Kunst-Rabauken und Zukunftsdeutsch
Mit den Auswirkungen von Geschlechtsoptionen bei Facebook auf die deutsche Sprache beschäftigt sich die WELT. Thema in den Feuilletons sind unter anderem auch der Rotzmusiker Bushido und der neueste Film von Lars von Trier.
"Sehr geehrte Dame, sehr geehrter Herr, sehr geehrtes Bigender, sehr geehrtes Agender, sehr geehrtes Androgynous, sehr geehrter Pangender, sehr geehrter Trans Male, sehr geehrte Two Spirit, sehr geehrter Intergender […] usw. usf…"
Es war Matthias Heine, der in der Tageszeitung DIE WELT vorführte, wie die Standardanrede amtlicher Massenschriftsätze künftig aussehen könnte - falls sich durchsetzt, was Facebook in seiner englischsprachigen Fassung kürzlich eingeführt hat. Nutzer haben dort die Wahl zwischen den zwei traditionellen und 56 eher neumodischen Geschlechtsoptionen, von denen sich – wie Heine hervorhebt – "einige erst aus der Kombination mehrerer möglicher Geschlechter ergeben".
Die deutsche Sprache bräuchte dann natürlich außer Maskulinum, Femininum und Neutrum jede Menge neue Genera - die Matthias Heine auch gleich mal erfand, um sie einem fiktiven Professor in den Mund zu legen, der sein Auditorium so begrüßt:
"'Liebe Studentinnen, Studenten, Studenta, Studenti, Students, Studentanen, Studentossen, Studentissen, Studentoren, Studenter usw. usf.'"
So viel zum geschlechtergerechten Zukunftsdeutsch.
Selbstherrlichkeit, Pauschalverdammung und Ressentiment
Einen Streit über die deutsche Gegenwartsliteratur versuchte in der Wochenzeitung DIE ZEIT der Schriftsteller Maxim Biller vom Zaun zu brechen.
"Warum ist die deutsche Gegenwartsliteratur so unglaublich langweilig?", fragte Biller -und antwortete: "Weil die Enkel der Nazigeneration noch immer bestimmen, was gelesen wird. Was hier fehlt, sind lebendige literarische Stimmen von Migranten. Die aber passen sich an und kassieren Wohlfühlpreise."
Bei Lichte betrachtet, kam in Billers Polemik in der ZEIT ein erhebliches Quantum Selbstherrlichkeit, Pauschalverdammung und Ressentiment zusammen.
Trotzdem oder deswegen raffte sich der Schriftsteller und Journalist Dietmar Dath in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG zu einer Erwiderung auf und hob an:
"So geht das nicht. Die Nazi-Enkel im Betrieb, sagt [Biller] […], seien sich einig. Ich bin es nicht – auch nicht mit ihm."
Präzise auf den Punkt kam Dietmar Dath allerdings nicht. Er tat die hiesige Literatur seinerseits als "Weißbrot" ab, lobte einige völlig unbekannte Vollkornbrot-Autoren und wiederholte sein Glaubensbekenntnis:
Alles, was ihn – Dietmar Dath - intellektuell umtreibe, sei "ermöglicht von politischen Anlässen, politischen Gelegenheiten, politischen Zusammenhängen, nicht literarischen oder kulturellen."
Schriftsteller zum Maidan
Das würde wohl auch Bernard-Henri Lévy unterschreiben. Der französische Großpublizist rief – ebenfalls in der FAZ – den Sportlern und Funktionären bei Olympia zu: "Verlasst Sotschi!"… Naheliegenderweise aus Protest gegen Russlands Präsident Putin und dessen willfährigen "Knecht", den ukrainischen Präsidenten Janukowitsch. Lévy zog sich derart an seiner Exodus-Idee hoch, dass er am Ende in den Pluralis Majestatis verfiel:
"Verlassen wir Sotschi, oder boykottieren wir wenigstens die Abschlussfeier und sorgen dafür, dass die 22. Olympischen Spiele nicht als die Spiele der Schande und der Niederlage Europas in die Geschichte eingehen."
Liebe Hörer, falls Sie Lehrer sind und Ihren Schülern mal erklären wollen, was Opportunismus ist und was Trittbrettfahrerei, dann archivieren Sie sich diesen FAZ-Artikel.
Wie es in den vergangen Tagen auf dem Maidan in Kiew zuging, davon berichtete der russische Schriftsteller und Reporter Arkadi Babtschenko in der WELT:
"Seit Donnerstagmorgen wird scharfe Munition eingesetzt. Ich habe die fürchterlichen Szenen mit eigenen Augen gesehen: Radikale Demonstranten griffen die noch am Maidan stehende Polizei an. Die zieht sich zurück, einzelne Demonstranten laufen nach, und die Polizisten eröffnen das Feuer aus Kalaschnikow-Maschinengewehren, mitten in die Menge. Den Rest kennen Sie ja aus den Nachrichten."
So Arkadi Babtschenko in der WELT.
In der FAZ äußerte unterdessen der ukrainische Schriftsteller Mykola Rjabtschuk den Verdacht, auf dem Maidan hätten auch russische Kräfte mitgemischt – um beide Seiten zu provozieren, Regierung und Opposition.
"Wir wissen zum Beispiel immer noch nicht, wer die Scharfschützen beauftragt hat, zu schießen. Und nicht nur das. Es gibt Videos, die zeigen, dass dieselben Scharfschützen sowohl die Polizisten als auch die Demonstranten beschossen haben. Das ist beunruhigend."
Gesamtwürdigung Bushidos
Beunruhigt von den notorischen Gewaltaufrufen des Gangster-Rappers Bushido zeigte sich die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG. Um die rhetorischen Tricks Bushidos zu verdeutlichen, begann Jens-Christian Rabe bushidoesk.
"Fotzen. Es geht gleich mal mit Fotzen los. Sind Sie noch da? Ja? Tja. Dann haben wir eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte ist: Sie sind dem Mann, von dem hier die Rede sein soll, gerade auf dem Leim gegangen: Sie haben sich locken lassen von der verbalen Grenzüberschreitung, dem Nesteln am Tabu."
Die gute Nachricht überspringen wir und kommen zur Gesamtwürdigung Bushidos. Laut Rabe führt der Rotzmusiker zwei bewusstseinsprägende Sphären zusammen:
"Aus der Kunst die Selbstverständlichkeit, sich keinen Regeln fügen zu müssen, und aus dem Sport den Behauptungswillen um beinahe jeden Preis. Anders gesagt: Wenn man sich den Idealtyp des zeitgenössischen Kapitalisten vorstellen will, kommt dabei ein Gangster-Rapper wie Bushido heraus, der die Tugenden, denen wir bei allerlei Gelegenheit im Stadion und im Museum besten Gewissens selbst huldigen, einfach nur ein bisschen auf die Spitze treibt. Bushido, primus inter pares."
So der SZ-Autor Rabe.
Als Kunst-Rabauke von Graden gilt auch Lars von Trier. WELT-Autor Jan Küveler fand von Triers beischlafreichen Film "Nymphomaniac" allerdings ganz kuschelig.
"Wie ein sehr schlauer Pauschaltourist scheint er beschlossen zu haben, sich statt der ewigen Selbstmarter die Depression aus der Birne zu bumsen. Menschenhass ist dabei nur noch das Gleitmittel einer neuen Menschlichkeit. Es ist, als hätte die neue Promiskuität auch von Triers Kunst befreit. Nie war er lustiger als in seinem sogenannten Porno."
Liebe Hörer, uns bleibt nur, Ihnen von dem seltsamen Liebesspiel abzuraten, das in der WELT zur Überschrift wurde – nämlich: "Sex in Klammern".