Aus den Feuilletons

Wie der deutsche Film Richtung Prekariat rutscht

Preisträger stehen bei der Verleihung des 66. Deutschen Filmpreises, der Lola, am 27.05.2016 in Berlin auf der Bühne.
Preisträger bei der Verleihung des 66. Deutschen Filmpreises, der Lola, am 27.05.2016 in Berlin. © picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka
Von Gregor Sander · 29.05.2016
Der Deutsche Filmpreis ruft in den Feuilletons wenig Freude hervor. Die "FAZ" vergleicht seine Verleihung mit der Geburtstagsfeier einer 70-jährigen Kino-Diva, deren Lachen erstarrt. "Welt" sieht die Ausgezeichneten gar in Gefahr: Ihnen gehe es wie der Mittelklasse der Gesellschaft.
So richtig glücklich ist keiner im deutschen Feuilleton mit dem deutschen Film, und so kommt auch bei der Berichterstattung zur Verleihung des Deutschen Filmpreises keine Freude auf.
"Es fällt schwer, gerecht über den Deutschen Filmpreis zu schreiben",
gibt Andreas Kilb in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG zu.
"Es ist, als wäre man zum siebzigsten Geburtstag einer Kino-Diva eingeladen: Sie fühlt sich jung, sie findet sich schön, sie will sich feiern lassen, und ihre Falten lacht sie einfach weg. Aber manchmal erstarrt das Lachen in ihrem Gesicht."
Hanns-Georg Rodeck sieht in der Tageszeitung DIE WELT die Preisträger sogar bedroht:
"'Fritz Bauer' und 'Herbert' und 'Hedi Schneider' sind die Mittelklasse der deutschen Filmproduktion, und die steht unter gewaltigem Druck, wie unsere Mittelschicht. Der Druck ist existenzgefährdend, weil im Kino das gleiche geschieht wie im Großen: Die Reichen werden noch reicher, und die Mittelklasse rutscht Richtung Prekariat."
Also keine Hoffnung auf intelligentes deutsches Kino? Anke Sternborg von der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG rät uns zu warten:
"Die Zukunft des Kinos liegt auch bei Regisseurinnen wie Nicolette Krebitz ('Wild'), Anne Zohra Berrached ('24 Wochen') und Maren Ade ('Toni Erdmann'). Mit ihnen ist im nächsten Jahr bei den Lolas fest zu rechnen, weil sie das Kino hier zu Lande derzeit mit leiser Verstörung aufmischen."
Dann wollen wir mal hoffen, dass diese Begeisterung für die drei Regisseurinnen noch ein Jahr hält.

Künstliche Intelligenz relativ harmlos für den Menschen

Eine große Begeisterung für eine chemische Bewusstseinserweiterung hat der Interviewpartner der SZ, zum Thema Künstliche Intelligenz, John Markoff:
"Haben Sie mal LSD genommen?",
fragt er Feuilletonchef Andrian Kreye, der dies unbeantwortet lässt. Trotzdem fährt der Wissenschaftsreporter der New York Times fort.
"Dann haben Sie sicher auch so was gesehen, wie Bäume zu atmen anfangen. Das kann die Weltsicht fundamental verändern. Und man darf nicht vergessen, dass das nicht illegal war."
Gemeint sind die 60er-Jahre, und die so bewusst erweiterten Pioniere des Silicon Valleys arbeiteten seitdem an verschiedenen Projekten der Künstlichen Intelligenz. Zum einen daran, so Markoff, den Menschen tatsächlich durch die Technik zu ersetzen oder aber die Künstliche Intelligenz als Erweiterung des menschlichen Verstandes anzusehen. Im Ergebnis hört sich das für unsere Spezies relativ harmlos an, wenn man Markoff Glauben schenkt:
"Selbst konventionelle mechanische Jobs kann man nur bedingt mit Maschinen besetzen. Weil sie ein gewisses Maß an Flexibilität voraussetzen. Maschinen sind aber nicht flexibel."

Marcel Reif als Feuilletonist des Fußballs

Und so können Maschinen auch keine Fußballspiele kommentieren. Trotzdem kommt es selten vor, dass ein Sportreporter vom Feuilleton verabschiedet wird. Joachim Huber schreibt im Berliner TAGESSPIEGEL:
"Der Abend in Mailand brachte das Ende der Sky-Karriere von Marcel Reif. 'Andiamo – und tschüß', das waren seine Abschiedsworte, während Sky ihn langsam ausblendete."
Das Champions-League-Finale war das letzte Spiel für Marcel Reif und die TAZ-Autoren Jan Feddersen und Markus Völker machen sich mit dem 66-Jährigen sogar gemein. Unter der Überschrift:
"Der Feuilletonist des Fußballs"
schwelgen sie in jetzt Vergangenem:
"Marcel Reif gab einem hinter dem Kommentatorenmikro das Gefühl zurück, nicht Teil einer Community mindestens vierteldebiler und sabbernd-fanatischer Fußballfans zu sein. Reif, das war die Stimme der Schönheit des Spiels. Ein Fußballist, der Spiele lesen konnte, wie es immer so unbestimmt heißt."
Und Martin Schneider fügt in der SZ hinzu:
"Den Grimme-Preis hat er gewonnen; 1998 musste er statt des Spiels ein umgefallenes Tor kommentieren und er tat das großartig. Auch dafür gab es Preise. Er ist in seinem Job einer der Besten, auch wenn viele Zuschauer das nachweislich anders sehen."
Dem schließen auch wir uns heute an und machen Marcel Reifs letzte Kommentatorenworte zu unseren:
"Andiamo – und tschüß"
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