Aus der Gefühlswelt einer Mitläuferin
Brigitte Penkert war im Zweiten Weltkrieg Rotkreuzschwester an der Ostfront. Überzeugt von der Ideologie der Nazis wollte sie dem Vaterland im Kampf gegen die „Asiaten“ dienen. Ihre nun veröffentlichten Feldpostbriefe geben Einblicke in die Gedanken- und Gefühlswelt einer typischen Mitläuferin des Nationalsozialismus.
Brigitte Penkert (1911-1986) war Rotkreuzschwester im Zweiten Weltkrieg. Ihren Dienst verrichtete sie nahe der Ostfront. Eine Frau aus gutbürgerlichem Elternhaus. Als sie sich unmittelbar nach Kriegsbeginn zur Schwesternhelferin beim Roten Kreuz ausbilden lässt, ist sie schon Ende 20, verheiratet und Mutter eines Kindes. Sie vertraut das Kind der Großmutter an, überlässt den Mann sich selbst und brennt darauf, ihrem Vaterland zu dienen.
„Es liegen so schwere, große Entscheidungen vor uns, und dann – nach dem Krieg – eine solche Fülle von Aufgaben, dass man gar nicht anders kann, als voraus zu denken, wie wir deutschen Menschen wohl am besten den Ansprüchen genügen können, die das Amt, das wir haben werden, an uns stellen wird. ... Im letzten Grunde, für Generationen gesehen, wird uns wohl die Aufgabe gestellt sein, Europa ‚in Form zu bringen‘ für den Kampf im Osten, das heißt gegen alles was ‚Asiat‘ ist.“
So schreibt Brigitte Penkert an die Mutter nach Breslau im Oktober 1940. Es schien, als würde Nazideutschland in einem einzigen kriegerischen Zug die Herrschaft über Europa erringen. Und da verspürt sie das dringende Bedürfnis, in völliger Übereinstimmung mit der Naziideologie, von „der Warte aus“, wie sie es nennt, Betrachtungen anzustellen. Noch arbeitet sie in Düsseldorf, im Westen, hat Schwerverletzte gepflegt, junge Soldaten sterben sehen, ist den britischen Angriffen ausgesetzt. Ihre ganze Hoffnung liegt auf einer Einberufung zum echten Einsatz an die Ostfront.
Die Briefe Brigitte Penkerts, herausgegeben von ihrer Tochter Sybille Penkert und Jens Ebert, sind ein weiteres Zeugnis über die Befindlichkeit von Menschen im Nationalsozialismus. Wir haben es hier wieder einmal mit einem überraschenden Dachbodenfund zu tun, in dem sich sogar ein Superlativ verbirgt. Es handelt sich um die umfangreichste Dokumentation von Feldpostbriefen einer Frau. Zum tieferen Verständnis geht Jens Ebert in seinem Vorwort auf den historischen Hintergrund ein, macht auf Herkunft und Erfahrung der Briefschreiberin in seinem Leitfaden für den Leser aufmerksam. Er vergleicht Briefstellen mit den historischen Erkenntnissen und bemüht sich aufzuzeigen, worin die uns Heutigen so anmaßend und roh vorkommenden Äußerungen ihre Ursache haben. Zum Beispiel ein Passus, wie der folgende aus einem Brief aus Kursk vom Oktober 1942:
„Zimmer scheuern usw., Schuhe putzen, Wäsche waschen, eben alle Nebenarbeit machen Russenfrauen für uns. ... Ich werde nur ein ekelhaftes Gefühl nicht los, wenn sie meine Waschschüssel und mein Bettzeug anfassen ... Wie bestialisch können diese Asiaten sein! Und so etwas trägt ein Menschengesicht! Und hätte über unsere Kinder kommen können! In Russland weiß man wohl noch besser als an allen anderen Fronten, worum man kämpft, wofür man fällt.“
Worin das bestialische Verhalten der Asiaten (womit die Schreiberin Russen beziehungsweise Sowjetmenschen meint) besteht, erwähnt sie nicht, wie sie fast nichts über die Umgebung außerhalb des Lazaretts berichtet. Über den Frontverlauf aber ist sie stets bestens informiert. Schwer zu fassen, dass ein Mensch mit Verstand derart von Vorurteilen geprägt ist. Dabei vertrat durchaus ein großer Teil der Deutschen diese Ansicht, und wie wir längst wissen, keineswegs nur die Dummen. Und doch sollte man die uns gruselnde Erlebniswelt nicht abqualifizieren, sondern versuchen, die Ursachen solcher Haltung zu ergründen, das Bild zu vervollständigen, das wir vom Nationalsozialismus haben. Darauf weist auch Jens Ebert hin. Das freilich bedeutet nicht, das Geschriebene unkritisch zur Kenntnis zu nehmen.
Warum Menschen für den Nationalsozialismus glühten und andere, wenn auch weitaus weniger, das Menschenverachtende und die Überzeugung von der eigenen Überlegenheit zutiefst ablehnten, wird man auch aus diesen Briefen nicht in Erfahrung bringen.
Geradezu abstrus wirkt das Hervorschimmern behaglicher Bürgerlichkeit, für die Brigitte Penkert durchaus Sinn hat, neben dem leidenschaftlichen Wunsch, gegen das „Asiatische“ zu kämpfen und dafür jeden Verzicht zu erbringen. Dazu der immer wieder von ihr beschworene Wille, der nichts anderes meint, als sich willenlos dem großen Ganzen unterzuordnen. Sie berauscht sich an ihrer Charakterfestigkeit, genießt das Gefühl der moralisch Hochstehenden bis zu allerletzt:
„Russland hat es schon in sich, das kann man wohl sagen. ... Die Schwestern, mit denen ich hier arbeite, sind wirklich die diszipliniertesten Frauenwesen, die mir bisher begegnet sind. Schließlich hält sich ja hier nur das, was in jeder Lebens- und Dienstlage brauchbar ist. Ausfälle durch Krankheit, Überanstrengung und auch mal moralische Minderwertigkeit haben wir genug. So was zieht dann schleunigst heim und hat unseren Segen dazu. Solchen Abfall können wir hier nicht brauchen.“
Diese Zeilen stammen aus einem Brief vom Januar 1943. Da liegt Stalingrad schon hinter den Deutschen, Tote und Schwerverletzte gibt es ohne Zahl. Doch im selben Brief fährt die Schreiberin fort:
„Mit wie viel Humor sich die Menschen hier gegenseitig alles leichter machen, könnt Ihr Euch schwerlich vorstellen. Es ist schon eine Freude, wie viel menschlich Gutes da zu Tage kommt.“
Erstaunlich genug, in keinem Brief klingt auch nur ein antisemitisches Wort an. Zum engsten Freundeskreis der Familie zählte sogar ein jüdisches Ehepaar, dem man half, mit gefälschten Papieren dem Holocaust zu entgehen.
Fraglos war Brigitte Penkert über Konzentrations- und Vernichtungslager informiert. Selbst, wenn ihr das schmerzvoll gewesen sein sollte, wovon man jedoch eher nicht ausgehen kann, hätte sie natürlich in Feldpostbriefen nichts dazu geschrieben. Es gab ja die Zensur. Eines aber kann den Leser trotz allem für die Frau einnehmen: Die tiefe Zuneigung zu ihrer Familie, der liebevolle Umgang miteinander, die aus jedem Brief sprechen. Doch so sehr ihr Vater, Mutter, Kind und Geschwister fehlen, ist sie überzeugt, das Richtige zu tun. Denn der Einzelne ist ja nichts, das Volk ist alles, wie es damals hieß und wie sie einmal schreibt.
In furchterregender Nibelungentreue bleibt die Briefschreiberin dem Nationalsozialismus bis zum Untergang ergeben. Sie erwartete von jedem Mann in der Heimat, an die Front zu eilen, als der verlorene Krieg sicher scheint. Sie selbst ist beseelt von dem Gedanken, Opfer für das deutsche Volk zu bringen, das sie liebe, wie sie schreibt. Wundersamer Weise schafft sie es, nach dem Krieg wieder zu ihrer Familie zu gelangen. Mit dem neuen Leben kommt sie nicht zurecht; so fristet sie eine Untermieter- und Dachstubenexistenz. Sie stirbt 1986.
Mit der dankenswerten Herausgabe ihrer Briefe jedoch können wir Nachgeborenen Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt einer der typischen Mitläuferinnen des Nationalsozialismus nehmen. Eingängiger als viele wissenschaftliche Abhandlung macht das Buch deutlich, welch schreckliche Konsequenzen ideologische Verbohrtheit nach sich zieht.
Brigitte Penkert: Briefe einer Rotkreuzschwester von der Ostfront
Herausgegeben von Jens Ebert und Sibylle Penkert
Wallstein Verlag, Göttingen 2006
„Es liegen so schwere, große Entscheidungen vor uns, und dann – nach dem Krieg – eine solche Fülle von Aufgaben, dass man gar nicht anders kann, als voraus zu denken, wie wir deutschen Menschen wohl am besten den Ansprüchen genügen können, die das Amt, das wir haben werden, an uns stellen wird. ... Im letzten Grunde, für Generationen gesehen, wird uns wohl die Aufgabe gestellt sein, Europa ‚in Form zu bringen‘ für den Kampf im Osten, das heißt gegen alles was ‚Asiat‘ ist.“
So schreibt Brigitte Penkert an die Mutter nach Breslau im Oktober 1940. Es schien, als würde Nazideutschland in einem einzigen kriegerischen Zug die Herrschaft über Europa erringen. Und da verspürt sie das dringende Bedürfnis, in völliger Übereinstimmung mit der Naziideologie, von „der Warte aus“, wie sie es nennt, Betrachtungen anzustellen. Noch arbeitet sie in Düsseldorf, im Westen, hat Schwerverletzte gepflegt, junge Soldaten sterben sehen, ist den britischen Angriffen ausgesetzt. Ihre ganze Hoffnung liegt auf einer Einberufung zum echten Einsatz an die Ostfront.
Die Briefe Brigitte Penkerts, herausgegeben von ihrer Tochter Sybille Penkert und Jens Ebert, sind ein weiteres Zeugnis über die Befindlichkeit von Menschen im Nationalsozialismus. Wir haben es hier wieder einmal mit einem überraschenden Dachbodenfund zu tun, in dem sich sogar ein Superlativ verbirgt. Es handelt sich um die umfangreichste Dokumentation von Feldpostbriefen einer Frau. Zum tieferen Verständnis geht Jens Ebert in seinem Vorwort auf den historischen Hintergrund ein, macht auf Herkunft und Erfahrung der Briefschreiberin in seinem Leitfaden für den Leser aufmerksam. Er vergleicht Briefstellen mit den historischen Erkenntnissen und bemüht sich aufzuzeigen, worin die uns Heutigen so anmaßend und roh vorkommenden Äußerungen ihre Ursache haben. Zum Beispiel ein Passus, wie der folgende aus einem Brief aus Kursk vom Oktober 1942:
„Zimmer scheuern usw., Schuhe putzen, Wäsche waschen, eben alle Nebenarbeit machen Russenfrauen für uns. ... Ich werde nur ein ekelhaftes Gefühl nicht los, wenn sie meine Waschschüssel und mein Bettzeug anfassen ... Wie bestialisch können diese Asiaten sein! Und so etwas trägt ein Menschengesicht! Und hätte über unsere Kinder kommen können! In Russland weiß man wohl noch besser als an allen anderen Fronten, worum man kämpft, wofür man fällt.“
Worin das bestialische Verhalten der Asiaten (womit die Schreiberin Russen beziehungsweise Sowjetmenschen meint) besteht, erwähnt sie nicht, wie sie fast nichts über die Umgebung außerhalb des Lazaretts berichtet. Über den Frontverlauf aber ist sie stets bestens informiert. Schwer zu fassen, dass ein Mensch mit Verstand derart von Vorurteilen geprägt ist. Dabei vertrat durchaus ein großer Teil der Deutschen diese Ansicht, und wie wir längst wissen, keineswegs nur die Dummen. Und doch sollte man die uns gruselnde Erlebniswelt nicht abqualifizieren, sondern versuchen, die Ursachen solcher Haltung zu ergründen, das Bild zu vervollständigen, das wir vom Nationalsozialismus haben. Darauf weist auch Jens Ebert hin. Das freilich bedeutet nicht, das Geschriebene unkritisch zur Kenntnis zu nehmen.
Warum Menschen für den Nationalsozialismus glühten und andere, wenn auch weitaus weniger, das Menschenverachtende und die Überzeugung von der eigenen Überlegenheit zutiefst ablehnten, wird man auch aus diesen Briefen nicht in Erfahrung bringen.
Geradezu abstrus wirkt das Hervorschimmern behaglicher Bürgerlichkeit, für die Brigitte Penkert durchaus Sinn hat, neben dem leidenschaftlichen Wunsch, gegen das „Asiatische“ zu kämpfen und dafür jeden Verzicht zu erbringen. Dazu der immer wieder von ihr beschworene Wille, der nichts anderes meint, als sich willenlos dem großen Ganzen unterzuordnen. Sie berauscht sich an ihrer Charakterfestigkeit, genießt das Gefühl der moralisch Hochstehenden bis zu allerletzt:
„Russland hat es schon in sich, das kann man wohl sagen. ... Die Schwestern, mit denen ich hier arbeite, sind wirklich die diszipliniertesten Frauenwesen, die mir bisher begegnet sind. Schließlich hält sich ja hier nur das, was in jeder Lebens- und Dienstlage brauchbar ist. Ausfälle durch Krankheit, Überanstrengung und auch mal moralische Minderwertigkeit haben wir genug. So was zieht dann schleunigst heim und hat unseren Segen dazu. Solchen Abfall können wir hier nicht brauchen.“
Diese Zeilen stammen aus einem Brief vom Januar 1943. Da liegt Stalingrad schon hinter den Deutschen, Tote und Schwerverletzte gibt es ohne Zahl. Doch im selben Brief fährt die Schreiberin fort:
„Mit wie viel Humor sich die Menschen hier gegenseitig alles leichter machen, könnt Ihr Euch schwerlich vorstellen. Es ist schon eine Freude, wie viel menschlich Gutes da zu Tage kommt.“
Erstaunlich genug, in keinem Brief klingt auch nur ein antisemitisches Wort an. Zum engsten Freundeskreis der Familie zählte sogar ein jüdisches Ehepaar, dem man half, mit gefälschten Papieren dem Holocaust zu entgehen.
Fraglos war Brigitte Penkert über Konzentrations- und Vernichtungslager informiert. Selbst, wenn ihr das schmerzvoll gewesen sein sollte, wovon man jedoch eher nicht ausgehen kann, hätte sie natürlich in Feldpostbriefen nichts dazu geschrieben. Es gab ja die Zensur. Eines aber kann den Leser trotz allem für die Frau einnehmen: Die tiefe Zuneigung zu ihrer Familie, der liebevolle Umgang miteinander, die aus jedem Brief sprechen. Doch so sehr ihr Vater, Mutter, Kind und Geschwister fehlen, ist sie überzeugt, das Richtige zu tun. Denn der Einzelne ist ja nichts, das Volk ist alles, wie es damals hieß und wie sie einmal schreibt.
In furchterregender Nibelungentreue bleibt die Briefschreiberin dem Nationalsozialismus bis zum Untergang ergeben. Sie erwartete von jedem Mann in der Heimat, an die Front zu eilen, als der verlorene Krieg sicher scheint. Sie selbst ist beseelt von dem Gedanken, Opfer für das deutsche Volk zu bringen, das sie liebe, wie sie schreibt. Wundersamer Weise schafft sie es, nach dem Krieg wieder zu ihrer Familie zu gelangen. Mit dem neuen Leben kommt sie nicht zurecht; so fristet sie eine Untermieter- und Dachstubenexistenz. Sie stirbt 1986.
Mit der dankenswerten Herausgabe ihrer Briefe jedoch können wir Nachgeborenen Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt einer der typischen Mitläuferinnen des Nationalsozialismus nehmen. Eingängiger als viele wissenschaftliche Abhandlung macht das Buch deutlich, welch schreckliche Konsequenzen ideologische Verbohrtheit nach sich zieht.
Brigitte Penkert: Briefe einer Rotkreuzschwester von der Ostfront
Herausgegeben von Jens Ebert und Sibylle Penkert
Wallstein Verlag, Göttingen 2006