Aus den Feuilletons

"Wenn ich über Gaza nachdenke, blutet mir das Herz"

Von Adelheid Wedel · 19.07.2014
Dass die Welt den Krieg in Gaza widerspruchslos hinnimmt – das beklagt Jürgen Todenhöfer auf Facebook. Die "Süddeutsche Zeitung" publiziert die Tagebucheinträge der Schriftstellerin Sarah Stricker, die in Israel lebt.
"Nicht das richtige Wetter für einen Krieg"
war die alarmierende Überschrift zu einem Beitrag der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Alarmierend, weil wir wissen, dass Kriege unabhängig vom Wetter geführt werden und auch, weil der Tonfall suggerierte: Es ist Krieg, wir werden uns schon daran gewöhnen. Diesem Duktus folgten die Tagebucheinträge der Schriftstellerin Sarah Stricker. Aus dem unmittelbaren Erleben der Kriegssituation in Israel beschreibt sie fast lakonisch den Umgang mit der Situation. Da kommt der Freund eben nicht zum verabredeten Rendezvous, weil er noch im Bunker festsitzt, oder: Die Autorin beschließt, schnell noch eine Dusche zu nehmen,
"damit der Krieg sie nicht völlig verschwitzt erwischt".
Vielleicht bewirkt gerade diese naive Direktheit, den gefährlichen Virus Krieg, der sich fast unbemerkt in unseren Hirnen breit macht, hervorzuholen und zu brandmarken?
Andere Autoren machen das mit politischer Vehemenz, so veröffentlichte Jürgen Todenhöfer auf Facebook seine Beobachtungen
"der gespenstischen Feuergefechte zwischen Israel und Gaza. Der jetzige Krieg einschließlich seiner Vorgeschichte ist eine Schande",
schreibt er und vergleicht den Gazakrieg mit einem Gefecht zwischen David und Goliath,
"nur dass dieser David aus dem winzigen Gaza selten trifft. Und völlig chancenlos ist".
Todenhöfer klagt und klagt an:
"Wenn ich über Gaza nachdenke, blutet mir das Herz. Die Welt aber nimmt fast alles widerspruchslos hin."
Nicht jeder, kann man beim Blick in die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG sagen. Die Opernsängerin Anna Prohaska hat jetzt ein Album mit Soldatenliedern aufgenommen. „Behind the Lines“ will, so sagt die Sängerin im Interview,
"in den Liedern die Kriegspsychologie erkunden, wir wollten, dass Fragen entstehen. Wir hätten locker drei oder vier CDs aus dem Material machen können",
meint Prohaska,
"die Auswahl sollte keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass es hier eben nicht um ein nationalistisch-patriotisches Album geht. Ich wollte versuchen, möglichst viele Seiten des Kriegführens zu beleuchten und ins Bewusstsein zu rufen."
An diesem Wochenende erinnert sich das politisch interessierte Deutschland an die einst Vaterlandsverräter genannten, inzwischen als Helden anerkannten Männer des 20. Juli 1944.
"Über die Männer des Widerstands weiß man inzwischen alles. Die Frauen wurden nur als 'Frauen ihrer Männer' wahrgenommen",
schreibt Barbara Möller in der Tageszeitung DIE WELT. Dort rezensiert sie das Buch von Frauke Geyken "Wir standen nicht abseits". Die Frauen der Widerstandskämpfer führten den Kampf um die Rehabilitierung ihrer hingerichteten Männer,
"die bis 1952 als rechtmäßig verurteilte 'Hochverräter' galten".
Heribert Prantl zieht in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG als Lehre aus den historischen Ereignissen, dass Artikel 20, Absatz 4 in unser Grundgesetz eingeschrieben wurde,
"als Mahnung, als Appell und auch als Aufforderung",
die Demokratie mit allen Kräften zu verteidigen.
Als wahres Volksfest wurde am vergangenen Wochenende die Rückkehr der deutschen Fußballmannschaft mit dem Weltmeistertitel gefeiert. Neben aller Freude über diesen Erfolg wurden auch kritische Stimmen laut. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG beispielsweise schreibt:
"Angeblich sind wir Weltmeister. Angeblich ist das Land so lässig geworden wie das Spiel"
und fragt:
"Kann es aber sein, dass das alles großer Quatsch ist?"
Claudius Seidl meint, dass alles, was er zum Thema sieht, hört, liest und sich selber denkt, widersprüchlich ist.Wer ist denn nun Weltmeister?
"Sind es die 23 jungen Männer aus dem deutschen Spielerkader sowie deren Trainer und Betreuer? Ist es, wie das die Protokolle der FiFa verzeichnen, einfach Deutschland, die Nation? Oder hat der Bundestrainer Recht, der dem jubelnden Volk verkündete: Wir sind alle Weltmeister?"
Genau dieser Ansicht schienen auch all jene Deutschen zu sein,
"die sich zum Endspiel im Freien vor riesigen Leinwänden versammelten, verbrüderten, betranken."
Seidl beschreibt, worum es in solchen Momenten geht:
"Da sind die Glücksgefühle so stark und intensiv, dass die Unterschiede, die ansonsten zwischen denen, die diese Glücksgefühle empfinden, als winzig und irrelevant wahrgenommen werden. Es gibt tatsächlich dieses 'Wir', das schreit und feiert und sich freut. Herkunft, Status, diese Dinge spielen für diesen Moment keine Rolle mehr."
Dass solche Momente in den Zuständigkeitsbereich des Feuilletons gehören, will Seidl nicht bestreiten.
"Das liegt schon daran, dass es die Momente sonst vor allem in den Künsten gibt, den populären wie den hohen; und …"
so führt der Autor weiter aus,
" … dass da für die Dauer eines Songs, einer Szene, eines ästhetischen Schocks auch die Unterscheidung zwischen dem Performer, der Performance und dem Publikum hinfällig wird."
Dann kommt der Autor mit der Katze aus dem Sack:
"Problematisch, gefährlich und unbedingt unsympathisch wird es aber, wenn dieser Moment ins Unendliche verlängert werden soll, denn" –
so meint Seidl
– die Furcht, nach der gemeinsamen Euphorie des Siegens in die alte Normalität der Unterschiede und der Hierarchien zurückkehren zu müssen, produziert ein anderes starkes Gefühl.
"Ressentiments und Hass bieten sich da immer an. So konnte man im Lauf der Woche beobachten, wie die 'Gemeinschaft der Weltmeister“ sich den Gegner erfand, den sie dringend brauchte."
Seidl hat beobachtet, wie die „Gesinnungsweltmeister“ jene Kommentatoren schmähten, die
"die Noblesse der Sieger im Endspiel sympathischer fanden als die Schmähung der Verlierer bei der Feier in Berlin".
"Wir sind wieder … wer?"
titelte der SPIEGEL. Eine Lesart wäre:
"Wir haben dieses unheimlich gute Gefühl, diese Leichtigkeit, weil wir uns, 69 Jahre nach Kriegsende und 25 Jahre nach dem Mauerfall, endlich gelöst haben aus den Verklemmungen (…) der Vergangenheit."