Aus den Feuilletons

Wenders und der Mangel an Distanz

73. Filmfestspiele in Venedig: Donata Wenders, Regisseur Wim Wenders und die Schauspieler Sophie Semin, Reda Kateb und Jens Harzer aus seinem Film "Die schönen Tage von Aranjuez", den er im Wettbewerb präsentiert.
Wim Wenders und sein Team aus dem Film "Die schönen Tage von Aranjuez" © picture alliance / dpa / Ettore Ferrari
Von Gregor Sander |
Was ist von dem neuen Wim Wenders-Film "Die schönen Tage von Aranjuez" zu halten? Offenbar nicht so viel. Man fühle sich zuweilen wie in einer Vorlesung, urteilt die Süddeutsche Zeitung - und in seinen besten Momenten wie an einem "stillen Sommertag".
"Ein langweiliger oder schlecht gemachter Film ist besser auszuhalten als schlechtes Theater oder schlechte Literatur",
behauptet Harald Martenstein im Berliner TAGESSPIEGEL. Warum das so ist, behält der Berlinale-Kolumnist der Hauptstadtzeitung für sich und schwurbelt lieber Weisheiten wie diese zusammen:
"Filme, die klüger erscheinen wollen, als sie es sind, Angeber- und Bescheidwisserfilme, Werbefilme für eine bestimmte Meinung, manipulativen Kitsch und ranschmeißerische Zielgruppenfilme mag ich zum Beispiel nicht."
Gut, aber wer mag die schon? In welcher Kategorie würde wohl der neuen Wim-Wenders-Film bei Martenstein landen? Als Vorlage dafür diente Peter Handkes Theaterstück "Die schönen Tage von Aranjuez" und Andreas Kilb von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG hat ihn so gesehen:
"Man fühlt sich wie bei einem Familientreffen, bei dem der eine Bruder Geschichten erzählt, während der andere auf der Jukebox die Songs dazu drückt. Seit langem leiden die Filme von Wenders an einem Mangel an Distanz, Fremdheit, ungezähmter Fiktion. Man ist drinnen, oder man ist draußen, ein Drittes gibt es nicht."

Viel passiert nicht

In "Die schönen Tage von Aranjuez" sprechen ein Mann und eine Frau in einem Garten über die Liebe. Viel mehr passiert eigentlich nicht. Susann Vahabzadeh von der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG hat folgendes Muster erkannt:
"Eigentlich läuft es so: Er fragt, sie gibt etwas preis; und dann erzählt er etwas, aber persönlich ist es nicht, manchmal klingt es sogar eher wie eine Vorlesung. Ein Gegenentwurf zu überdramatisierter Handlung, Geschwindigkeit vorgaukelnden Schnitten. Kann man sich allen modernen Sperenzchen des Kinos verweigern? Kann man schon. In manchen Momenten ist der Film selbst die Oase der Ruhe, der stille Sommertag, nach dem er sich sehnt."
Das klingt eher wie eine Landschaftsbeschreibung als nach einer Kinokritik. Die martensteinschen Ausschlusskriterien: Angeber- und Bescheidwisserfilm, Werbefilm für eine bestimmte Meinung, manipulativer Kitsch oder ranschmeißerischer Zielgruppenfilm lassen sich in diesen Texten auch nicht finden.

Auf der Suche nach Damentoiletten

Gesucht und zu wenig gefunden hat Petra Schellen in der Elbphilharmonie. Und wenn Sie jetzt glauben sollten, Sie wüssten schon alles über das Konzerthaus, belehrt uns die TAZ-Journalistin eines besseren und moniert,
"Dass die Weltklasse- Architekten Herzog & de Meuron die Damentoiletten nach einem bizarren Algorithmus verteilt haben. Während es im 13. Stock genügend gibt, finden sich im Parkett auf Etage zwölf genau zwei".
Die so entstehenden Schlangen haben dann allerdings auch wieder etwas Gutes:
"Da fragen einen beim Warten wildfremde Japanerinnen und Spanierinnen, wie man die Akustik und Performance findet."
Was aber wenn man vor dem stillen Örtchen einfach seine Ruhe will? Die Totenruhe des ehemaligen FAZ-Herausgebers Frank Schirrmacher wurde auf eine virtuelle Art gestört. Sein Twitter-Account wurde gehackt und wiederbelebt. Das wurde inzwischen zwar unterbunden.
"Was bleibt, ist die Frage, wie wir mit dem Tod im Netz umgehen", stellt Johannes Drosdowski in der TAZ fest.
"Twitter hat für den Todesfall von Nutzern eigentlich Vorkehrungen getroffen: Familienangehörige oder Erben können den Tod melden und den Account löschen lassen. Auch andere Social-Media-Plattformen haben derartige Regeln."

Virtuelle Gedenkstätte

Es gibt im Netz inzwischen auch die Möglichkeit zu trauern:
"Bei Facebook kann ein Account sogar in einen "Gedenkzustand" versetzt werden, der es Freunden ermöglicht, weiterhin mit dem Account zu interagieren, den Verstorbenen also namentlich mit Bildern zu verlinken oder an dessen Pinnwand zu schreiben."
Und damit ist das Ende der virtuellen Trauer noch nicht erreicht, denn Drosdowski wirft für uns noch einen Blick in die Zukunft:
"Theoretisch kann man sogar einen Chat-Bot einrichten, einen Algorithmus also, der in der Lage wäre, auf Fragen zu antworten – in ähnlicher Sprache und mit ähnlichem Inhalt, wie es der oder die Tote getan hätte."
Das Ende muss also gar nicht das Ende sein!
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