Aus der Art geschlagen?
Keiner hat die Idee vom göttlichen Schöpfungsplan so gründlich zersetzt wie der britische Naturforscher Charles Darwin. Mit seinem 1859 veröffentlichten Hauptwerk "Die Entstehung der Arten" etablierte er die Vorstellung, dass die Natur von stetem Wandel, Zufall und Unvollkommenheit geprägt ist. Die Evolutionstheorie rechnet den Menschen zur Ordnung der Primaten - wogegen auch im Darwin-Jahr 2009 Kreationisten protestieren.
"Ich will zunächst eine kurze Übersicht über die Entwicklung der Ansichten von der Entstehung der Arten geben."
Mit diesen schlichten Worten beginnt Charles Darwins wichtigstes Werk, erstmals veröffentlicht am 24. November 1859 und noch am Erscheinungstag vergriffen.
Die Entstehung der Arten entfaltet eine der einflussreichsten Theorien überhaupt, ist aber für gemeine Leseratten - eine Unterart des Homo sapiens, zu der Charles Darwin selbst gerechnet werden darf - ohne weiteres verständlich.
Auch deshalb unterscheidet sich das Darwin-Jahr charakteristisch vom Einstein-Jahr 2005, in dem sich die Mehrheit des Publikums mit den Sprüchen des kauzigen Weltweisen bescheiden musste, während die sachgerechte Diskussion der speziellen Relativitätstheorie Fachleuten vorbehalten blieb.
In Die Entstehung der Arten gebraucht Charles Darwin häufig das Personalpronomen 'ich' - ohne irgendeine Besserwisserei. Er wirkt vielmehr wie ein netter Fremdenführer, der selbst darüber staunt, dass er die verzwickte Gedankenroute durch die Naturgeschichte tatsächlich gefunden hat. Darwins Sohn Francis sprach treffend vom "herzlichen und vertraulichen Ton gegenüber dem Leser".
Dabei hatte der Forscher, der sich als "Millionär von seltsamen und wunderlichen Tatsachen" bezeichnete, bei der Fahnenkorrektur mit Frustrationen gekämpft.
"Ich bin in letzter Zeit so lustlos und ausgelaugt. Seit Monaten plagt mich der Zweifel, ob ich nicht Zeit und Arbeit für nichts und wieder nichts vergeude."
Es war eine überflüssige Sorge. Darwins Schriften haben das Selbstverständnis des aufgeklärten Menschen maßgelblich geprägt - als eines hoch entwickelten Tieres, das überraschenderweise in dem vom Zufall regierten Prozess der Mutation und Selektion entstanden ist.
Diese Botschaft gefiel nicht jedem im viktorianischen England - Darwin wurde spöttisch "Kaplan des Teufels" genannt -, und sie gefällt auch heute nicht jedem.
Noch ist unklar, wie weit sich im Darwin-Jahr die Kampfzone zwischen den Anhängern der Evolutionstheorie und den Schöpfungsgläubigen, an deren Spitze die Hardcore-Kreationisten stehen, ausdehnen wird. Sicher ist jedoch, dass sich der Abfall vom Glauben in Darwins Leben beispielhaft verfolgen lässt. Er begann die Weltreise auf dem Vermessungsschiff Beagle 1831 als anglikanischer Christ - und resümierte in der späten Skizze "Mein Leben":
"Der Gemütszustand, den großartige Landschafen früher in mir hervorriefen - er war eng mit einem Glauben an Gott verbunden -, war nicht wesentlich verschieden von dem Gefühl, das man häufig die Empfindung des Erhabenen nennt; und wie schwierig es auch sein mag, die Entstehung dieser Empfindung zu erklären, als Beweis für die Existenz Gottes lässt sie sich kaum anführen."
Heute wird das Erhabene nur noch selten als Gottesbeweis bemüht. Fragen wie 'Warum das alles?' oder 'Was war vor dem Urknall?' begründen jedoch weiterhin Skepsis gegenüber materialistischen Welterklärungen.
Deshalb wird die Melodie der orthodoxen Evolutionslehre von Forschern wie Simon Conway Morris oder dem kürzlich verstorbenen Gerhard Neuweiler mit bemerkenswerten Zwischentönen aufgefrischt. Neuweiler hat den Menschen mit rein biologischen Argumenten, also ohne theologische Beihilfe, zur Krone der Schöpfung erklärt - und gegen atheistische Gen-Materialisten wie Richard Dawkins, den Autor von Das egoistische Gen, Stellung bezogen.
Charles Darwin selbst mutierte im Alter nicht zum missionarischen Atheisten, er blieb auf der Schwelle des Zweifels stehen.
"Das Mysterium vom Anfang aller Dinge können wir nicht aufklären; und ich jedenfalls muss mich damit zufriedengeben, Agnostiker zu bleiben."
Im Darwin-Jahr wird erneut über den Kulturchauvinismus des lebenslang kränkelnden Autors aus der ländlichen englischen Oberschicht zu reden sein - Kulturchauvinismus, nicht biologischer Rassismus. Und dabei könnte auch der Sozialdarwinismus auf die Agenda kommen, der die Welt in den letzten Dekaden als Raubtierkapitalismus heimgesucht hat und in Zeiten der Wirtschaftskrise kritischer denn je betrachtet wird. Es dürfte gefragt werden, was Darwin überhaupt mit Sozialdarwinismus zu tun hat.
Richtig ist, dass es in Die Entstehung der Arten das Kapitel "Struggle for existence" gibt, das hierzulande in der unglücklichen Übersetzung "Der Kampf ums Dasein" berüchtigt wurde. Darwin schreibt:
"Nie dürfen wir vergessen, dass jedes organische Wesen sozusagen die äußerste Vermehrung seiner Kopfzahl erstrebt, dass jedes in einer gewissen Zeit seines Lebens kämpfen muss und dass unvermeidlich heftige Zerstörungen über alt und jung entweder in jeder Generation oder in wiederkehrenden Perioden vorkommen."
Doch Darwin hatte dabei Pflanzen und Tiere im Auge, der Mensch kommt in der Entstehung der Arten gar nicht vor. Was der moralisch wachsame, philanthropische Autor vom gesellschaftlichen Zusammenleben denkt, kann man in Die Abstammung des Menschen nachlesen, wo der Mensch als "soziales Tier" charakterisiert wird.
"Selbst wenn wir ganz allein sind, wie oft denken wir mit Vergnügen oder mit Kummer daran, was andere von uns denken - an deren vermeintliche Billigung oder Missbilligung; und dies alles ist Folge der Sympathie, eines Fundamentalelements der sozialen Instinkte. Ein Mensch, welcher keine Spur derartiger Instinkte besäße, würde ein unnatürliches Monster sein."
Dass es keine reine Darwin-Lehre gibt, ist eine Binsenweisheit mit wissenschaftlichem Hintergrund. Ernst Mayr, genannt "Schlaumayrchen", der Vater der synthetischen Evolutionstheorie im 20. Jahrhundert, hat zurecht behauptet:
"Obwohl Physik und Chemie der Evolutionsbiologie gute Dienste leisteten, stehe diese als historisch rekonstruierende Disziplin den Geisteswissenschaften nahe. Evolutionsbiologen würden nicht von unumstößlichen Naturgesetzen handeln, sondern von fehlbaren Konzepten wie eben 'natürliche Auslese' oder 'Kampf ums Dasein'."
Der Kampf um Darwin dürfte im Darwin-Jahr einen neuen Höhepunkt erreichen. Langeweile droht dabei nicht, solange die Streithähne nur genügend schöne Zitate des Forschers bemühen. In seinem Notizbuch hielt Darwin fest:
"Derjenige, der den Pavian versteht, würde mehr zur Metaphysik beitragen als [der Philosoph John] Locke."
Mit diesen schlichten Worten beginnt Charles Darwins wichtigstes Werk, erstmals veröffentlicht am 24. November 1859 und noch am Erscheinungstag vergriffen.
Die Entstehung der Arten entfaltet eine der einflussreichsten Theorien überhaupt, ist aber für gemeine Leseratten - eine Unterart des Homo sapiens, zu der Charles Darwin selbst gerechnet werden darf - ohne weiteres verständlich.
Auch deshalb unterscheidet sich das Darwin-Jahr charakteristisch vom Einstein-Jahr 2005, in dem sich die Mehrheit des Publikums mit den Sprüchen des kauzigen Weltweisen bescheiden musste, während die sachgerechte Diskussion der speziellen Relativitätstheorie Fachleuten vorbehalten blieb.
In Die Entstehung der Arten gebraucht Charles Darwin häufig das Personalpronomen 'ich' - ohne irgendeine Besserwisserei. Er wirkt vielmehr wie ein netter Fremdenführer, der selbst darüber staunt, dass er die verzwickte Gedankenroute durch die Naturgeschichte tatsächlich gefunden hat. Darwins Sohn Francis sprach treffend vom "herzlichen und vertraulichen Ton gegenüber dem Leser".
Dabei hatte der Forscher, der sich als "Millionär von seltsamen und wunderlichen Tatsachen" bezeichnete, bei der Fahnenkorrektur mit Frustrationen gekämpft.
"Ich bin in letzter Zeit so lustlos und ausgelaugt. Seit Monaten plagt mich der Zweifel, ob ich nicht Zeit und Arbeit für nichts und wieder nichts vergeude."
Es war eine überflüssige Sorge. Darwins Schriften haben das Selbstverständnis des aufgeklärten Menschen maßgelblich geprägt - als eines hoch entwickelten Tieres, das überraschenderweise in dem vom Zufall regierten Prozess der Mutation und Selektion entstanden ist.
Diese Botschaft gefiel nicht jedem im viktorianischen England - Darwin wurde spöttisch "Kaplan des Teufels" genannt -, und sie gefällt auch heute nicht jedem.
Noch ist unklar, wie weit sich im Darwin-Jahr die Kampfzone zwischen den Anhängern der Evolutionstheorie und den Schöpfungsgläubigen, an deren Spitze die Hardcore-Kreationisten stehen, ausdehnen wird. Sicher ist jedoch, dass sich der Abfall vom Glauben in Darwins Leben beispielhaft verfolgen lässt. Er begann die Weltreise auf dem Vermessungsschiff Beagle 1831 als anglikanischer Christ - und resümierte in der späten Skizze "Mein Leben":
"Der Gemütszustand, den großartige Landschafen früher in mir hervorriefen - er war eng mit einem Glauben an Gott verbunden -, war nicht wesentlich verschieden von dem Gefühl, das man häufig die Empfindung des Erhabenen nennt; und wie schwierig es auch sein mag, die Entstehung dieser Empfindung zu erklären, als Beweis für die Existenz Gottes lässt sie sich kaum anführen."
Heute wird das Erhabene nur noch selten als Gottesbeweis bemüht. Fragen wie 'Warum das alles?' oder 'Was war vor dem Urknall?' begründen jedoch weiterhin Skepsis gegenüber materialistischen Welterklärungen.
Deshalb wird die Melodie der orthodoxen Evolutionslehre von Forschern wie Simon Conway Morris oder dem kürzlich verstorbenen Gerhard Neuweiler mit bemerkenswerten Zwischentönen aufgefrischt. Neuweiler hat den Menschen mit rein biologischen Argumenten, also ohne theologische Beihilfe, zur Krone der Schöpfung erklärt - und gegen atheistische Gen-Materialisten wie Richard Dawkins, den Autor von Das egoistische Gen, Stellung bezogen.
Charles Darwin selbst mutierte im Alter nicht zum missionarischen Atheisten, er blieb auf der Schwelle des Zweifels stehen.
"Das Mysterium vom Anfang aller Dinge können wir nicht aufklären; und ich jedenfalls muss mich damit zufriedengeben, Agnostiker zu bleiben."
Im Darwin-Jahr wird erneut über den Kulturchauvinismus des lebenslang kränkelnden Autors aus der ländlichen englischen Oberschicht zu reden sein - Kulturchauvinismus, nicht biologischer Rassismus. Und dabei könnte auch der Sozialdarwinismus auf die Agenda kommen, der die Welt in den letzten Dekaden als Raubtierkapitalismus heimgesucht hat und in Zeiten der Wirtschaftskrise kritischer denn je betrachtet wird. Es dürfte gefragt werden, was Darwin überhaupt mit Sozialdarwinismus zu tun hat.
Richtig ist, dass es in Die Entstehung der Arten das Kapitel "Struggle for existence" gibt, das hierzulande in der unglücklichen Übersetzung "Der Kampf ums Dasein" berüchtigt wurde. Darwin schreibt:
"Nie dürfen wir vergessen, dass jedes organische Wesen sozusagen die äußerste Vermehrung seiner Kopfzahl erstrebt, dass jedes in einer gewissen Zeit seines Lebens kämpfen muss und dass unvermeidlich heftige Zerstörungen über alt und jung entweder in jeder Generation oder in wiederkehrenden Perioden vorkommen."
Doch Darwin hatte dabei Pflanzen und Tiere im Auge, der Mensch kommt in der Entstehung der Arten gar nicht vor. Was der moralisch wachsame, philanthropische Autor vom gesellschaftlichen Zusammenleben denkt, kann man in Die Abstammung des Menschen nachlesen, wo der Mensch als "soziales Tier" charakterisiert wird.
"Selbst wenn wir ganz allein sind, wie oft denken wir mit Vergnügen oder mit Kummer daran, was andere von uns denken - an deren vermeintliche Billigung oder Missbilligung; und dies alles ist Folge der Sympathie, eines Fundamentalelements der sozialen Instinkte. Ein Mensch, welcher keine Spur derartiger Instinkte besäße, würde ein unnatürliches Monster sein."
Dass es keine reine Darwin-Lehre gibt, ist eine Binsenweisheit mit wissenschaftlichem Hintergrund. Ernst Mayr, genannt "Schlaumayrchen", der Vater der synthetischen Evolutionstheorie im 20. Jahrhundert, hat zurecht behauptet:
"Obwohl Physik und Chemie der Evolutionsbiologie gute Dienste leisteten, stehe diese als historisch rekonstruierende Disziplin den Geisteswissenschaften nahe. Evolutionsbiologen würden nicht von unumstößlichen Naturgesetzen handeln, sondern von fehlbaren Konzepten wie eben 'natürliche Auslese' oder 'Kampf ums Dasein'."
Der Kampf um Darwin dürfte im Darwin-Jahr einen neuen Höhepunkt erreichen. Langeweile droht dabei nicht, solange die Streithähne nur genügend schöne Zitate des Forschers bemühen. In seinem Notizbuch hielt Darwin fest:
"Derjenige, der den Pavian versteht, würde mehr zur Metaphysik beitragen als [der Philosoph John] Locke."