Aus den Feuilltons

"Frauenbeauftragte der anderen Art"

Nora Illi, Frauenbeauftragte des "Islamischen Zentralrats Schweiz", zu Gast in der ARD-Talksendung "Anne Will" zum Thema "Mein Leben für Allah - Warum radikalisieren sich immer mehr junge Menschen?"
Nora Illi, Frauenbeauftragte des "Islamischen Zentralrats Schweiz", zu Gast in der ARD-Talksendung "Anne Will" zum Thema "Mein Leben für Allah - Warum radikalisieren sich immer mehr junge Menschen?" © picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler
Von Hans von Trotha · 07.11.2016
Mit Niqab in einer öffentlich-rechtlichen Talkshow? Eine vier Meter hohe Mauer zum Schutz vor einem Flüchtlingsheim? In der Kulturpresseschau geht es heute um Kleidung und Architektur der besonderen - der hoch politischen - Art.
"Ärger programmiert."
Der TAGESSPIEGEL treibt seine Leser ja kontinuierlich schier in den Wahnsinn mit seiner Wortspiel-im-Titel-Manie à la "Dem Attentäter auf der Busspur", wie es über der Empfehlung einer Arte-Dokumentation über den Bataclan-Mörder steht, der Bus fuhr, bevor er zum Massenmörder wurde.
Direkt daneben: "Ärger programmiert". Gemeint ist die die Einladung einer Niqab-Trägerin zu Anne Will. Während Markus Ehrenberg findet: "Es ist im Grunde egal, ob die Frau dort halb nackt oder vollverschleiert sitzt", widerspricht Joachim Huber: "Eine Nikab-Trägerin im öffentlichen Raum ist einer Verwunderung, doch keiner Aufregung wert. Eine Nikab-Trägerin in einer öffentlich-rechtlichen Talkshow ist jeder Verwunderung und jeder Aufregung wert."
Michael Hanfeld lästert in der FAZ über die "Frauenbeauftragte der anderen Art":
"Da saß jemand im öffentlich-rechtlichen Programm der ARD", so Hanfeld, "und relativierte die Verbrechen der Mördermiliz 'IS', (…) als sei gar nichts dabei. Stattdessen sprach die 'Frauenbeauftragte' des 'Islamischen Zentralrats Schweiz' von der vermeintlichen Unterdrückung der Muslime, besonders muslimischer Frauen, in unserer Gesellschaft. Sie tat das so selbstverständlich, dass den anderen Gästen schließlich der Kragen platzte. (…) Sie sprachen Klartext und bewahrten die Moderatorin bei ihrer Gratwanderung vor einem bösen Absturz. Gerade noch."
Judith Freese zitiert in der TAZ Twitterkommentare wie: "Vollverschleierte Frauenbeauftragte. Welch Ironie" oder: "Die ARD bietet einer Vollverschleierten eine Bühne für ihre Propaganda. Es kann nicht sein, dass Deutsche dafür GEZ zahlen! #krank."
Das sieht auch Henryk M. Broder so. "Nach dieser 'Anne Will'", tönt er in der WELT, "zahle ich keine TV-Gebühren mehr! (…) Ich habe das alles hingenommen und mitbezahlt, weil man auf jeder Abfallhalde etwas Wertvolles findet, wenn man lange genug sucht. (…) Ich zahlte also jeden Monat die 'Demokratiegebühr' von 17,50 Euro, auch wenn ich mir dabei vorkam, als würde ich beim Betreten eines Supermarktes abkassiert, unabhängig davon, ob und was ich kaufen möchte. (…) Sei’s drum, dachte ich",
also dachte Henryk M. Broder,
"wenn es dem sozialen Frieden dient. Aber jetzt ist Schluss", denkt Henryk M. Broder jetzt, "ich zahle nicht mehr."
Und er zitiert Anne Will mit den Worten: "Das gehört zu unserem Werteverständnis, dass wir uns mit anderen Meinungen auseinandersetzen", um zu antworten: "Nein, Frau Will, so ist es nicht. Zu unserem Werteverständnis gehört, dass wir über vieles nicht diskutieren, weil es zum Kanon der Selbstverständlichkeiten gehört."
Zum Kanon der Selbstverständlichkeiten gehört für Henryk M. Border, "dass ich sehen kann, mit wem ich es zu tun habe. Das ist die minimale Voraussetzung für jede Art von Umgang miteinander".
In der SÜDDEUTSCHEN ist der bemerkenswerte Satz zu lesen: "(Ihren) Symbolgehalt (…) darf man nicht unterschätzen. Sie ist nicht nur Chiffre der Einfriedung, sie ist zugleich auch immer ein Zeichen der Ausgrenzung."
Gemeint ist damit interessanterweise nicht die Nikab, sondern die Mauer. "Was Mauern über den Zustand einer Gesellschaft verraten", ist Gerhard Matzigs Thema: Anlass ist die von der BILD Zeitung so getaufte "Schandmauer von München", die ein Heim für junge Flüchtlinge abschotten soll. Die – "vier Meter hoch und meterdick" – provoziert bei Matzig die Frage,
"von welcher Höhe an genau und von welchem Durchmesser an präzise aus einem alltäglichen Stück Grenzarchitektur ein bemerkenswertes Skandalon wird. Diese Differenz",
so Matzig,
"ist bedeutsam, denn sie markiert auch die Trennungslinie zwischen Architektur und Politik. Womöglich sogar die zwischen drinnen und draußen – und letztlich auch die zwischen Gut und Böse."
Gabionen etwa, das sind Mauern aus von einem Drahtgeflecht zusammengehaltenen Bruchsteinen, so Gerhard Matzig,
"zur Architekturmode (geworden). Und in München-Neuperlach nun für manche eher zum Problem, für manch andere zur Lösung. Die Steine in ihren Käfigen sind nicht nur stumm, sondern auch beredt."
Wer das, was Menschen anziehen oder bauen, noch für harmlos hält, hat nicht verstanden, wie komplex die Welt geworden ist.
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