Aus der Buchhaltung ins Varieté
Paul Epkes lässt sein trostloses Leben mit seinem dementen Vater, einer lieblosen Beziehung und einem Job als Buchhalter hinter sich. Er tourt mit einer Chanson-Sängerin durch die Provinz. Die beiden aus dem Leben Gefallenen schöpfen Vertrauen zueinander.
Was bleibt einem Mann, der alles verloren hat? Am Ende wohl nicht einmal mehr seine Schuhe. Martin Gülich, Autor aus Freiburg im Breisgau, der auch als Lektor und Leiter von Schreibkursen sein Geld verdient, mutet seinem Helden allerhand zu. "Was uns nicht gehört" heißt sein neues Buch, das als Novelle vielleicht besser bezeichnet wäre denn als Roman, wie es auf dem Cover steht.
Der Ich-Erzähler Paul Epkes ist Mitte 40, in dem Alter also, in dem recht häufig die Midlife-Krise zuschlägt. Er verliert seinen Job als Buchhalter einer Kartonage-Fabrik und außerdem auch noch die Freundin, die aber eher für regelmäßigen Sex als für die große Liebe in seinem Leben zuständig war. Außerdem hat er einen an Demenz leidenden Vater, der ihn schon lange nicht mehr erkennt, wenn er ihn im Pflegeheim besucht.
Was "Epkes", wie ihn seine Freunde nennen, verliert, ist also eigentlich nicht viel mehr als die Ödnis eines auf Dauer gestellten, überraschungsarmen Daseins und seine finanzielle Sicherheit. Was er gewinnt, ist die Freiheit eines an nichts mehr gebundenen Daseins. In einem armseligen Varieté, wo er, um ein wenig Geld zu verdienen, einen Job als Garderoben-Mann annimmt, lernt er eine Chanson-Sängerin kennen, die mit Mireille-Mathieu-Perücke auftritt und in einem alten Campingbus durch die Provinz tingelt.
Ihr schließt er sich an, ohne etwas von ihr zu wissen und ohne etwas von sich preiszugeben. Die beiden aus dem eigenen Leben Gefallenen schöpfen Vertrauen zueinander. Eine merkwürdige, nahezu berührungslose Zuneigung entwickelt sich, eine Gemeinschaft, die weder eine Vergangenheit, noch eine wirkliche Perspektive besitzt. Und wenn der demente Vater, der in den Gedanken des Erzählers stets präsent bleibt, nur noch in fernen, versunkenen Vergangenheiten existiert, so lebt dieses Paar in einer voraussetzungslosen Gegenwart. Man muss fürchten, dass es damit schon sehr bald vorbei sein wird.
Wie Martin Gülich diese zarte Geschichte als Road-Novel der westdeutschen Provinz gestaltet, ist das eigentliche Ereignis. Da geht es weniger um den an Überraschungen nicht eben armen Fortgang der Reise, als um die eigentümliche, respektvoll distanzierte Nähe, die er zwischen den beiden Verlorenen entstehen lässt. Der Titel "Was uns nicht gehört" bezieht sich explizit auf den Sex, der zwar nicht ganz unterbleibt, der aber nicht das ist, was ihr Verhältnis ausmacht. Vielleicht bezieht er sich aber auch auf die Möglichkeit, tatsächlich ein gemeinsames, dauerhaftes Leben zu entwickeln.
"Was uns nicht gehört" handelt davon, wie man sich bewegt ohne Boden unter den Füßen. Es ist eine schön melancholische Liebesgeschichte, die durch die penible, buchhalterisch-bürokratische Denkungsweise des Ich-Erzählers aber auch viele komische Momente besitzt.
Besprochen von Jörg Magenau
Martin Gülich: Was uns nicht gehört
Nagel & Kimche, München 2012
172 Seiten, 17,90 Euro
Der Ich-Erzähler Paul Epkes ist Mitte 40, in dem Alter also, in dem recht häufig die Midlife-Krise zuschlägt. Er verliert seinen Job als Buchhalter einer Kartonage-Fabrik und außerdem auch noch die Freundin, die aber eher für regelmäßigen Sex als für die große Liebe in seinem Leben zuständig war. Außerdem hat er einen an Demenz leidenden Vater, der ihn schon lange nicht mehr erkennt, wenn er ihn im Pflegeheim besucht.
Was "Epkes", wie ihn seine Freunde nennen, verliert, ist also eigentlich nicht viel mehr als die Ödnis eines auf Dauer gestellten, überraschungsarmen Daseins und seine finanzielle Sicherheit. Was er gewinnt, ist die Freiheit eines an nichts mehr gebundenen Daseins. In einem armseligen Varieté, wo er, um ein wenig Geld zu verdienen, einen Job als Garderoben-Mann annimmt, lernt er eine Chanson-Sängerin kennen, die mit Mireille-Mathieu-Perücke auftritt und in einem alten Campingbus durch die Provinz tingelt.
Ihr schließt er sich an, ohne etwas von ihr zu wissen und ohne etwas von sich preiszugeben. Die beiden aus dem eigenen Leben Gefallenen schöpfen Vertrauen zueinander. Eine merkwürdige, nahezu berührungslose Zuneigung entwickelt sich, eine Gemeinschaft, die weder eine Vergangenheit, noch eine wirkliche Perspektive besitzt. Und wenn der demente Vater, der in den Gedanken des Erzählers stets präsent bleibt, nur noch in fernen, versunkenen Vergangenheiten existiert, so lebt dieses Paar in einer voraussetzungslosen Gegenwart. Man muss fürchten, dass es damit schon sehr bald vorbei sein wird.
Wie Martin Gülich diese zarte Geschichte als Road-Novel der westdeutschen Provinz gestaltet, ist das eigentliche Ereignis. Da geht es weniger um den an Überraschungen nicht eben armen Fortgang der Reise, als um die eigentümliche, respektvoll distanzierte Nähe, die er zwischen den beiden Verlorenen entstehen lässt. Der Titel "Was uns nicht gehört" bezieht sich explizit auf den Sex, der zwar nicht ganz unterbleibt, der aber nicht das ist, was ihr Verhältnis ausmacht. Vielleicht bezieht er sich aber auch auf die Möglichkeit, tatsächlich ein gemeinsames, dauerhaftes Leben zu entwickeln.
"Was uns nicht gehört" handelt davon, wie man sich bewegt ohne Boden unter den Füßen. Es ist eine schön melancholische Liebesgeschichte, die durch die penible, buchhalterisch-bürokratische Denkungsweise des Ich-Erzählers aber auch viele komische Momente besitzt.
Besprochen von Jörg Magenau
Martin Gülich: Was uns nicht gehört
Nagel & Kimche, München 2012
172 Seiten, 17,90 Euro