Aus der Welt eines High-School-Mädchens

Lee Fiona, ein junges Mädchen aus dem Mittleren Westen, verschlägt es an ein Elite-Internat an die Ostküste der USA. Hier trifft die Tochter eines Matratzenhändlers auf die Welt der Reichen und gerät in den Strudel alterstypischer Pubertätsprobleme. Die „New York Times“ setzte den Debütroman von Curtis Sittenfeld in die Top Ten des Jahres 2005.
Am Ende, nach mehr als 500 Romanseiten, wird der Erzählerin plötzlich klar, dass alles, was ihr bis dahin so bedeutend erschien, „im Lauf der Jahre immer bedeutungsloser werden würde; irgendwann wäre es nur noch eine Fußnote unseres wirklichen Lebens.“ In der Tat: Die Sorgen und Nöte eines amerikanischen High-School-Mädchens auf einem Elite-Internat in der Nähe von Boston sind nicht unbedingt das, was die Welt bewegt. Und an Internats- und Pubertätsromanen besteht kein wirklicher Mangel. Salingers „Fänger im Roggen“ setzt da immer noch die Maßstäbe, und Harry Potter hat in dieser Richtung auch einiges zu bieten.

Umso erstaunlicher, dass Curtis Sittenfeld, einer 29 Jahre alte Absolventin amerikanischer Schreibwerkstätten, mit ihrem Debüt „Eine Klasse für sich“ in ihrer Heimat ein Bestseller gelungen ist, der von der New York Times auf die Liste der Top Ten des Jahres 2005 gesetzt wurde. Es ist die autobiographisch grundierte Geschichte eines Mädchens aus dem Mittleren Westen, die als Tochter eines Matratzenhändlers und ausgestattet mit einem Stipendium im Eliteinternat an der Ostküste in die Welt der Schwerreichen gerät.

Ihr Außenseitertum scheint zunächst ihrer eigenen pubertären Unsicherheit zu entspringen. Sie ist in einem Alter, in dem sich jedes Lippenbläschen zur Ego-Krise auswächst und die Nähe zu einem anderen Menschen allenfalls die Frage evoziert, ob die Hautporen zu groß erscheinen könnten oder gar ein Schweißfilm sichtbar wird. Sittenfelds Heldin Lee Fiona ist mehr mit sich selbst als mit ihrer Umwelt beschäftigt. Und doch spricht sie schließlich gegenüber einer Reporterin der „New York Times“ Klartext über die internen Rassen- und Klassenschranken. Damit bricht sie ein Tabu, denn wer so etwas tut, gilt als Querulant. Aber da sind die vier Jahre auch schon um, und bevor es zu wirklichen Konflikten oder gar politischen Zerwürfnissen kommen könnte, gehen alle ihrer Wege, hinaus ins Leben. Das Internat ist nicht mehr als ein Vorspiel in einem isolierten Raum, eine „Fußnote“ eben. Vielleicht sind Internatsromane deshalb so beliebt, weil die Selbstbezüglichkeit des Schulsystems so genau dem inneren Empfinden der jugendlichen Bewohner entspricht.

Die Handlung umfasst vier Jahre, vom ersten Schultag bis zur Abschlussfeier, vom endlosen vergeblichen Anschmachten eines angebeteten Mitschülers bis zur endlich doch noch vollzogenen Entjungferung, die aber auch nichts am Unglück Lees, an ihren Selbstzweifeln, an ihrer Unsicherheit und ihrem Ungeliebtheitsgefühl ändert. Doch die Beflissenheit, mit der sie ihren ersten „Blowjob“ erledigt, wirkt so, als wäre man bei der Grundausbildung von Monica Lewinsky dabei. Bloß nichts falsch machen! – Ist das Amerika? Oder ist das bloß die Pubertät?

Erzählt wird im Rückblick, aus mindestens zehnjähriger Distanz, mit einer retrospektiven Geschwätzigkeit, die in merkwürdigem Kontrast zur scheuen Zurückgezogenheit und provinziellen Unbedarftheit der Heldin steht. Es ist, als müsse sie all das, was sie damals mit sich allein oder allenfalls der „besten Freundin“ abgemacht hat, nun endlich vor der ganzen Welt ausbreiten: ein wenig sentimental, durchaus mit Sinn für Pointen und Dialoge und in einem ewig dahinplätschernden Erzählstrom, der alle Nichtigkeiten und alle tief empfundenen Gefühle mit gleichbleibender Dringlichkeit ausbreitet.

Jedes Kapitel behandelt eine abgeschlossene Episode und ließe sich auch als einzelne Erzählung lesen. Sittenfeld hat durchaus Sinn für Pointen, für Dialoge und Stimmungen. Was dem Roman fehlt, ist eine überzeugende Gesamtkonstruktion, ein Spannungsboden und eine Entwicklung der Hauptfigur. Mal wird eine Diebin entlarvt, mal kommen die Eltern zu Besuch (für die Lee sich vor den anderen schämt), mal gibt es schlechte Noten in Mathematik, und in einem zentralen Kapitel macht Lee eine bescheidene Karriere, als sie ihre Leidenschaft entdeckt, anderen (den Jungs vor allem) die Haare zu schneiden. Nichts kann sie besser, und sie weiß auch warum: „um Kontakt zu haben, ohne jemandem wirklich nahekommen zu müssen.“ Es gibt nichts in diesem Roman, was nicht ausgesprochen, hin- und her gewendet und dreimal erklärt werden würde. Dabei handelt er doch von der Schwierigkeit, die eigenen Bedürfnisse zur Sprache zu bringen und von all den unausgesprochenen Tabus und Regeln, die den Schulalltag und das Zusammenleben der Jugendlichen so kompliziert machen.

Rezensiert von Jörg Magenau

Curtis Sittenfeld: Eine Klasse für sich
Roman
Aus dem Amerikanischen von Verena von Koskull
Aufbau-Verlag. Berlin 2006
532 Seiten, 19,90 Euro