Aus der Perspektive eines Kindes

21.12.2010
1963 wandert der elfjährige Hanns-Josef Ortheil zusammen mit seinem Vater elf Tage lang an der Mosel und schrieb ein Reisetagebuch. Als arrivierter Schriftsteller wiederholte er die Tour - und hat nun beides zu einem Buch verbunden.
Die Kinderperspektive ist eine der schwierigsten Erzählweisen in der Literatur. Was aber, wenn wirklich ein Kind schreibt? Im Sommer 1963 unternimmt der elfjährige Hanns-Josef Ortheil zusammen mit seinem Vater zu Fuß eine elftägige Reise entlang der Mosel.

Die Besonderheit: Der junge Ortheil schreibt bereits mit großer Selbstverständlichkeit, sammelt Notate, führt mit enormer Energie, hellwacher Beobachtungsgabe und kindlicher Besessenheit ein Reisetagebuch, das um Fragen kreist wie die, warum seine herzkranke Mutter nicht mitkommen kann, weshalb manche Weine "Nacktarsch" heißen oder "Warum ich kein Theologe oder Priester werden möchte".

Hanns-Josef Ortheil hat später, als arrivierter Schriftsteller, diese Moselreise wiederholt. Sein in diesem Herbst erschienener "Roman eines Kindes" mit dem Titel "Die Moselreise" enthält das ursprüngliche Konvolut von Aufzeichnungen der ersten Moselreise, stellt dieses aber in den Kontext poetologischer Fragen und einer Familienaufstellung, die mitten ins Zentrum des literarischen Werks von Hanns-Josef Ortheil führen. Entstanden ist ein faszinierendes Buch übers Reisen und übers Schreiben, übers Schauen, über Kindsein und über Familie. Ein Buch, das einen in Kontakt bringt mit dem Kind, das in jedem von uns steckt.

Besprochen von Denis Scheck

Hanns-Josef Ortheil: Die Moselreise
Luchterhand, München 2010
224 Seiten, 16,99 Euro