Ausbildungsplätze

Leerstellen in der deutschen Wirtschaft

Von Silke Hasselmann · 15.08.2017
Wie viel andere Betriebe kann auch Flammaerotec die angebotenen Ausbildungsplätze nicht besetzen. Bewerbungen kommen genug, aber es fehlt an geeigneten Bewerbern. Eine Chance für Studienabbrecher.
Zu Gast im Schweriner Büro- und Fertigungskomplex der Flammaerotec GmbH. Hier stellen über 300 Facharbeiter diverse Teile für die internationale Flugfahrtindustrie her, darunter Kabinentüren. Hauptabnehmer: Airbus im nahegelegenen Hamburg. Von Umformtechnik über Baugruppenmontage bis Oberflächenbearbeitung sei hier vieles an Fachkönnen gefragt, erklärt Pierre Gerasch vor einer der vielen computergesteuerten Maschinen:
"Ja, das ist eine Zerspanungsmaschine. Hier werden ebene Bleche zugeschnitten - entweder aufs Maß, oder es werden Teile ausgeschnitten aus den Riesenblechen."
"Und die Kollegen, die diese Maschine bedienen, sind dann was von Beruf ?"

"Zerspanungsmechaniker."

"Wie viel Azubis haben Sie in diesem Bereich?"
"Insgesamt elf. Der große Anteil ist Fertigung und der kleinere Anteil ist im kaufmännischen Bereich. Aber wir suchen überwiegend im Bereich der Fertigung. Fertigungsmechaniker ist da der klassische Beruf, den wir auch ausbilden, und seit letztem Jahr auch Zerspanungsmechaniker, den wir dieses Jahr aber leider noch nicht besetzen konnten. Wir hätten da noch zwei Ausbildungsstellen unbesetzt, und auch beim Fertigungsmechaniker hätten wir erst zwei von drei Stellen besetzt."
Am Geld liege es nicht, das Unternehmen vergütet auch seine Azubis nach Metalltarif. Das sind allein im ersten Lehrjahr bereits 1014 Euro pro Monat.

Quantität ja, Qualität nein

Bei 550 Euro im ersten und 680 Euro im dritten Lehrjahr liegt hingegen die Ausbildungsvergütung im Tourismus- und Gastgewerbe von Mecklenburg-Vorpommern. Das ist mit 6.600 Betrieben, über 50.000 Beschäftigten und derzeit knapp 2000 Auszubildenden die wichtigste Branche im Land, aber auch eine der am schlechtesten zahlenden. Deshalb und wegen der oft freizeit- und familienfeindlichen Arbeitszeiten machen sich Lehrstellenbewerber rar. Für das neue Ausbildungsjahr sind noch immer knapp zwei Drittel der Lehrstellen im Gastgewerbe unbesetzt. Dagegen stellt man beim Schweriner Flugzeugteilebauer Flammaerotec fest:
"Also, wir haben nicht das Problem, dass wir zu wenige Bewerbungen haben, sondern dass die Qualität einfach nicht stimmt. Dass die teilweise von den Schulen runterkommen und allem möglichen Kindergärtner-Praktika gemacht haben oder als Einzelhandelskaufleute. Das klappt dann nicht, und dann kommen sie eben zu uns. Das funktioniert leider so nicht. Also gerade wenn die Noten in Mathematik und Physik mit vier, fünf, sechs - das reicht natürlich dann nicht. Bei einem technischen Beruf sollte auch das Hintergrundwissen ein bisschen vorhanden sein."
Passe man absehbar gar nicht zusammen, ergänzt Pierre Gerasch aus der Personalabteilung, lehne man Bewerber auch schon mal ab und suche weiter - ob auf Messen oder im Internet auf den bundesweit zugänglichen Lehrstellenbörsen der Industrie- und Handelskammern.

500 Zukunftsmöglichkeiten nicht genutzt

Die hat auch Peter Todt fest im Blick. Am 1. August begannen allein in den IHK-zugehörigen westmecklenburgischen Betrieben fast 900 Jugendliche eine Lehrausbildung. Aber:
"Auf der anderen Seite haben wir noch über 500 freie Ausbildungsstellen in unserer Lehrstellenbörse. Das kann einen natürlich schon beunruhigen, denn das noch 500 Angebote in den Unternehmen – 500 Bedarfe und 500 Zukunftsmöglichkeiten, die einfach nicht genutzt werden. Ich sehe die Ursache hauptsächlich darin, dass die Grundmotivation `Ich kümmere mich um meine eigene Zukunft, ich möchte vor den Sommerferien einen abgeschlossenen Vertrag haben´ – nicht ausreichend gegeben ist. Wir vermitteln, dass die Lehrstellensituation positiv ist, und das führt meiner Meinung nach zu einer inneren Trägheit `Dann hab ich ja noch genügend Zeit mich darum zu kümmern. `Und das ist natürlich ein fatales Signal."
Denn die Betriebe bilden für ihren eigenen Bedarf aus und brauchen Planungssicherheit. Doch derzeit sind es die besonders geburtenschwachen Jahrgänge, die die Schulen verlassen. Zum anderen strebt inzwischen jeder zweite Schüler in Mecklenburg-Vorpommern lieber das Abitur statt einer Berufsausbildung an. Derzeit kommen hier rein rechnerisch zwei Schüler auf drei Lehrstellen. Hätten die Ausbildungsbetriebe wie EGGER in Wismar früher die Wahl gehabt, müssten sie heute um Auszubildende konkurrieren, sagt Mirko Graitzsch.
"Es gehen heute doch sehr, sehr viele studieren. Und wenige Eltern sagen ihren Kindern noch, sie möchten bitte erst eine Ausbildung machen. Demzufolge haben wir uns viel einfallen lassen, um uns von den anderen Firmen abzuheben."

Bonus schon im ersten Lehrjahr

Um den guten Ruf als eines der größten Holzverarbeitungsunternehmen Europas zu wahren, hat EGGER 750.000 Euro in ein eigenes Ausbildungszentrum gesteckt. Im Moment sind dort 33 junge Leute dabei, Elektroniker, Maschinenanlagenfahrer, Medientechnologe oder Fachlagerist zu werden. Für das neue Ausbildungsjahr stehen sieben Plätze zur Verfügung, und neben der Übernahmegarantie nach erfolgreicher Lehre bietet das Wismarer Unternehmen bei Unterschrift unter den Lehrvertrag: Ein Tablet, Werkzeug, freies Mittagessen, Leistungsprämien, die Übernahme der Fahrtkosten zur Berufsschule und - so Ausbildungsleiter Mirko Graitzsch:
"Sie bekommen zusätzlich Englisch-Unterricht. Sie bekommen zusätzlich Sportunterricht hier. Weil wir sehr breitgefächert ausbilden und die Auszubildenden sich hier in der Firma doch nicht so oft sehen, haben wir festgestellt, dass es für den Teamspirit besser ist, Sportaktivitäten durchzuführen oder eben auch den Englischunterricht noch zu machen."
Doch zumindest für einige Betriebe gebe es noch einen Weg, sagt Peter Todt von der zuständigen Industrie- und Handelskammer. Gehe es z.B. um Mechatroniker, Informatiker, Bankberufe oder um Industriekaufleute, versuchten Unternehmen und IHK das Beste aus der Abiturienten- und Studentenschwemme zu machen.

Projekt "Studienabbrecher"

"Wir haben mit der Hochschule Wismar gemeinsam seit zweieinhalb Jahren ein Projekt `Studienabbrecher`. Das heißt, wir sind an der Hochschule dran, wenn ein Student innerlich wackelt, dass wir ihm ein Angebot unterbreiten: `Du kannst dich an uns wenden, ohne dass das sofort jemand mitbekommt. ` Das läuft dann so: Er steigt bei uns, wenn er die berufliche Ausbildung machen möchte und das Ganze fachlich passt, garantiert im zweiten Ausbildungsjahr ein. D. h. wir erlassen Zeiten; er hat ja schon Leistung erbracht. Er bringt ja was mit. Das läuft gut. Die Betriebe nehmen die gern."
So erging es jedenfalls der Ex-Studentin Jasmin. Sie werkelt an einem kleinen Holzmodell für einen Dachstuhl. 24 Jahre alt und doch noch Auszubildende – damit gehört die Mecklenburgerin zu jener seit Jahren steigenden Zahl von jungen Menschen, die sich durch das Abitur hangeln und das Gymnasium ohne jeden Plan für die berufliche Zukunft verlassen. Immerhin: Nach Auslandsjahr, Abhängen in "Hotel Mama", Hilfsjobs in einem echten Hotel an der Ostsee und einem vorzeitig abgebrochenen Studium fand Jasmin vor zwei Jahren mit Hilfe der IHK-Berater das Richtige für sich: Eine Zimmermannslehre.
"Ich arbeite gern mit Holz. Ich arbeite gern draußen und – tja, es ist schön, so auf dem Dach herumzuklettern und einen alten Beruf ausführen zu können."

Chance für leistungsschwache Schulabgänger

Zurück beim Schweriner Flugzeugteilebauer Flammaerotec. Die IHK hat ihn auch in diesem Jahr als "Top-Ausbildungsbetrieb" ausgezeichnet, u.a. weil er auch leistungsschwachen Schulabgängern eine Chance gibt. Hier beginnt das neue Ausbildungsjahr am 1. September, und Pierre Gerasch aus der Personalabteilung ist hoffnungsvoll, die noch leeren Lehrstellen rechtzeitig besetzen zu können. Schließlich sei das Schuljahr in Mecklenburg-Vorpommern erst vor drei Wochen zu Ende gegangen.
"Erfahrungsgemäß brauchen die Fertigungsmechaniker immer ein bisschen länger. Das ist für uns natürlich schlecht. Aber in den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass viele Bewerbungen teilweise erst Juli, August kamen. Es gibt auch Auszubildende, die haben ´ne Zusage von einem Betrieb und dann werden sie doch nicht genommen. Dann stehen sie uns natürlich auf dem Markt zur Verfügung."

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