Aus den Feuilletons

Wie passt der Wahrheitsanspruch der Religionen in eine Demokratie?

Tageszeitungen stecken an einem Zeitungsstand in Drehständern.
Tageszeitungen stecken an einem Zeitungsstand in Drehständern. © picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst
Von Adelheid Wedel · 16.01.2015
In der TAZ lotet Daniel Schulz das Verhältnis von Religionen und Demokratie aus. Für ihn sind alle Religionen "totalitäre Ideologien", die in einer Demokratie nur existieren dürfen, solange sie aufs Schärfste angegriffen werden können.
Um Gegenwärtiges besser einordnen zu können, empfiehlt es sich manchmal, zurückzuschauen. Genau das tut die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG mit ihrem Autor Johan Schloemann, der am Beispiel einer medizinischen Handschrift aus dem Mittelalter nachweist,
"dass die Islamisierung des Abendlandes schon ziemlich früh begann",
mit den Schriften des großen islamischen Gelehrten Ibn Sina, der im 10. und 11. Jahrhundert
"an verschiedenen muslimischen Höfen im heutigen Usbekistan, in Turkmenistan und Iran wirkte. Sein Lehrbuch 'Kanon der Medizin' war",
so die Zeitung,
"bis in die Neuzeit ein Standardwerk, auch im Westen. Das medizinische Wissen im Abendland hinkte nämlich ziemlich hinterher".
Erhalten ist die Kenntnis des Werks durch ein Vorlesungsskript aus dem 14. Jahrhundert, das in der Bayerischen Staatsbibliothek aufbewahrt wird. Der Gelehrte Berthold Blumentrost hielt in Würzburg Vorlesungen über Medizin. Und jener Blumentrost bezog sich auf die Vorleistungen von Ibn Sina,
"mitten in jenem Abendland, das jetzt gegen 'Islamisierung' verteidigt werden soll",
spöttelt Johan Schloemann.
Zurück zur Gegenwart und zur Auseinandersetzung mit den Religionen. Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG titelt
"Religiöser Faschismus und die Folgen".
Martin Meyer veröffentlicht seine Gedanken zu den Attentaten von Paris. Sein Ausgangspunkt:
"Obwohl er als weltweites Problem mittlerweile erkannt ist und bekämpft wird, scheint der Jihad-Terrorismus an Fahrt zu gewinnen."
Eher beruhigend dann seine Schlussfolgerungen:
"Das Klima der Hysterie, dem die Attentäter von Paris einen Nährboden verschaffen wollten, ist bisher nicht und nirgends aufgezogen. Mögen sich die Mörder zwar ausdrücklich als Gotteskrieger verstanden und damit eine unüberbietbare Legitimation für ihr Handeln angestrebt haben, so bilden sie in ihrer Randständigkeit doch weiterhin eine klare Minorität innerhalb der muslimischen Glaubensgemeinschaft. Aber, [so gibt der Autor zu bedenken,] das Phänomen einer völlig entfesselten Bereitschaft zu Vergeltung und Terror trägt längst globale Züge. Der Krieg, den die Jihadisten planvoll hineintragen in die Kerngebiete des Westens, ist ein Krieg mit besonderen Mitteln. Höherer Befehl und dienender Gehorsam geben sich die Hand, immer mit dem Blick auf eine Mission, die zwar Opfer verlangt, doch das Martyrium der Helden über den Tod hinaus in die Ewigkeit verklärt."
Meyer fordert Wachsamkeit; er beobachtet:
"Während die allgemeine Ratlosigkeit mit markigen Politikerworten in Schach gehalten werden soll, geistert ein weiterer Drohruf durch das Internet. Er lautet kurz und bündig: Das Schlimmste kommt noch."
In der Tageszeitung TAZ bietet Daniel Schulz eine weitere Überlegung zum Thema an. Er meint:
"Religionen sind totalitäre Ideologien, die in einer Demokratie nur existieren dürfen, solange sie täglich aufs Schärfste angegriffen werden können. Wie sonst sollte eine offene Gesellschaft eine Religion in ihrer Mitte ertragen können",
fragt Schulz. Denn in offenen Gesellschaften gebe es keine Gewissheiten, alles sei verhandelbar.
"Demgegenüber behaupten Religionen höhere, übermenschliche Wahrheiten zu haben, etwas im Kern Unverhandelbares. Im religiös begründeten Terror wird diese Unvereinbarkeit am besten sichtbar."
Gegen diese und andere Unvereinbarkeiten lehnt sich ein Projekt auf, das die TAZ unter dem Begriff
"'House of One'", ein Haus für alle"
vorstellt. Es ist die Idee von Pfarrer Gregor Hohberg von der Berliner Marienkirche.
"Er will, dass mitten in Berlin bald ein Haus steht, das unter seinem Dach eine Synagoge, eine Kirche und eine Moschee beherbergt."
Dieser neue Typ eines Sakralbaus findet weltweit Interesse und Zustimmung. Spenden aus 35 Ländern sind in Berlin eingetroffen,
"es melden sich Gruppen, die Ähnliches planen, zuletzt aus Peru, aus Bolivien, aus Jerusalem".
So erfährt Pfarrer Hohberg:
"Für viele ist es ein hoffnungsvolles Zeichen."