Aus Liebeskummer auf dem Jakobsweg
In seinem Roman "Wege des Vergessens" lässt Richard Weihe seine Hauptfigur, die ausgerechnet Jakob heißt, den gleichnamigen Pilgerweg abschreiten, um seinen Liebeskummer zu bekämpfen. Wir erfahren in Tagebuchaufzeichnungen den Weg des Wanderers und gleichzeitig die Geschichte der unsanft zerstörten Liebe. Leider leidet das Werk an Weihes Hang zum Kitsch und sprachlichen Banalitäten.
Den Jakobsweg abzuwandern, um irgendwann im galizischen Santiago de Compostela das Grab des Apostels Jakob zu erreichen und sich seinen Pilgerpass abstempeln zu lassen, ist in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren immer beliebter geworden. Sogar Leute wie Hape Kerkeling haben sich auf den Weg nach Nordspanien gemacht, um die "reinigende Kraft der Pilgerreise" zu erleben und "eine ganz eigene, überraschende Nähe zu Gott" zu erfahren.
Es ist schwer, wohlfeilen Sprechblasen zu entgehen, wenn die Rede auf diesen mehr als tausend Jahre alten Weg kommt; im Mittelalter war Santiago neben Jerusalem und Rom der drittgrößte Wallfahrtsort der Christenheit. In den letzten Jahren sind auch eine Menge Bücher über das Thema erschienen, meist tagebuchartige Texte mehr oder weniger bekannter Persönlichkeiten. Nun hat der 1961 in Bern geborene Autor und Universitätsdozent Richard Weihe eine Erzählung darüber verfasst: "Weg des Vergessens".
Vergessen will sein Held eine leidenschaftliche Liebe, die wohl irgendwann einmal scheitern musste. Ein 30-jähriger vielversprechender Archäologe lernt eine acht Jahre ältere Französin kennen, die wiederum mit einem fast 60-jährigen angesehenen bürgerlichen Politiker verheiratet ist und neben drei Stiefkindern mit ihm einen gemeinsamen Sohn hat: "Sie hatte alles, was mir fehlte: Haus, Familie, Vermögen, Ansehen".
Mit ihr trifft er sich nun seit sechs Jahren an verschiedenen Orten in Frankreich und Europa, bis der alte Politiker eines Tages Wind von der Affäre bekommt und dem jungen Archäologen kommentarlos eine Pistolenkugel ins Haus schickt. Dieses Ende ist zugleich der Anfang von Weihes Erzählung und damit auch der Anfang seiner Reise nach Santiago. Sein Hauptgrund für die Reise: Er will die gemeinsamen Bilder ihrer geheimen Treffen in seiner Erinnerung löschen, indem er sie aufschreibt: "Ich werde sie in Sprache auflösen, um sie Wort für Wort zu vergessen".
Damit gibt es zwei Erzählstränge, die sich regelmäßig abwechseln, einmal die Beschreibung seiner Reise, also eine vorwärtsgerichtete Bewegung mit einem Ziel, nämlich Santiago, und dann die täglichen Tagebucheintragungen, kursiv gedruckt, die Erinnerungsarbeit, die rückwärts verläuft.
Das Buch nimmt sich eines existentiellen Themas an und hat eine interessante und durchdachte Konstruktion. Aber es hat ein fundamentales Manko. Es fehlt ihm jeder Humor. Der junge Mann, der sich überflüssigerweise Jakob nennt, fährt nun also los (er schummelt nämlich ein wenig, er nimmt das Rad) und trifft naturgemäß eine Menge Pilgerkollegen, mit denen er Gedanken austauscht, vor allem abends in den Herbergen. Bei Weihe treffen wir zum Beispiel "ernst dreinschauende Jünglinge" oder eine Gruppe Aidskranker, die sich aufs Sterben vorbereiten: "Wir sind auf dem Camino unterwegs, um unseren Lebensweg zusammenzufassen und mit uns selber ins reine zu kommen."
Es ist klar, dass "die Deutlichkeit dieser Worte Jakob beschämte". Hier die Banalität, dort der Kitsch. Die Pausen zwischen den Treffen mit seiner Geliebten nennt er "schreckliche Durststrecken deiner Unerreichbarkeit", und ihre Verfassung erkennt man mit zweideutiger Deutlichkeit daran, dass ihre "Lippen feucht sind vor Verlangen".
Dabei ist der Pilger, oder nennen wir ihn neutraler Wanderer, eine literarisch dankbare Figur. Er will sich unabhängig machen und unabhängig sein, er ist ein Abenteurer, ein einsamer Held, der niemandem untertan und nur sich selbst gegenüber verantwortlich ist. Ein schönes Thema, nur sollte man höllisch aufpassen, dass es nicht kitschig, belehrend und klischeehaft wird.
Rezensiert von Peter Urban-Halle
Richard Weihe: Weg des Vergessens
Dörlemann Verlag, Zürich 2006
160 Seiten, 18,90 Euro
Es ist schwer, wohlfeilen Sprechblasen zu entgehen, wenn die Rede auf diesen mehr als tausend Jahre alten Weg kommt; im Mittelalter war Santiago neben Jerusalem und Rom der drittgrößte Wallfahrtsort der Christenheit. In den letzten Jahren sind auch eine Menge Bücher über das Thema erschienen, meist tagebuchartige Texte mehr oder weniger bekannter Persönlichkeiten. Nun hat der 1961 in Bern geborene Autor und Universitätsdozent Richard Weihe eine Erzählung darüber verfasst: "Weg des Vergessens".
Vergessen will sein Held eine leidenschaftliche Liebe, die wohl irgendwann einmal scheitern musste. Ein 30-jähriger vielversprechender Archäologe lernt eine acht Jahre ältere Französin kennen, die wiederum mit einem fast 60-jährigen angesehenen bürgerlichen Politiker verheiratet ist und neben drei Stiefkindern mit ihm einen gemeinsamen Sohn hat: "Sie hatte alles, was mir fehlte: Haus, Familie, Vermögen, Ansehen".
Mit ihr trifft er sich nun seit sechs Jahren an verschiedenen Orten in Frankreich und Europa, bis der alte Politiker eines Tages Wind von der Affäre bekommt und dem jungen Archäologen kommentarlos eine Pistolenkugel ins Haus schickt. Dieses Ende ist zugleich der Anfang von Weihes Erzählung und damit auch der Anfang seiner Reise nach Santiago. Sein Hauptgrund für die Reise: Er will die gemeinsamen Bilder ihrer geheimen Treffen in seiner Erinnerung löschen, indem er sie aufschreibt: "Ich werde sie in Sprache auflösen, um sie Wort für Wort zu vergessen".
Damit gibt es zwei Erzählstränge, die sich regelmäßig abwechseln, einmal die Beschreibung seiner Reise, also eine vorwärtsgerichtete Bewegung mit einem Ziel, nämlich Santiago, und dann die täglichen Tagebucheintragungen, kursiv gedruckt, die Erinnerungsarbeit, die rückwärts verläuft.
Das Buch nimmt sich eines existentiellen Themas an und hat eine interessante und durchdachte Konstruktion. Aber es hat ein fundamentales Manko. Es fehlt ihm jeder Humor. Der junge Mann, der sich überflüssigerweise Jakob nennt, fährt nun also los (er schummelt nämlich ein wenig, er nimmt das Rad) und trifft naturgemäß eine Menge Pilgerkollegen, mit denen er Gedanken austauscht, vor allem abends in den Herbergen. Bei Weihe treffen wir zum Beispiel "ernst dreinschauende Jünglinge" oder eine Gruppe Aidskranker, die sich aufs Sterben vorbereiten: "Wir sind auf dem Camino unterwegs, um unseren Lebensweg zusammenzufassen und mit uns selber ins reine zu kommen."
Es ist klar, dass "die Deutlichkeit dieser Worte Jakob beschämte". Hier die Banalität, dort der Kitsch. Die Pausen zwischen den Treffen mit seiner Geliebten nennt er "schreckliche Durststrecken deiner Unerreichbarkeit", und ihre Verfassung erkennt man mit zweideutiger Deutlichkeit daran, dass ihre "Lippen feucht sind vor Verlangen".
Dabei ist der Pilger, oder nennen wir ihn neutraler Wanderer, eine literarisch dankbare Figur. Er will sich unabhängig machen und unabhängig sein, er ist ein Abenteurer, ein einsamer Held, der niemandem untertan und nur sich selbst gegenüber verantwortlich ist. Ein schönes Thema, nur sollte man höllisch aufpassen, dass es nicht kitschig, belehrend und klischeehaft wird.
Rezensiert von Peter Urban-Halle
Richard Weihe: Weg des Vergessens
Dörlemann Verlag, Zürich 2006
160 Seiten, 18,90 Euro