"Aus Versehen die Wahrheit sagen"

Moderation: Britta Bürger · 19.05.2011
Clowns, die sich absichtlich versprochen haben, hätten ihn als Kind fasziniert, sagt der Kabarettist Dieter Hildebrandt. Dieses Sprechen hat er selbst zur Kunstform erhoben: "Ich lasse Sätze in der Luft hängen". Hildebrandt erhält in Potsdam den "Ehrenstier" für sein Lebenswerk.
Britta Bürger: Seine Kunst, mit raffiniert verstotterten Halbsätzen zum Kern gesellschaftlicher Widrigkeiten vorzustoßen, ist geprägt von genauer Beobachtung, unbestechlicher Wahrheitssuche und heiterem Intellekt. Gemeint ist der Kabarettist Dieter Hildebrandt, dem die Jury des Salzburger Stiers morgen Abend in Potsdam den "Ehrenstier" für sein Lebenswerk verleiht. Schönen guten Morgen, Herr Hildebrandt!

Dieter Hildebrandt: Ja, guten Morgen!

Bürger: Mit diesen raffiniert verstotterten Halbsätzen haben Sie in ihrer über 50-jährigen Karriere schon dutzende Preise bekommen. Wie aber haben Sie die Kunst des Haspelns, Stotterns und Schlingerns, wie die FAZ mal das beschrieben hat, für sich entdeckt und dann ja regelrecht kultiviert?

Hildebrandt: Das ist nicht ganz richtig, wie das beschrieben wird. Ich haspele ja gar nicht und ich stottere auch gar nicht, sondern ich lasse Sätze in der Luft hängen. Das ist etwas anderes als Stottern, und ich verspreche mich gezielt, natürlich – vielleicht nennt man das Haspeln, ich weiß es nicht! Aber ich habe das für mich selber entdeckt. Ich weiß nur, dass mich immer fasziniert hat – als Kind schon! –, wenn Clowns sich absichtlich versprochen haben, und ich habe das auch ein bisschen für mich angenommen. In ganz jungen Jahren schon, weil ich habe mit 14 meine erste Tournee gemacht schon.

Bürger: Und was suggerieren Sie damit? Ist es das Assoziative, das Improvisierte, das Spontane?

Hildebrandt: Aus Versehen ... das heißt, aus Versehen die Wahrheit sagen. Und das gleich sofort wieder zurücknehmen. Was für mich einen komischen Effekt hat.

Bürger: ... einen kalkulierten Effekt. Wie schreiben Sie eigentlich Ihre Texte – mit dem Bleistift oder am PC?

Hildebrandt: Weder noch! An der Schreibmaschine, so eine alte Olympia!

Bürger: Gibt es die noch?

Hildebrandt: Gibt's noch, kriegt man auch heute noch. Kann man sich bestellen, die haben das auf Vorrat, weil sie rechnen immer mit Menschen, die ein wenig sentimental sind und diese neue Art zu schreiben, nicht mögen, und zwar deswegen nicht – ich kann es Ihnen sagen, warum: Es hat keinen Klang! Ich höre mich nicht schreiben.

Bürger: Sprechen Sie beim Schreiben?

Hildebrandt: Nein, ich schreibe erst, und das spreche ich. Und dann höre ich mir zu.

Bürger: ... und hören dabei den Klang der Schreibmaschine, den Rhythmus.

Hildebrandt: Ja, so ungefähr, ja.

Bürger: Wann ist Ihnen denn zum ersten Mal eigentlich bewusst geworden, dass Sie ein besonderes Talent haben, Leute zum Lachen zu bringen?

Hildebrandt: Ich weiß nicht, ob ich entdeckt habe, dass das ein besonderes Talent ist, aber was ich entdeckt habe, ist, dass es mir gelingt, die Menschen zum Zuhören zu bewegen. Und das war für mich schon ein wichtiger Punkt. Das war bei einem Erzählerwettbewerb – da war ich noch Pimpf, nein, da war ich so in der Hitlerjugend, glaube ich –, da hatten wir so einen Erzählerwettbewerb, und da habe ich den zweiten Preis gemacht.

Und da habe ich gesehen, wie die Menschen tatsächlich mir zuhörten. Und von dem Moment an hat mich das nicht losgelassen: Ich möchte in dieser Richtung was werden. Das heißt, ich wollte eigentlich, nachdem ich aufgehört habe, darüber nachzudenken, ob ich Schiffskapitän werde, ob ich nicht doch Schauspieler werden könnte.

Bürger: Das wurde aber nichts.

Hildebrandt: Schauspieler wurde ich dann nicht, nein.

Bürger: Eine Aufnahmeprüfung haben Sie aber gemacht!

Hildebrandt: Ja, da bin ich durchgefallen. Das war bei der Falkenbergschule. Aber ich habe damals noch gar nicht gewusst, wie viele durchfallen pro Jahr.

Bürger: Ich habe vor kurzem über eine Studie gelesen, die belegt, dass Kinder bis zu 400 Mal am Tag lachen, wir Erwachsene dagegen nur noch 15 Mal, und das ist die statistische Mitte. Warum, meinen Sie, vergeht uns im Laufe unseres Lebens das Lachen?

Hildebrandt: Wir sind nicht mehr so unbefangen. Im Übrigen haben wir viele, viele scherzhafte Wendungen schon gehört, über die wir nicht mehr so richtig lachen, denn um uns herum sind ja viele Menschen – und wir selber sind ja auch so –, die wiederholen sich sehr oft. Ich höre ja gerne zu, weil ich möchte ja von irgendwas profitieren, von den Gesprächen anderer Leute, und ich höre sehr oft, wie sie sich gegenseitig anscherzen, und sie gegenseitig gar nicht mehr zum Lachen zu bringen sind. Ehepaare beispielsweise, wo sie jeden Witz von ihm schon kennt und umgekehrt.

Bürger: Ist das für Sie auf der Bühne auch ein Problem? Sie stehen seit Jahrzehnten vor dem Publikum, tingeln auch mit fast 84 Jahren noch immer kreuz und quer durch die Republik – ist es heute schwieriger, die Menschen zum Lachen zu bringen, als früher? Auch für Sie, als Kabarettist?

Hildebrandt: Nein, kann ich nicht so sehen. Es ist eine Frage, was man abruft, es ist eine Frage, welches Interesse man weckt, und wie man dieses Interesse mit Worten so formuliert, dass es komisch ist oder sagen wir mal, dass man es auf den Punkt bringt. Man muss nicht immer lachen, sondern Pointe heißt ja etwas auf den Punkt bringen. Und dann erzeugt das Beifall und Nicken, manchmal auch nur ein Grinsen oder ein Lächeln. Schön ist natürlich ein Lächeln, in das Publikum runterzuschauen und zu sehen, wie ein ganzes Publikum, ein ganzer Saal schmunzelt. Das ist fast schöner, als einen Riesenlacher zu erzeugen.

Bürger: Wir sind hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Kabarettisten Dieter Hildebrandt, der morgen den Ehrenstier für sein künstlerisches Lebenswerk bekommt. Der Salzburger Stier, das ist ja eine Auszeichnung der öffentlich-rechtlichen Radiostationen. Herr Hildebrandt, welche Rolle spielt das Radio in Ihrem Leben?

Hildebrandt: Eine viel größere als das Fernsehen. Nur habe ich viel mehr Fernsehen gemacht als Radio, leider Gottes. Aber das Radio ist für mich immer ein begehrenswertes Medium gewesen. Insofern, als die Sprache, die mir sehr wichtig ist – die mir wichtiger ist fast als das Bild –, die Sprache erzeugt ja Bilder. Beim Hören kann man sich zwar den Sprecher vorstellen, aber das tut man gar nicht, sondern man stellt sich Landschaften vor. Man hört Musik, man hört Gespräche von früher. Das ist alles viel ergiebiger, literarisch auch viel wertvoller.

Bürger: Ich kann mir vorstellen, dass Sie ganz schön umtreibt, wenn man versucht, Ihre Spitzen rund zu feilen. Was waren im Laufe Ihrer Karriere die schwierigsten Situationen, in denen Sie das Gefühl hatten: Halt, hier droht mir Zensur?

Hildebrandt: Vor Zensur habe ich nie Angst gehabt. Unsere Bedingung war immer, dass wir das live machen. Sonst hätte es ja gar keinen Sinn gehabt, denn die damaligen Zensurbedingungen waren noch etwas schärfer gehalten als heute. Heute – mein Gott, was heute alles durchgeht, das hätte damals keine Chance gehabt, denn da gab es ja überall noch die Jugendschutzgruppen und auch die Erwachsenenschutzgruppen und die Religionsgruppen, die Kontrolleure, die selbst ernannten. Und dann waren mir die Abteilungsleiter auch ein bisschen ängstlicher, und sogar die Programmdirektoren – das ist heute alles nicht mehr so, und zwar durch die Zerstreuung durch die vielen Medien. Und da haben wir eigentlich immer da unser Programm so gemacht, wie wir es wollten ...

Bürger: Aber wollen Sie jetzt sagen, es gab nie Konflikte?

Hildebrandt: Ach, mehrere natürlich! Der immer wieder zitierte ist natürlich der mit Tschernobyl damals, als wir unserem Unwillen über dieses Verhalten der bayerischen Landesregierung nach dem Unfall, nach dem GAU von Tschernobyl kritisiert haben. Und es war auch sehr peinlich, was sie getrieben haben. Sie wollten eigentlich verheimlichen, dass wir verstrahlt sind, und eigentlich hätten sie gerne gesagt, dass der Wind von einer ganz anderen Richtung kam, und als dann unser Umweltminister – wahrscheinlich genötigt durch den Ministerpräsidenten, der damals Strauß war – sich vor den Fernsehschirm setzte, vor die Kameras setzte, und dann öffentlich Salatköpfe fraß, das war dann schon zu viel.

Und da sind wir ein bisschen zornig geworden und haben über diese Verblödung des Publikums uns doch sehr ereifert, kann man fast sagen. Und daraufhin gab es natürlich Ärger, auch für den Sender. Und der hat sich dann ausgeschaltet aus dem Programm.

Bürger: Haben Sie über die Jahre ein Gespür dafür bekommen, welche Themen immer gut zünden, und was zündet derzeit besonders gut?

Hildebrandt: Es gibt natürlich – wenn man sich das leicht macht – Personen, die sich durchziehen. Guido, der mobile Guido mit den 18 Prozent auf der Schuhsohle, das war natürlich ein langes Thema, das hat sich jetzt aber ausgeguidelt, der Mann ist einfach vorbei, irgendwann plötzlich ist es vorbei. Guttie Guttenberg zu beobachten, wie er seine steile Karriere beginnt und wie schnell er dann abstieg, das war schon sehr aufregend und sehr anregend, ist aber auch vorbei.

Also, Personen gehen vorbei. Grundthemen gehen natürlich nicht vorbei. Und das sind aber dann nicht die Themen, wo dir alle Leute aufmerken, sondern da muss man schon sich etwas einfallen lassen, um zu sagen, wie die Stimmung ist, wie unsere Ängste sind, wohin es gehen soll.

Wenn jetzt zum Beispiel die dauernde Frage dauernd umdirigiert wird, haben wir jetzt einen Aufschwung oder haben wir keinen? Was macht der Euro und was machen wir in Griechenland? Sollen wir noch nach Griechenland fahren? Sind die Griechen böse? Das sind alles Themen, die bleiben noch eine Weile. Europa, was wird mit Europa? Das sind Themen, die mich beschäftigen, und die mich auch dazu bringen, immer wieder täglich umzuformulieren, weil sich sehr viel ändert.

Bürger: Die zielsichere Pointe, die braucht ja ein ganz spezielles Timing. Fällt Ihnen das mit zunehmendem Alter eigentlich schwerer, dieses reaktionsschnelle Abschießen der Pfeile?

Hildebrandt: Ich weiß nicht, ob ich das selbst für mich beurteilen kann oder darf. Ich weiß nur: Mir persönlich fällt es nicht schwerer! Das ist, glaube ich, angeboren, das hat man.

Bürger: Wenn man selbst gerne austeilt, heißt das ja noch lange nicht, dass man auch gut einstecken kann. Welche Kritik hat Ihnen selbst besonders zu denken gegeben?

Hildebrandt: Die Kritiken, die es in einer Zeit gegeben hat, als ich mir mit meiner Routine genügt habe. Als ich da raus gegangen bin und guten Mutes war, das wird schon irgendwie gut gehen, mich nicht sehr gut vorbereitet hatte, und in der Zeit dachte: Na ja, ich habe ja Talent, das muss genügen. Und das haben mir dann ein paar Zeitungen mitgeteilt, und da habe ich dann drüber nachgedacht.

Bürger: Morgen bekommen Sie aber erst mal den Salzburger Ehrenstier für Ihr künstlerisches Lebenswerk. Ich danke für das Gespräch, Dieter Hildebrandt!

Hildebrandt: Ich danke für das Zuhören!