Aus Liebe zu den Meerestieren

Von Almut Knigge |
Taschenkrebse, Hummer und Knurrhähne kann der Besucher in einem Tunnelaquarium bestaunen oder die Skelette von Walen bewundern: Das gerade eröffnete Ozeaneum in Stralsund ist möglicherweise sogar Europas größtes Meeresmuseum. Die Macher haben einen Wunsch: Der Besucher soll Ehrfurcht vor den Tieren bekommen.
„Ein schöner Anblick ist Stralsund von Rügen aus mit seinen hohen und gotischen Türmen, dem wunderbar gebauten Rathaus und den vielen spitzen Giebeln mit durchbrochenem Mauerwerk",“

schwärmte Wilhelm von Humboldt Ende des 18. Jahrhunderts. Und die Dichterin Ricarda Huch notierte in den 1920er Jahren:

„“ Meerstadt ist Stralsund, vom Meer erzeugt, dem Meere ähnlich, auf das Meer ist sie bezogen in ihrer Erscheinung und in ihrer Geschichte.“

Bis heute bestimmt das Meer die Geschicke und die Atmosphäre dieser alten Hansestadt – ein Blick vom Turm der Marienkirche zeigt – alle Straßen richten sich zum Meer hin aus. Wo, wenn nicht hier, könnte Deutschlands, vielleicht sogar Europas größtes Meeresmuseum stehen. Auch äußerlich verleitet der Bau zu Superlativen – auch den Architekten selbst, Stefan Behnisc:

„Es ist wirklich beeindruckender geworden, als ich es mir vorgestellt habe.“

Ein Stahl-Fachwerk trägt seine geschwungenen Formen, die Außenhaut selbst besteht aus blütenweiß lackierten Blechen – so wirken sie zwischen den denkmalgeschützten alten Backsteinspeichern wie geblähte Segel im Wind. Der Unesco-Welterberat lobte die gelungene Symbiose von Moderne und Erbe.

Vom Marienturm aus erkennt man auch, dass das Museum eigentlich aus vier Häusern besteht, sie ähneln Steinen, die das Meer rund geschliffen hat. Die Menschen sollen die Häuser umspülen wie das Wasser die Kiesel im Meer. Der Eintritt in die Stralsunder Unterwasserwelt beginnt für den Besucher erstmal mit einem Aufstieg. Über Europas längste freischwebende Rolltreppe, vorbei an riesigen Walskeletten, die unter der Hallenkuppel schweben, Hier hat die Kanzlerin heute den Bau eröffnet. Für Museumsdirektor Harald Benke ein wunderschönes Bild mit historischem Wert:

„Das sind vor allen Dingen Skelette, an denen wir hängen, an den Tieren haben wir gearbeitet, die waren hier gestrandet, dieser Finwal der hier hängt der ist hier im Greifswalder Bodden gestrandet, von uns dann bearbeitet worden. Der Pottwal da vorne ist in der Meldorfer Bucht gestrandet, den haben wir dann auch bearbeitet. Der kleine Zwergwal kommt aus der Ecke von Wismar, den haben wir auch untersucht und das sind eben Tiere, an denen haben sie geforscht, an denen haben sie gearbeitet und jetzt können wir sie hier ausstellen.“

Von 0 auf 20 Meter in 30 Sekunden. Architektur und Inhalt gehören für Ausstellungsmacher Fabian Lorer zusammen:

„Die Ausstellung fängt schon mit dem Gebäude an, also die Architektur ist schon ein Teil der Ausstellung. Wir befinden uns noch im Foyer. Durch den Höhenunterschied, die immens lange Rolltreppe und der, sag ich mal, exorbitante Ausblick, der weist ja darauf hin, dass jetzt was kommt, und es muss dann was kommen und dann wird's dunkel und dann fängt's an.“

Die Geschichte der europäischen Kaltwassermeere – eine Geschichte in 39 Kapiteln, oder besser gesagt – Aquarien. Erstes Kapitel, der Stralsunder Hafen, direkt vor der Tür. Auf einer Treppe parallel zum Aquarium kann der Besucher quasi ins Hafenbecken steigen. Protagonisten hier: kleine Rotaugen, Rotfedern und ein rostiger Fahrradrahmen.

Weil das Haus ausdrücklich Ort der Bildung sein möchte, sind all die Aquarien in Museumstrakte eingebettet, in denen multimediale Lichttische, Mikroskopierstationen und Studienmodelle den Blick fürs Detail schärfen und auf die Gefährdung des Lebensraumes Meer aufmerksam machen.

„Sie sehen diese kleinen Punkte, die leuchten dann gelblich, und es gibt dazu Erklärungen, zum Beispiel diese drei Zugänge zur Ostsee: Öresund, großer Belt, kleiner Belt. Das sind die Zugänge zur Nordsee, und da fließt eben frisches Wasser in die Ostsee ein",“

sagt Dorit Liebers-Helbig, die für das Heimatgewässer, die Ostsee zuständig ist.

„"Wir haben sehr viel wert darauf gelegt, dass wir bei der Textgestaltung den Besucher einladen, auch zu lesen. Es sind kurzeTexte, gut lesbare Texte hoffen wir, die so die Grundprinzipien der Ostseebiologie verständlich machen.“

Die Unterwasserwelt vor Helgoland mit ihren Taschenkrebsen, Hummern und Knurrhähnen kann man in einem Tunnelaquarium durchschreiten, dann schwimmen über den Besuchern demnächst kleine Katzenhaie. Weiter geht's durch die Nordsee, das Wattenmeer in den offenen Atlantik – das Prunkstück des Rundgangs: das Schwarmfischbecken. 2500 Heringe sollen hier demnächst schwimmen. 2,6 Millionen Liter Wasser, rund 14.000 Badewannenfüllungen passen hier herein.
Dorit Liebers-Helbig: #"Das Becken ist so geformt, hat so eine ovale Form, dass man die Wände gar nicht sieht, sondern dass man das Gefühl hat, ich schaue in den offenen Ozean. Wir werden hier Heringe halten, wir werden hier Makrelen halten und wir werden hier auch Raubfische reintun müssen, große Dorsche, Haie. Weil, nur wenn wir die Raubfische drin haben, zeigen die Schwarmfische dieses Schwarmverhalten. Sie klumpen zusammen, schwimmen dann wieder auseinander und das wollen wir dem Besucher zeigen.“

Der Nachteil dabei; Die Räuber wollen nicht nur spielen sondern auch Fressen. Binnen vier Wochen wäre das Becken leer. Aus der Ferne hört man Meeresrauschen und beinahe Sphärische Klänge. Eine halbe Treppe höher und eine Ecke weiter kommt der Besucher auf einmal in eine 20 Meter hohe Halle. Hier sind sie: die Riesen der Meere. Dokumentarplastiken in Lebensgröße hängen an der Decke: ein gigantischer Blauwal, 26 Meter lang und zehn Tonnen schwer, ein Orca und ein Buckelwal mit Kalb.

„Worauf wir Wert gelegt haben ist, dass diese Exponate, die sie hier sehen, also der Blauwal, der Buckelwal, der Schwertwal, das Kalb von Buckelwal, so lebensecht wie möglich gebaut wurden, das heißt, wir haben exakte Vermessungsprotokolle genommen.

Wir haben wissenschaftliche Literatur rausgesucht, wir haben uns eine Unmenge von Unterwasserfilmen angeschaut und zusammen mit den Wissenschaftlern, den Präparatoren und den Bildhauern sind jetzt diese Exponate entstanden, wo wirklich alles exakt stimmt. Die Lage des Auges, die Länge der Brustflossen stimmt, die breite der Schwanzflossen stimmt, die Ansatzstellen für die Geschlechtsorgane oder die Milchdrüsen all das stimmt.“

Der Besucher kann in der dunkelblau-silbrigen Halle dann auf Liegen Platz nehmen, und den Gesängen der Meeressäuger lauschen – ganz so, als würde man mit ihnen im Ozean schwimmen. Dahinter steckt eine Mission.

„Wir möchten den Besuchern diese faszinierenden Lebewesen zeigen, die in den Meeren vorkommen. Wir möchten ihnen die Meeresgebiete vorstellen. Wir möchten in der Halle ‚Riesen der Meere‘, dass, wenn er da rein kommt und die großen Tiere sieht, Ehrfurcht bekommt vor der Größe der Tiere und wir wollen ihm aber auch die Gefahren aufzeigen, die es für die Tiere gibt.

Der Blauwal, der hier hängt, der lebt seit Millionen von Jahren auf diesem Planeten, im Moment gibt es vielleicht gerade mal etwas über 5000 Tiere, Und wir möchten, dass wenn der Besucher dann das Haus verlässt, dass er alles Mögliche dafür tut, um den Tieren das Überleben zu ermöglichen.“