Ausbildung

Problemchen im Schlaraffenland

Das Rathaus in der Innenstadt von Rain am Lech (Schwaben), fotografiert am Donnerstag (19.07.2007).
Das Rathaus in der Innenstadt von Rain am Lech (Schwaben) © picture alliance / dpa / Karl-Josef Hildenbrand
Von Johannes Nichelmann  · 20.06.2014
Bis zur Finanzkrise galt es in Nordschwaben als äußerst "ehrenwert", bei einer Bank zu arbeiten. Inzwischen bangen die Finanzinstitute im Ländle um den Nachwuchs: Bei den örtlichen Banken gehen etwa 30 Prozent weniger Bewerbungen ein.
Vor acht Jahren war ich das letzte Mal hier. Im Jahr 2006 habe ich in der bayerischen Stadt Rain am Lech meinen Realschulabschluss gemacht. Im Landkreis Donau-Ries in Bayern. Nordschwaben. Eine wohlhabende Region - fleißige Menschen.
Wolfgang Schlicker: "Wenn ich immer bundesweit unterwegs bin und erzähle hier von der Region, dann bekomme ich immer das Argument: Du lebst im Schlaraffenland!"
Wolfgang Schelzig: "Wir haben eine Arbeitslosigkeit, die liegt annährend unter zwei Prozent."
Jürgen Kanhäuser: "Unsere 16-jährigen, die also mit dem mittleren Bildungsabschluss die Schule verlassen, suchen eine sichere Zukunft, sichere Ausbildung und da war die Bankausbildung grundsätzlich mit weitem Abstand an erster Stelle gestanden."
Was mache ich nach der Realschule? Als ich vor dieser Frage stand, rieten mir viele Lehrer, Eltern meiner Freunde, Mitschüler zu einer Banklehre. Ich hatte die Fächer "Betriebswirtschaft, Rechnungswesen" und "Mathematik" gehasst. Aber ich habe trotzdem für ein paar Wochen darüber nachgedacht, mich zu bewerben.
König auf dem Schulhof
Ein Job bei der Bank, hieß es damals, war die Eintrittskarte in ein sicheres und bequemes Leben. Viele meiner Freunde bewarben sich bei den örtlichen Banken. Wer die Ausbildung in der Tasche hatte, war der König auf dem Schulhof, durfte am Ende der letzten Sommerferien einen schicken Anzug tragen, war hochoffiziell in der Welt des Bankgeheimnisses. Und bekam schon jetzt das meiste Geld.
Eine Unterrichtsstunde "Wirtschaft und Recht" in der Realschule Rain am Lech.
Das Klassenzimmer: in einem der drei Neubauten, Whiteboard und Beamer - statt grüner Tafel, die früher vom "Tafeldienst" jede Stunde neu gewischt werden musste.
Viel hat sich verändert. Nur mein damaliger Lehrer Jürgen Kanhäuser trägt noch immer seine bunten Hemden und den Irokesen-Haarschnitt.
Kanhäuser: "Wir haben heute herausgefunden, dass Banken nicht nur zum draufsitzen da sind."
Inzwischen ist er sechzig Jahre alt. Er steht vor einer neunten Klasse. Die Mädchen und Jungen müssen gerade darüber nachdenken, was aus ihnen mal werden soll. Im nächsten Jahr machen sie ihren Abschluss.
Kanhäuser: "... sondern Banken haben auch noch andere Funktionen zu erfüllen. Und Banken waren ja in den letzten Jahren sowieso ziemlich stark im Gerede. Stichwort: Finanzkrise. Stichwort: Eurokrise. Stichwort: hm... ja, gut. Gier des Menschen schlechthin.
Es war früher eigentlich immer so, dass der Beruf des Bankauszubildenden der Traumberuf für die jungen Leute schlechthin war. Unsere 16-Jährigen, die also mit dem mittleren Bildungsabschluss die Schule verlassen, suchen eine sichere Zukunft, eine sichere Ausbildung und da war die Bankausbildung grundsätzlich mit großem Abstand an erster Stelle gestanden."
Nur noch zehn Schüler pro Bank
Ein Umstand, der Jahrzehnte galt. Inzwischen bewerben sich nur noch zehn Schüler pro Bank. Früher waren es bis zu fünfzig. Ist der Job von dem so viele träumten, heute weniger wert? In der Neunten von Herrn Kanhäuser spielen gerade noch zwei von knapp dreißig Schülerinnen und Schülern mit dem Gedanken, zur Bank zu gehen.
Kanhäuser: "Ihr habt's in diesem Jahr in "Wirtschaft und Recht" auch konkret über das Thema "Banken" gesprochen, über die Aufgaben der Banken, über die Rollen der Banken in der Volkswirtschaft. Hat Euch das irgendwie beeinflusst bei der Berufswahl?"
Der eine hat gerade erst seine Bewerbung abgeschickt - hat aber ein mulmiges Gefühl.
Schüler (1): "Also, ich hab mich jetzt beworben, weil ich sehr kontaktfreudig bin und vor allem, weil ich mich da weiterbilden will. Vor allem in Betriebswirtschaftslehre und Rechnungswesen. Und ja... man hat halt auch mal einen sicheren Job und man verdient auch mal ein schönes Geld. Ja, es wurde immer so hingestellt, dass Bankkaufmann auch ein richtig schöner Beruf ist. Abwechslungsreicher Beruf vor allem. Und man hat auch mal einen sicheren Job. Die Banken können nimmer untergehen, sag ich jetzt mal. Aber natürlich, wenn ich jetzt Bekannte und Verwandte von mir hör. Die sagen: Was willst mit Bänker? Ihr wollts eh immer nur was verkaufen und so. Also da denkt man jetzt schon so: sollt man jetzt Bänker werden oder net?"
Der andere wurde schon zum Vorstellungsgespräch eingeladen.
Schüler (2): "... haben ein schlechtes Image halt einfach. Weil halt die das ganze Geld verloren haben und wer will dann noch Bänker werden?"
Ein Teilnehmer einer Kundgebung hält am 19.06.2014 in einer Filiale der Commerzbank in Hamburg ein Pappschild mit der Aufschrift "Finanzpiraten vernichten Altersvorsorge" . Anleger, die sich von mehreren Bankhäusern betrogen fühlen, haben am Nachmittag mit Kundgebungen vor Banken in Hamburg demonstriert. 
Anleger fühlen sich betrogen - Protest gegen Bankhäuser© picture alliance / dpa / Bodo Marks
Kopfnicken vom Lehrer.
Kanhäuser: "Okay. Haben "die" Euch schon jemals etwas erzählt, dass auch bei einer Bank ein Leistungsdruck vorhanden ist? Dass es da auch Vorgaben gibt, die man einhalten muss? Dass man auch da neue Kunden gewinnen muss, dass man Produkte im Bereich der Dienstleistungen verkaufen muss? Habt Ihr davon schon mal was gehört?"
Schüler (2): "Ja, das ist halt so. Man muss halt was verkaufen. Aber das ist ja bei allem so. Jeder, der eine Dienstleistung erbringt, muss ja irgendwas verkaufen können. Ja, ein paar schwarze Schafe gibt's immer. Also - von dem her."
Schüler (1): "Ja, also mein Bekannter, mein Firmpate, der hat das auch zu mir gesagt. Er würd sich das gut überlegen. Weil er muss nur noch verkaufen in der Bank. Er hat eigentlich nur noch den Druck. Er würde es mir net empfehlen."
Er zuckt mit den Schultern und ergänzt, dass er sich vorsichtshalber auch bei anderen Unternehmen beworben hat, als Bürokaufmann.
Schelzig: "Also mein Name ist Wolfgang Schelzig. Ich bin Teamleiter der Berufsberatung bei der Agentur für Arbeit Donauwörth. Und wir befinden uns im Moment gerade in meinem Büro in der Agentur in Donauwörth."
Die Banken zahlten besser
Donauwörth ist die Kreisstadt in Donau-Ries. Zehn Minuten mit dem Zug von Rain. Am Bahnhof wird mit dem Slogan "Die Stadt der Hubschrauber und Käthe-Kruse-Puppen" geworben. In der Region sitzen große Unternehmen - der wichtigste Arbeitgeber ist Airbus. Knapp 4.000 Menschen fertigen hier Hubschrauber. Aber auch der Joghurt-Hersteller "Zott", die Hauptzentrale des Gartencenters "Dehner" oder "Südzucker" sind wichtige Ausbilder. Dazu zahlreiche kleine mittelständische Unternehmen. "Audi" in Ingolstadt ist ebenfalls nicht weit weg. Sie alle hatten in der Vergangenheit bei der Auswahl der allerbesten Schulabgänger oft das Nachsehen. Die Banken zahlten besser, und setzten ihre Bewerbungsfristen wesentlich früher an. Manchmal mit bis zu einem Jahr Vorsprung vor den anderen Unternehmen. Früher gab es bei den Banken fünfzig Bewerbungen auf eine Stelle, heute noch zehn.
Können Sie mir diesen Weg erklären, wie kam es dazu, dass der Bankkaufmann gerade hier in der Region lange Zeit der Star unter den Ausbildungsberufen war und wieso hat das Image jetzt so gelitten?
Schelzig: "Äh... würde ich ein bisschen zurückgehen in der Geschichte. Der Bankkaufmann war ein Beruf mit sehr hohem Sozialprestige. Entlassungen waren lange Zeit bei Banken tabu, kann man sagen. Und dazu natürlich, wenn man jetzt von den öffentlichen Dienstbanken, wie Sparkassen, absieht, die Topverdiener. Also wenn ich an die Anfangszeiten meiner Tätigkeit zurück denke, war das einer von den Berufen, die man so als Trendsetter für den künftigen Ausbildungsmarkt setzen konnte. Die Banken waren immer bestrebt, die besten Schüler abzuschöpfen. Und die Schüler haben natürlich gesagt, ich möchte gerne an eine Bank, weil gerade vor dreißig, fünfunddreißig Jahren das Thema Banken noch mit Sicherheit höher als der öffentliche Dienst mit Sicherheit verknüpft war. Im Laufe der Zeit hat das etwas abgenommen. Hintergrund war weniger die Müdigkeit der Schüler für die Bewerbung, sondern die Aussichtslosigkeit eine Stelle zu bekommen, weil die Banken natürlich wirklich die Besten abgeschöpft haben. Ich kann mich an Zeiten erinnern, da war ein guter Realschulabschluss nicht gut genug für eine Bank."
Inzwischen hat sich das Berufsbild verändert, sagt Wolfgang Schelzig. Viele Aufgaben werden von Maschinen übernommen. Komplexe Beratungen stehen im Vordergrund. Und damit einhergehend der Druck, genauer auf den Umsatz zu schielen.
Schelzig: "Das ist auch an den angehenden Bänkern nicht vorbei gegangen. Und dazu kam auch, dass auch die Banken angefangen haben über Entlassungen nachzudenken und dann auch, Bankenkrise und ähnliches, tatsächlich auch entlassen haben."
An einer Filiale der Deutschen Bank in München repariert ein Arbeiter den Schriftzug. 
Die Banken bekommen deutlich weniger Auszubildende© picture alliance / dpa / M. C. Hurek
Radio: Und der Bayern1-Wetterservice für Schwaben. Es wird ein richtiger Frühlingstag heute!
Kurz vor acht Uhr morgens - der Tag in der Bank beginnt früh. Matthias Krüger sitzt auf dem Beifahrersitz im Kombi seines Chefs Hermann Kapusta. Sie tragen Anzüge, die Krawatten: akkurat gebunden. Der Bank-Azubi und der Kundenberater arbeiten bei der Raiffeisenbank Rain am Lech. Sie sind auf dem Weg zu einer Außenstelle. Im 1.000-Einwohnerort Münster am Lech leistet sich die Genossenschaftsbank seit Jahrzehnten eine kleine Filiale. Matthias macht hier eine seiner Ausbildungsstationen. Der 17-Jährige ist im zweiten Lehrjahr. Vorher war er auf der Mittelschule, der bayerischen Hauptschule. Vor der Finanzkrise hätte Matthias vermutlich keine Chance auf eine Stelle gehabt.
Krüger: "Ich wollt halt auch was... also, einen Beruf haben, einen Bürojob aber auch jetzt net Bürokaufmann, weil das hast ja eher weniger mit Menschen zu tun. Und dann hat sich halt Bankkaufmann ergeben und hat halt auch damit zampasst, weil ich relativ gut in Mathe war. War auch der erste, der bei uns in der Raiffeisenbank Rain eingestellt worden ist, der von der Mittelschule kam. Hab auch net damit gerechnet. Also ich wollt schon den Beruf machen, hab mich aber eigentlich zum Spaß beworben. Weil ich net damit gerechnet hab. Aber ich glaub des kommt jetzt immer mehr, weil wir sind jetzt in der Klasse, in der Berufsschulklasse, sind wir jetzt zu dritt, die von der Mittelschule kommen.
Matthias zählt zu den Besten seines Jahrgangs. Hermann Kapusta ist seit über zwanzig Jahren bei der Raiffeisenbank und ebenso lange arbeitet er in der Außenstelle.
Kapusta: "Naja, I wollt's halt einfach machen. Spaß mit Zahlen, Umgang mit die Leute. Ja, darum. Aber ich denk der Druck, der wird allmählich zu groß. Der Verkaufsdruck. Bei uns hält er sich noch in Grenzen, also. Von daher brauchen wir uns noch net beschweren. Aber ich denk, wenn Leute von Provisionen dann abhängig sind, dann wird das ein oder andere vielleicht dann verkauft, was vielleicht nicht Kundengerecht ist. So? Packen was? Raus da!"
Verzahnt mit den Menschen in der Region
Ein SB-Bereich mit Bankautomaten, ein Prospektständer und Plakate, die für Kredite mit besonders günstigen Zinsen werben. Im Bürobereich: Trennwände aus Milchglas, zahlreiche Topfpflanzen und eine Schale mit Bonbons.
Krüger (am Telefon): "Raiffeisenbank Münster, Krüger. Grüß Gott!"
Als Azubi verdient man, je nach Ausbildungsjahr, zwischen 700 und 900 Euro. Zweieinhalb Jahre lang dauert die Lehre. Matthias sitzt an einem kleinen Tisch im Verkaufsraum. Tabellen auf seinem Monitor, Überweisungsträger neben der Tastatur.
Krüger: "Man sieht manche Leute schon anders. Weil man ja jetzt auch das Finanzielle von denen, von vielen Leuten kennt und ja. Ändert halt den ersten Eindruck. Also, wie man sie bisher eingeschätzt hat und wie viele Leute auch reden und wenn man dann sieht, wie es wirklich ist. Ist halt schon ein Unterschied. Du, ich glaub, man wird schon auch anders gesehen. Weil Du bist dann halt immer noch der Bänker und man muss sich ja auch nach außen anders verhalten, wie ein Maurer oder so. Man kann sich jetzt da net auf der Straße besaufen. Kannst jetzt als Maurer auch net. Aber man muss halt sei Bank nach Außen präsentieren."
Krüger (am Telefon): "Gut, dann überweisen wir das. Bitte. Tschüß!"
Allein die Tatsache, dass sich örtliche Banken Außenstellen mit vier, fünf Mitarbeitern in kleinen Dörfern leisten, zeigt, wie eng verzahnt sie mit den Menschen in der Region sind - mit den älteren Menschen. Hier werden noch Überweisungsaufträge vorbei gebracht oder am Telefon diktiert. In Rain und Umgebung scheinen sich die Uhren etwas langsamer zu drehen. Allerdings: Onlinebanking und Lockangebote der großen Banken auf dem Markt - von Deutsche Bank bis Commerzbank - sorgen dafür, dass junge Menschen nicht mehr wie selbstverständlich zu der Bank gehen, bei denen schon ihre Eltern und Großeltern sind.
Kunde: "Wiedersehen!"
Krüger: "Wiedersehen."
Bankberater Hermann Kapusta bittet Matthias zu sich ins Büro.
Kapusta: "Also, wir schauen uns jetzt die Dispositionen an."
Krüger: "Hm."
Kapusta: "Das heißt also der Kontoinhaber ist übers Ziel hinaus geschossen. Siehst da zum Beispiel."
Krüger: "Joa."
Kapusta: "Können wir das individuell abstimmen, ob wir das genehmigen oder nicht. Gut, ich meine in Münster ist das jetzt kein großes Problem. Weil wir kennen ja unsere Leute."
Krüger: "Hm."
Kapusta: "Also schauen wir mal. Gut, genehmigt. Okay. Dass ist das gleiche. Sind vor allem meistens die Gleichen."
Aufmerksam schaut Matthias zu - bald schon wird er selbst die Häkchen setzen dürfen. Eine verantwortungsvolle Aufgabe. Die beiden können nicht verstehen, dass immer weniger Leute Lust auf einen Job bei der Bank haben.
Kapusta: "So, haben wir alle durch. Alle genehmigt. Wunderbar. Sache erledigt."
Krüger: "Geht vielleicht viel von die Eltern aus, die sagen halt: Ja, in Bank brauchst net gehen. Hat eh keine Zukunft."
Kapusta: "Ja, durch die teilweise Negativpresse ist der Bänker natürlich nicht mehr so angesehen. Wenn jetzt 95 Prozent von die Beratungen in Ordnung sind, von denen redet ja keiner. Interessiert ja keinen. Schauen Sie halt "WISO" an, schauen Sie "PlusMinus" an. Was wird herausgezogen? Extremfälle."
Krüger: "Also, wenn ich übernommen werde, dann will ich auch in der Bank bleiben und dann Weiterbildung und dann irgendwann Kundenberater mit einem eigenen Büro sein."
Reporterin: "Über die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank, ob denn die EU-Konform sind und die Entscheidung wurde ja ..."
Moderatorin: "Corinna, vielen herzlichen Dank nach Frankfurt."
Niemals "böse" spekuliert?
Die Bankzentrale. Ein mehrstöckiger, schicker Bau in Rain am Lech. Außen gelb, innen geschäftig. Auf einem Flachbildschirm laufen die Börsennachrichten, in der obersten Etage singt eine Grundschulklasse. Sie hat an einem Malwettbewerb teilgenommen. Es gibt Brezeln und O-Saft. Die Kundenbindung beginnt früh. Eine Etage tiefer sitzt eines der Vorstandsmitglieder bei Mineralwasser.
Schlicker: "Ja, mein Name ist Wolfgang Schlicker. Wir befinden uns hier in der Raiffeisenbank Rain am Lech. Ich bin als Vorstandsmitglied unter anderem für den Bereich "Personal" und damit auch für den Bereich "Ausbildung" zuständig. Und das ist ja das Thema, zu dem Sie heute bei uns sind.
Wenn ich immer bundesweit unterwegs bin und erzähle hier von der Region, dann bekomme ich immer das Argument: Du lebst im Schlaraffenland! Dass heißt rein von den wirtschaftlichen Eckdaten kann man hier sehr gut Bänker sein. Das muss man ganz klar sagen."
Herr Schlicker hat 1997 seine Banklehre angefangen. Er brauchte einen langen Atem. Erst Bewerbung Nummer 27 brachte ihn ans Ziel. Dass jetzt nur zehn bis maximal fünfzehn Bewerbungen eingehen, stimmt Wolfgang Schlicker schon länger nachdenklich.
Schlicker: "Jetzt könnte man sich ja fragen: Okay! Was bedeutet das für uns? Ich sag immer so. Bei vierzig bis fünfzig Bewerbungen, da sind Sie fast gezwungen Vorauswahl anhand von Kriterien zu treffen, die Personen vielleicht nicht immer wiederspiegeln. Da müssen Sie einfach mal das Zeugnis durchblättern und müssen sagen: Okay, ich kann mir keine vierzig Personen anschauen. Ich sortiere einfach aus. Hab Momentaufnahmen, die die Noten darstellen. Hab einen Einstellungstest, wo Momentaufnahme darstellt. Wo allerdings nichts darüber aussagt, ob die Person als Persönlichkeit für den Beruf geeignet wäre. Das ist wirklich der Vorteil der geringen Bewerberzahl. Man kann wirklich sagen, ich schau mir die alle mal persönlich an."
Streikende Bankangestellte unterhalten sich am Freitag (01.08.2008) in Düsseldorf während der zentralen Streikversammlung. Nach Angaben der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sollen mehr als 3000 Bankbeschäftigte in Nordrhein-Westfalen im Ausstand sein. 
Streikende Bankangestellte: Bank gilt nicht mehr als sicherer Arbeitsplatz© picture alliance / dpa / Federico Gambarini
Er lächelt freundlich - ich würde jetzt jeden Kredit kaufen, den mir Herr Schlicker anbietet. Zumal er mir sagt, dass es hier wegen der Finanzkrise echt keine Probleme gegeben hat. Abgesehen von der Sache mit den Bewerbern.
Schlicker: "Also, wirklich in Zahlen nachweisbar haben wir definitiv davon profitiert. Als diese Finanzkrise kam, hatten wir Firmen vor Ort, die Probleme hatten mit der "Hypovereinbank", mit der "Commerzbank" und wir als Stabilitätsanker hier Kredite zur Verfügung gestellt haben, Investitionsvorhaben finanziert haben. Dass es der Region weiterhin gut geht. Weil wir stehen eben auf einem soliden Fundament. Dieses Fundament sind unsere 6.500 Mitglieder die wir haben, die uns als Bank tragen."
Wir haben niemals böse spekuliert, fügt er mehrmals gebetsmühlenartig hinzu. Es gibt aber noch ein anderes Problem, meint Herr Schlicker, weshalb es immer weniger Bewerbungen gibt. Auch in dieser reichen Zuzugsregion macht sich der demographische Wandel langsam bemerkbar. Finanzkrise und geburtenschwache Jahrgänge - Wolfgang Schlickers Gesicht wird ernst.
Schlicker: "Wir haben beide Päckchen zu tragen. Versuchen uns dagegen so gut es geht zu wehren. Eine Strategie ist natürlich wirklich für das Berufsbild zu werben. Um eben auch zu zeigen, ich nenne es jetzt mal so: Wir sind die Guten! Wir sind nicht die Bösen."
In Rain am Lech bildet übrigens auch noch die Sparkasse aus. Die lässt wissen, dass die Bewerberrückgänge im eigenen Hause allein mit dem demographischen Wandel zu erklären seien. Und der mache ja schließlich allen zu schaffen.
Gleicher Anzug, gleiche Frisur
Zurück in der Realschule Rain am Lech.
Kanhäuser: "Wir haben ja im Unterricht auch von der Finanzkrise natürlich gesprochen."
Heute die zweite Unterrichtsstunde für meinen ehemaligen Lehrer Jürgen Kanhäuser. In der zehnten Klasse. Die 15- bis 16-jährigen Schülerinnen und Schüler machen gerade ihren Abschluss. In der zehnten Klasse von Jürgen Kanhäuser werden zwei Mädchen den Beruf der Bankkauffrau lernen.
Schülerin (3): "Weil ich gerne mit Kunden zusammenarbeiten würd."
Schülerin (4): "Ja, genauso. Beworben und dann bin ich genommen worden. Ja, erst einmal wegen der guten Bezahlung. Und ich weiß net, keine Ahnung. I mein, wenn man jetzt am Anfang viel verdient. Des kriegt man ja dann bei der Rente auch wieder raus. Ja, meine Mama war dafür, mein Papa net. Mein Papa hat gesagt, ich soll was machen, wie Steuerberater oder... also Steuerfachangstellte."
Kanhäuser: "Ähm... wie fühlt Ihr Euch eigentlich von der Schule informiert? Zum Beispiel über die Finanzkrise? Zum Beispiel generell über wirtschaftliche Hintergründe..."
Schülerin (4): "Ja, ... ich wüsst jetzt net, das wir eine haben, oder? Ich hab das net gewusst."
Schülerin (3): "Ich hab auch nichts davon gehört."
Schülerin (4): "Ich hab mir jetzt auch keine Gedanken gemacht."
Ich stehe vor meiner alten Schule, acht Jahre nach meinem Abschluss im Schlaraffenland. Ein Plakat hängt an der Eingangstür. Wie schon damals, als ich vor der Entscheidung stand, was ich mit meinem Leben anfangen will. Die jungen Menschen auf dem Bild lächeln, tragen die gleichen Frisuren und orange Krawatten zu ihren Anzügen. Sie würden Wege frei machen, weil jeder Mensch etwas habe, was ihn antreibt. Und ich könne einer von ihnen werden. Ein echter Bankkaufmann.
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