Aus den Feuilletons

Wenn Zeitungsüberschriften "ins Höschen gehen"

Passanten gehen in der U-Bahn in Berlin an einem Kiosk vorbei.
Passanten gehen in der U-Bahn in Berlin an einem Kiosk vorbei. © dpa / picture alliance / Ole Spata
Von Hans von Trotha · 01.12.2014
Die "Welt" entdeckt in ihrem Feuilleton zwei Sorten von Feuilletonisten - und die "Süddeutsche" lässt einen Feuilletonisten über einen anderen Feuilletonisten schreiben. Dreht sich jetzt alles im Kreis?
"Es gibt zwei Sorten von Feuilletonisten", schreibt Andreas Rosenfelder in der WELT, "und man kann sie nach einem einfachen Kriterium unterscheiden: Die einen glauben an die Kultur, die anderen nicht."
Wenn das keine Vorlage ist. Am Ende geht es Rosenfelder allerdings um etwas ganz anders - nämlich um die Frage: "Muss die Kulturwelt ... ihre Revolver entsichern, wenn (Jürgen) Kaube die Nachfolge des verstorbenen Frank Schirrmacher antritt?" Der SPIEGEL, behauptet Rosenfelder, sagt: ja, und Rosenfelder, wir ahnen es, sagt: nein. Irgendwo muss der gute alte Grabenkampf um das Konservative ja noch gefochten werden, und sei es feuilletonintern in den Marginalspalten von SPIEGEL und WELT.
So marginal der Kommentar, mit dem sie anhebt, so grundsätzlich ist die Rosenfelder-Frage nach den Feuilletonistentypen. Hier der Gläubige, da der Ungläubige. Ist das wirklich die Kategorie, die uns bewegt? Regen uns andere Dinge nicht viel mehr auf? Der Typ Feuilleton zum Beispiel, der stets meint, die eigene Sprache dem Gegenstand anpassen zu müssen?
"Weine nicht, wenn der Degen fällt"
Das geht dann zum Beispiel so: Herbert Fritsch inszeniert an der Komischen Oper in Berlin einen deftigen "Don Giovanni", und die BERLINER ZEITUNG schreibt dazu: "Das ging ins Höschen", der TAGESSPIEGEL in seiner längst manisch gewordenen Sucht nach Wortspielen in Titelzeilen gar: "Weine nicht, wenn der Degen fällt".
Weiter gedacht: Müsste uns die Idee des Typus Feuilletonist, der seine Sprache seinem Gegenstand anpasst, nicht prophylaktisch in Angst und Schrecken versetzen, wenn zum Beispiel Botho Strauß einen runden Geburtstag hätte? Fangen die dann alle an zu raunen?
Es ist dies der Tag für die Probe aufs Exempel. Botho Strauß wird 70.
In der BERLINER ZEITUNG geht Peter Uehling unter der - schon ein bisschen raunenden - Überschrift "Im Schleudergrund der Vergewisserung" dem typisch Straußschen Sound nach: "Was Spötter triumphierend für Stilblüten halten", meint er, "ist seinem tiefen, zuweilen rauschhaften Vordringen in die spezifischen Möglichkeiten des Deutschen geschuldet." Und er fügt hinzu: "Der Verständigung dient das nicht."
"Herrisch trompetend und dann wieder dunkel raunend"
Das muss es anscheinend auch nicht, denn, so lernen wir von Hubert Spiegel in der FAZ:
"Wer der Schrift wirklich verbunden sei, sei immer auch jenen verbunden, die niemals lesen, hat Botho Strauß einmal geschrieben ... Wer Dichter ist, der ist der 'auftraglos Beauftragte' der 'Nie-Leser und der sonstwie Abgelenkten'."
Während uns die FAZ mit der Angst allein lässt, dass wir höchstwahrscheinlich auch zu den "sonstwie Abgelenkten" gehören, weht durch Eckhardt Fuhrs Einsatz in der WELT direkt der dichterische Duktus: "Es kam ein Brief aus der Uckermark, mehr als 20 Jahre ist das jetzt her." Fuhr nimmt auf die Debatte um Strauß´ "Anschwellenden Bocksgesang" von 1993 Bezug. "Strauß", so Fuhr, "hatte ausgesprochen, was die zeitgeistliche Konvention nicht ausgesprochen wissen mochte, und das auch noch im Ton eines Künders, herrisch trompetend und dann wieder dunkel raunend."
Feuilletons besonders gründlich lesen
Die SÜDDEUTSCHE zieht sich auf interessante Weise aus der Affäre, indem sie den SÜDDEUTSCHE-Feuilletonisten Lothar Müller ein Buch des ZEIT-Fuilletonisten Thomas Assheuer über Botho Strauß rezensieren lässt. Und die TAZ verzichtet ganz auf den 70. Geburtstag von Strauß zugunsten des 200. Todestags des Marquis des Sade. "Was wollte de Sade", fragt Tim Caspar Boehme. Die Antwort hätte so auch in einem der Strauß-Artikel stehen können, sie lautet: "Das ist nicht einfach zu beantworten."
"Alles Geheime steht im Gesicht", zitiert Hubert Spiegel Botho Strauß in der FAZ und erläutert: "Es ist das aktivste soziale Organ des Menschen, und es ist" - Zitat Strauß: "die Blöße selbst". Dicht gefolgt von der Sprache. Und da wir die Gesichter der Feuilletonisten nicht sehen, wenn sie schreiben und wir lesen, bleibt uns nur, darauf zu achten, ob die sich Blößen in der Sprache geben. Weswegen man die Feuilletons besonders gründlich lesen sollte. Nicht nur heute.
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