Aus den Feuilletons

Weihnachten ist wie Lockdown

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Die verschneite Promenade der Straße Unter den Linden in Berlin, aufgenommen am 11.12.2012 in Richtung Pariser Platz bzw. Brandenburger Tor. Foto: | Verwendung weltweit
Egal ob Weihnachten oder Lockdown: Die Straßen sind leergefegt. © picture alliance /dpa/ Soeren Stache
Von Hans von Trotha · 23.11.2020
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Geschäfte, Fitnessstudios, Museen zu – und Klopapier ist frisch eingekauft. Es ist, nein nicht Lockdown, sondern Weihnachten. Wenn wir ehrlich sind, gibt es da gar keinen großen Unterschied, schreibt die „Taz“: Die Außenwelt bleibt draußen.
In der FAZ fragt der Philosoph Krzysztof Pomian: "Wie schlecht steht es wirklich um die Zukunft der Museen?" Auch diese Antwort diktiert die Pandemie: "Neben der Vernichtung von Menschenleben und der schweren Belastung der Wirtschaft ist eine ihrer gravierendsten Folgen, dass sie die Zukunft unvergleichlich unberechenbarer gemacht hat als zuvor".
"Da die Zukunft eine Serie von Katastrophen sein wird, werden die unglücklichen Menschen, die sie durchleben müssen, auf jeden Fall andere Sorgen haben, als sich für die Überreste einer Vergangenheit zu interessieren, die schuld an ihrer unheilbaren Notlage ist. Sicherlich ist die radikale Ökologie auch ein anthropozentrischer und futuristischer Glaube. Sie ist aber auch ein radikaler Antihumanismus. Als solcher verweigert sie den Museen jegliche positive Bedeutung, sie kann sie nur als Tempel eines Glaubens ansehen, der bekämpft und beseitigt werden muss."
Pomian schreibt weiter: "Deren Zukunft ist infolgedessen weit weniger sicher, als man es sich vorstellen mochte." Der einzige Trost, nach Pomian: "Seit der Zeit der astrologischen Prognosen geht bekanntlich jeder, der sich erkühnt, über die Zukunft zu sprechen, auch das Risiko ein, sich schwer zu irren. Hoffen wir, dass dies auch für unseren Fall gilt."

Neues Buch von Varoufakis – ein Roman

Vielleicht gilt das ja auch für den Fall von Yanis Varoufakis, dem griechischen Popstar einer Politkultur in Krisenzeiten. Er hat ein Buch geschrieben, einen Roman, "Another Now". In der WELT gibt er zu Protokoll: "Ich wollte ein Buch schreiben, das die Frage beantwortet: Okay, wenn Sie den Kapitalismus nicht mögen, was ist dann die Alternative? Also habe ich meine Vorstellung davon ausformuliert.
Und warum als Roman? "In einem Roman kann man verschiedene Standpunkte in verschiedene Charaktere einbringen. Als ich etwa die Hälfte geschrieben hatte", so der Romancier, "wurde mir klar, dass diese Charaktere ein Eigenleben führen. Und sie sind mir entkommen, als ich das Gefühl hatte, dass sie alles gegeben hatten. Als das Buch fertig war, habe ich sie wirklich vermisst."
Klingt wie eine ideale Lockdown-Beschäftigung. Direkt nach ihr befragt, bürdet Varoufakis der Zukunft übrigens ebenso viel menschenfreundliche Kreativität auf wie Krysztof Pomian in der FAZ: Er glaube nicht, dass wir das, was er sich wünscht, noch erleben.
"Andererseits", meint er dann, "wer hatte sich noch 1985 vorstellen können, dass die Sowjetunion zusammenbricht? Und sie ist zusammengebrochen. Jemand, der kurz vor der Französischen Revolution gelebt hat, hätte sich nie vorstellen können, dass das möglich ist. Genauso wie bei der Oktoberrevolution oder beim Zusammenbruch der Wall Street im Jahr 2008, das hat auch keiner erwartet. Also, hoffen wir, dass uns das Leben überrascht!"

Das Gemeinschaftserlebnis retten

Hoffen wir, dass die Zukunft deutsche Feuilletons liest. Die TAZ ist übrigens bescheidener und kümmert sich um die nähere, ja um die allernächste Zukunft, sprich: um Weihnachten.
Ambros Waibel bleibt die Beobachtung vorbehalten: "Eigentlich ist Weihnachten ja nichts anderes als ein Lockdown. Die Geschäfte sind zu, die Museen an den Feiertagen auch. Keine Zeitungen werden konsumiert oder produziert – sehr wichtiger Punkt – , die Außenwelt bleibt mal draußen und neben genug Ente, Edeltofu und Plätzchen ist auch genug Klopapier da."
Tobias Schulze hat in derselben TAZ eine radikale Idee, wie man dieses Gemeinschaftserlebnis retten kann. Und wieder liegt das Rettende in der Zukunft. Schulze schlägt den 21. Mai vor. Ja, die Verlegung des 24. Dezember auf den 21. Mai. "Weihnachten", meint er, "wäre in diesem Fall für viele Menschen einsam, das stimmt. Aber dazu käme ein bisschen Hoffnung, eine tröstende Aussicht auf ein langes Wochenende in einem halben Jahr, wenn die Großeltern geimpft, die Temperaturen gestiegen und die Infektionszahlen gesunken sind."
"Ganz unzynisch", meint Schulze: "Dann kann jeder nachholen, was er will. Das Familientreffen mit Baum oder ohne, das Fußballspiel oder die drei Tage im Club. Und wenn es denn sein muss: sogar mit Böllern." Sobald sie in der Zukunft liegen, bekommen die Dinge diesen Zusatzamodus: Könnte ja alles auch noch gut werden. Oder schön. Für die Gegenwart helfen diese Visonen allerdings, so viel sei gewarnt, bedingt.
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