Aus den Feuilletons

Wenn ein DDR-Großschriftsteller stirbt

Der Schriftsteller Hermann Kant 1977 auf der Frankfurter Buchmesse
Der Schriftsteller Hermann Kant (1926-2016) auf der Frankfurter Buchmesse im Jahr 1977 © dpa / picture alliance / dpa porträtdienst
Von Paul Stänner · 14.08.2016
Er ahnte wohl etwas von seinem zwiespältigen Ruf: Immerhin ließ der verstorbene Hermann Kant neun Kollegen aus dem DDR-Schriftstellerverband ausschließen. Darum wollte er zwar als "Schuft" erinnert werden, der aber ganz ordentlich schreiben konnte, lesen wir im "Tagesspiegel"-Nachruf.
Es sind die Sommerwochen, die Tage der leichten Zeitgeist-Themen ohne aktuellen Bezug: Die TAZ beschreibt das Dorf im Hochhaus, nämlich die Siedlung Alt-Erlaa in Wien. Die FAZ beschreibt das Pariser Marais-Viertel und wie die Sharing Economy eine – Achtung! Zitat: "idiomatische Urbanität zerstört".

Bayerns Politik im Dilemma

Soviel zur Stadtplanung, wir wenden uns dem Polit-Management zu: In der FAZ glossiert ein pseudonymisierter "pba." die bayerische Politik, weil sich in einem Dilemma befinde – wobei: Wann ist die bayerische Politik nicht in einem Dilemma?
Egal: Diesmal befindet sie sich in dem Dilemma, dass 2018 sich zum zweihundertsten Mal jährt, dass Bayern eine Verfassung bekommen hat und zum einhundertsten Mal, dass sie außer Kraft gesetzt wurde. Um die disparaten Jubiläen zusammen zu bringen, hat die Regierung beschlossen, "Bürgerkonferenzen" abzuhalten, in denen die Bayern sagen sollen, wie sie die Zukunft haben möchten. "pba." vermutet:
"Hinter dem Projekt der Bürgerkonferenzen steckt die Ahnung, dass sich der heutige Staatsapparat wieder in der Rolle der konstitutionellen Obrigkeit befindet, die nicht unbedingt weiß, was die Leute bewegt."

Locarno blickt zurück

Wir bleiben bei der Vergangenheitsbewältigung, soviel Gegenwart ist ja nicht in den Sommerfeuilletons.
Das Filmfestival in Locarno hat den deutschen Film der 50er-Jahre wiederentdeckt – und das sei das eigentliche filmische Ereignis des Festivals, behauptet Barbara Wurm in der TAZ. Dazu gehört ein Film mit Götz George in der Rolle eines ermordeten Deserteurs. In diesem Film, so Wurm, werde Kollektivschuld gleich zwei Mal vorgeführt:
"1945, als an der Mauer ein fahnenflüchtiger Wehrmachtssoldat abgeknallt wird, und 1960, als Adenauers Wahlplakat an derselben Mauer 'Keine Experimente' empfahl."
69. Internationales Filmfestival in Locarno: Festivalpräsident Marco Solari läuft auf dem roten Teppich vor dem Plakat zum Festival. 
69. Internationales Filmfestival in Locarno: Festivalpräsident Marco Solari läuft auf dem roten Teppich vor dem Plakat zum Festival. © picture alliance / dpa / Alexandra Wey
In der WELT beschreibt Jan Küveler, dass er, statt die nachmittägliche Pressevorführung zu besuchen, schwimmen gegangen sei, nämlich:
"Durch Unterholz, so verworren wie der durchschnittliche Locarno-Plot, und einen Hang hinab, so steil wie die Thesen des Festivalchefs. Nur erreicht man, unten angekommen, einen paradiesischen Ort, sodass sich der Trip gelohnt hat. Leider kann ich Ihnen deshalb an dieser Stelle nicht viel über den Gewinnerfilm 'Godless' berichten."
Wir im Deutschlandradio-Studio nehmen mit Freude zur Kenntnis, dass wenigstens der Filmkritiker der WELT den Sommer zu genießen weiß – Respekt, Herr Kollege!

Abschied vom "Seiltänzer" Hermann Kant

Hermann Kant ist verstorben, der DDR-Großschriftsteller. In der TAZ würdigt Michael Bartsch den Autor und ehemaligen Spitzenfunktionär des Schriftstellerverbandes: Als Spieler, ja als Seiltänzer hätten ihn schon DDR-Zeitgenossen und vor allem Biografen der Nachwendezeit angesehen. In der Tat war Kant stets seinem Staat treu geblieben, hatte es aber auch verstanden, gelegentlich die sture Bürokratie, die weder von Wirklichkeit noch von Fiktion etwas verstand, auszutricksen.
"Das Beste an der DDR war der Traum, den wir von ihr hatten."
Zitiert Bartsch den Verstorbenen. Im Berliner TAGESSPIEGEL schreibt Hannes Schwenger den Nachruf. Kant, der neun Kollegen aus dem Schriftstellerverband ausschließen ließ, ahnte wohl, dass er einen zwiespältigen Ruf hatte. Schwenger zitiert dessen Wunsch, es würde ihm reichen:
"...dass ich gesagt kriege, Schuft magst du gewesen sein, aber schreiben kannst du ganz ordentlich!"
Schwenger setzt ein beide Urteile bekräftigendes "Ja doch" obendrauf.

Versemmelte Erdogan-Interviews

Aus dem bayerischen Sprachschatz kommt unsere letzte Überschrift: "Grandios versemmelt" lautet sie. Pascal Beucker hat sich für die TAZ die beiden Gespräche mit Recep Tayyip Erdogan angesehen, die im deutschen Fernsehen liefen. Für die ARD fragte der devote Sigmund Gottlieb, bei RTL kam Antonia Rados kaum zu Wort, weil ihr Interview bös zusammengekürzt worden war. Pascal Beucker vergibt Haltungsnoten:
"Zwar ist Gottlieb ein mieser Journalist, aber dafür ist RTL ein lausiger Sender."
Wie gesagt, es sind die Sommerwochen der leichten Zeitgeist-Themen.
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