Aus den Feuilletons

Waschbär als Problembär

04:12 Minuten
Ein Waschbär liegt auf einem Hausdach
Es gibt zu viele Wildschweine, aber auch der Waschbär vermehre sich zu stark, schreibt Wiebke Hüster in der "FAZ". © picture alliance / dpa / Matthias Tödt
Von Arno Orzessek · 18.02.2021
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Der Waschbär ist süß, schreibt die "FAZ". Doch weil er das Überleben anderer Tierarten gefährde, müsse der eingewanderte Räuber - notfalls mit Gewalt - dezimiert werden, denn Krankheiten reichten dazu nicht aus.
"Oh weh, Rocky Raccoon!" titelt die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG. Sie will damit aber keineswegs ausdrücken, dass ihr der alte Beatles-Titel "Rocky Raccoon" Schmerzen bereitet.
Nein, es geht in der FAZ um den leibhaftigen Raccoon, der wissenschaftlich Procyon lotor heißt und auf Deutsch Waschbär. Der fühlt sich hierzulande immer wohler. "Niedlich, aber schädlich", befindet Wiebke Hüster, die gern über Tiere und Tierisches schreibt und ihr Urteil gut begründen kann:
"Der Waschbär ist süß. Aber er stört. Er frisst Bodengelege. Eine Million Tier- und Pflanzenarten werden in den nächsten Jahrzehnten aussterben, das sind fünfzig Prozent aller wissenschaftlich bestätigten mehrzelligen Lebewesen. Auf DAISIE, der im Auftrag der Europäischen Kommission erstellten Liste eingewanderter Räuber, ist der Waschbär 2006 unter den Top Ten. Staupe, Räude oder Waschbärtollwut, die wir glücklicherweise noch nicht haben, tragen nicht dauerhaft zur Waschbärdezimierung bei. Nur systematischere Bejagung durch Menschen könnte dieses Ziel erreichen."
Entschieden waschbärkritisch: Wiebke Hüster in der FAZ.

Befangene Israelkritik

Wir bleiben beim Genre Kritik, wechseln aber in völlig andere Sphären. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG moderiert "ein Streitgespräch zwischen Susan Neiman und Michael Brenner über Kritik an Israel". Hören wir zunächst die Philosophin Neiman, die das Einstein-Forum in Potsdam leitet.
"Ich merke doch, dass der sehr verständliche Wunsch von anständigen Deutschen, Verantwortung zu übernehmen für das Tun ihrer Eltern und Großeltern während der Nazizeit, zu einer zunehmend konservativen Position führt, wenn wir über die israelische Politik sprechen. Je schlimmer es wird in Israel, je nationalistischer und rassistischer, desto mehr müsste man eigentlich seine Stimme dagegen erheben. Stattdessen fällt mir in Deutschland eine Art Selbstzensur auf."
Von dem Historiker Michael Brenner erwartet die SZ durchschaubarerweise eine andere als Neimans Meinung und bekommt sie in aller Vorsicht auch zu hören. "Es gibt eine intensiver werdende Diskussion über die Frage, welche Form von Kritik an Israel letztlich nur eine rhetorische Tarnung für Antisemitismus ist und daher nicht in öffentlichen Einrichtungen und unterstützt von Steuergeldern stattfinden sollte. Eine Diskussion darüber halte ich für legitim."
Brenner und Neiman sprechen in der SZ über viele heiß diskutierte Themen: die Mbembe-Debatte, die Initiative "Weltoffenheit", den BDS-Beschluss des Bundestags. Deshalb: klare Leseempfehlung.
Auf die Frage, ob man den Holocaust mit anderen Menschheitsverbrechen vergleichen darf, antwortet Brenner übrigens genau das, was sich viele öffentlich agierende Personen leider nie hinter die Ohren geschrieben haben: "Vergleichen darf man immer, aber nicht gleichsetzen."
"Autoritär alternativlos" heißt in der Tageszeitung DIE WELT eine Überschrift, in der unseres Erachtens auch die umgekehrte Wortreihenfolge mitschwingt, also: alternativlos autoritär.

Reguliertes Leben wird begrüßt

Die WELT druckt einen Auszug aus "Not und Gebot. Grundrechte in Quarantäne", einem Buch von Heribert Prantl, ehemals Mitglied der SZ-Chefredaktion. Darin heißt es:
"Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik ist das Leben der Menschen außerhalb von Gefängnissen so strikt reguliert worden wie in der Corona-Zeit. Jede einzelne der vielen Verbots- und Kontrollregeln hätte in anderen Zeiten zu Aufständen geführt. In der Corona-Zeit wurden sie überwiegend akzeptiert, begrüßt, ja es wurden sogar noch Verschärfungen gefordert. Die Sicherheitsgesetze, die zur Zeit des Terrorismus verhängt wurden, fanden in der Corona-Zeit nicht nur ihre begrüßte Fortsetzung, sondern ihre willkommene Potenzierung."
Deutliche Worte von Heribert Prantl über das Schicksal der Freiheitsrechte in Zeiten von Corona.

Höhepunkt des Corona-Alltags

Wenn Sie etwas soziologisch Fundiertes, aber auch überaus Nettes über Menschen in der Pandemie lesen wollen, lesen Sie bitte in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG nach, inwiefern gegenwärtig "der Einkauf im Supermarkt zum Höhepunkt des Tages" wird.
Und wenn Sie dann das nächste Mal ihren bevorzugten Supermarkt betreten, halten Sie sich bitte an die Parole, die der NZZ als Überschrift dient: "Wir tanzen mit Masken vor dem Gemüseregal."
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