Aus den Feuilletons

Weiße Hand gut, Schwarze Hand böse

04:01 Minuten
Ein schwarzer Mann und eine weiße Frau zeigen jeweils eine eigene Handinnenfläche.
Manche Algorithmen werten seine Hand als potenziell gefährlich, ihre dagegen nicht. © imago-images / Cavan Images
Von Tobias Wenzel |
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Die "taz" berichtet von Algorithmen, die offenbar den Rassismus ihrer Programmierer spiegeln. Bei der Einreise nach Großbritannien wurden weiße Touristen durchgewinkt, Schwarze Urlauber mussten sich Sicherheitskontrollen unterziehen.
"Programmierter Rassismus" heißt Adrian Lobes Artikel für die TAGESZEITUNG. Wobei sich in diesem Fall "programmiert" auf Systeme der künstlichen Intelligenz bezieht. Anfang August habe Großbritannien ein automatisiertes Verfahren zur Vergabe eines Visums, zum Beispiel zu touristischen Zwecken, ausgesetzt, berichtet Lobe: "Der Algorithmus war rassistisch."

Ein Fieberthermometer als Waffe

Weiße seien vom System einfach durchgewinkt worden, Schwarze hätten sich einer weiteren Sicherheitskontrolle unterziehen müssen. Der südafrikanische Forscher zum Thema Künstliche Intelligenz, Shakir Mohamed, hat nun Lobe zufolge in einem Aufsatz die "Dekolonialisierung der Künstlichen Intelligenz" gefordert. Die Beispiele, die Adrian Lobe als Beleg dafür nennt, dass Algorithmen rassistisch wirken können, sind erschütternd.
"Die Organisation Algorithm Watch, die regelmäßig automatisierte Systeme auf den Prüfstand hebt, hat in einem Experiment nachgewiesen, dass der Objekterkennungsalgorithmus von Google Vision Cloud ein Fieberthermometer in einer weißen Hand als Monokular labelt, in einer Schwarzen Hand dagegen als Waffe", schreibt Lobe in der TAZ.
"Vielleicht braucht es in Zukunft nicht nur diversere Entwicklerteams, sondern auch flexiblere Modelle, die der Komplexität der Wirklichkeit Rechnung tragen. Denn am Ende sind es nicht Maschinen, die die Menschen stigmatisieren, sondern der Mensch selbst."

Esoterik als Form der Gegenaufklärung

Und der wird einem auch etwas unheimlich in Christian Schröders Artikel "Geister, die sie rufen" für den TAGESSPIEGEL.
"Am vergangenen Wochenende war das Reichstagsgebäude wieder Schauplatz einer bizarren Versammlung. Antidemokraten versuchten, ein Zeichen zu setzen", schreibt Schröder und sieht wohl eine Kontinuität zwischen einigen der Demonstranten gegen die Corona-Politik der Bundesregierung und der Orientierungssuche in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Unter anderem seien damals spiritistische Sitzungen üblich gewesen.
"Man mag den wilhelminischen Spuk für Hokuspokus halten, aber unterscheidet ihn wirklich so viel von den Methoden heutiger Kryptoaktivisten und Parawissenschaftler?", fragt er. "Esoterik ist eine Form der Gegenaufklärung. Sie unterliegt Moden, alles kehrt irgendwann zurück."

Ein Stürmchen auf den Reichstag

"Zu hören ist 'Wahnsinn! Der Reichstag!'", schreibt Gerhard Matzig in der SÜDDEUTSCHEN über die Menschen, die am Wochenende bis auf die Treppe des Reichstagsgebäudes vordrangen, über die, wie er es formuliert, "Trillerpfeifen, von denen einige die Maskenpflicht, andere auch Deutschland abschaffen wollen".
"Es ist ein Schreien, das fast schon fanatisch über sich selbst staunt", schreibt Matzig, "bis es an einer Glastür und im Angesicht von wenigen, dafür mutigen Polizisten endet." Das erinnere ihn an ein Zitat, das Lenin zugeschrieben werde: "Revolution in Deutschland? Das wird nie etwas, wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen sie sich noch eine Bahnsteigkarte!"
Mit Blick auf die Leute vom Wochenende, die am liebsten das Bundestagsgebäude "heimgesucht" hätten, fragt Matzig: "Was wollten sie im Reichstag? Selfies machen? Einmal den Plenarsaal erleben?"
Auch Hans Zippert kann nicht anders, als das Stürmchen auf den Reichstag mit Humor zu nehmen. Genauso wie die Reaktionen der Politiker. Claudia Roth, Vizepräsidentin des Bundestags, habe nun ein Sicherheitskonzept verlangt, aber betont, der Reichstag dürfe auch "keine Festung" werden, schreibt Zippert in seiner satirischen Kolumne für die WELT:
"Es wäre also nicht denkbar, den angreifenden Mob von oben mit siedendem Pech oder Fäkalien zu übergießen."
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