweise hingezogen zu Holocaust-Mitorganisator Eichmann.
Sex spielt in dem Comic eine nicht unwesentliche Rolle
"Ich sehe meinen Comic im Rahmen einer kulturellen Bewegung, die neue Formen der Annäherung an die Tragödie sucht. Mir geht es um einen subjektiven Zugang. Was vielleicht so aussieht, als würde ich den Opfern weniger Respekt erweisen, soll den Holocaust einfach greifbarer, nachvollziehbarer machen. Wenn Erinnerung nur in engen Grenzen des offiziell Erlaubten stattfindet, besteht die Gefahr, dass die Tragödie nicht nachempfunden werden kann."
Für manche Leser verletzt "Camino a Auschwitz", in dem Sex eine nicht unwesentliche Rolle spielt, dennoch Tabus. Beim argentinischen Anti-Diskrimimierungs-Institut INADI ging wegen einer Szene, in der Gorodischers Alter Ego im Comic einen nekrophilen Traum hat, eine Beschwerde ein – der Holocaust werde banalisiert. Doch das konnte das INADI nicht erkennen, es wies die Beschwerde ab. Julián Gorodischer weiß, dass die Homosexualität des Partisanen, auch die seines eigenen Alter Ego, für konservative Kreise der jüdischen Gemeinschaft Argentiniens problematisch ist. Dass eine Organisation von Schoah-Überlebenden ihn eingeladen hat, sein Buch vorzustellen, freut den Autor besonders. Aber er sieht seinen Comic nicht als Holocaust-Zeugnis.
"Es ist ein psychologisches Buch über drei Personen im Kontext des Holocausts. Und es ist ein Buch über den Holocaust in der Gedankenwelt eines jüdischen Argentiniers heute. Mein Buch handelt auch vom Umgang mit der tragischen Vergangenheit in einer Familie, davon, wie dieses tragische Kapitel von Generation zu Generation weitergegeben wird. Und davon, wie manche die Vergangenheit zum Vorwand nehmen, um ihre heutigen Frustrationen zu rechtfertigen."
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