Aus den Feuilletons

Was Literatur und Software gemeinsam haben

Eine Person tippt auf der Tastatur eines Laptop Computers.
"Sind Programmiersprachen die neuen Weltsprachen?", fragt die "NZZ". © imago / Jochen Tack
Von Arno Orzessek · 09.02.2016
Literarische Sprachen und Programmiersprachen haben viel gemeinsam, findet der Schriftsteller Peter Glaser in der NZZ und prägt dafür das Wort "Überallgorithmus". Große Softwareprodukte und alte Epen stehen sich sehr nahe, glaubt er.
Sie wissen es sicher, liebe Hörer: Die TAGESZEITUNG pfeift gern mal auf altbackene Pietät ...
Und insofern passen die Worte, mit denen die Kolumnistin Silke Burmester den verstorbenen Roger Willemsen verabschiedet, durchaus ins rotzige TAZ-Schema.
"Der Königspudel der Talkshowtalker ist tot", lästert Burmester und bekennt - sagen wir: affenpinschermäßig keck – dass sie die "cremige Matscheart" Willemsens "immer schrecklich fand".

Die wichtigsten Regeln für die Teezubereitung

Wir bleiben bei Hunden und Menschen.
Die Tageszeitung DIE WELT erklärt "Warum man den Tee vor der Milch eingießen muss" ...
Genauer gesagt, sie lässt es George Orwell erklären, dessen Elogen und Spottgesänge auf das geliebte England der WELT-Autor Wolf Lepenies mit großer Sympathie paraphrasiert und zitiert – darunter auch diese Auskunft Orwells über den Charakter seiner Landsleute:
"'Der Engländer ist traditionell phlegmatisch, engstirnig und nicht leicht aus der Ruhe zu bringen. Millionen von Engländern akzeptieren als Emblem die Bulldogge, ein Tier, das für Sturheit, Hässlichkeit und undurchdringliche Dummheit bekannt ist.'"
Was nun die Teezubereitung angeht, kannte Orwell gleich elf Regeln, die er – logisch oder nicht - allesamt als "'güldene'" betrachtete.
"Dazu gehörte es, nur indischen oder ceylonesischen Tee zu verwenden, nie Zucker zu benutzen und den Tee unbedingt vor der Milch in die Tasse zu gießen. Diese Regel Nr. 10 war am heftigsten umstritten. In jeder englischen Familie gab es zwei miteinander verfeindete 'Denkschulen' . Mein Argument aber, schrieb Orwell, ist unwiderlegbar: 'Nur wenn man den Tee zuerst eingießt, lässt sich der Anteil der Milch exakt regulieren, geht man umgekehrt vor, läuft man Gefahr, zu viel Milch zu nehmen.'"
Natürlich interessiert sich Wolf Lepenies für solch eminente Dinge, um der schrecklichen Drohung namens "Brexit" zu wehren.
Wer Orwell lese, so Lepenies mit dezent schwarzem Humor, "der kann nicht daran zweifeln, dass England für Europa unverzichtbar ist."
Im übrigen gönnt sich die mondäne WELT auch noch den Artikel "Ohne den Circonflexe wäre Französisch weniger französisch". Matthias Heine beleuchtet das harte Schicksal des Akzentzeichens im Rahmen einer Rechtschreibreform ...

Über die Nähe von alten Epen und Programmiersprachen

Wir aber wenden uns dem Digitalen zu und fragen mit der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG:
"Sind Programmiersprachen die neuen Weltsprachen?"
Unter dem Neu-Wort "Überallgorithmus" – 'Überall' wie gewohnt mit zwei l, weshalb der Algorithmus in "Überallgorithmus" ein l zu viel hat – setzt der Schriftsteller Peter Glaser alte und neue Aufschreibesysteme ins Verhältnis.
"Dabei scheint ein Vergleich zwischen literarischen Sprachen und Programmiersprachen zu zeigen, wie nahe große Softwareprodukte und alte Epen einander stehen. Was vormals Refrains waren, heißt nun Schleife oder Loop. Die sogenannten reservierten Wörter der Programmiersprachen decken sich mit Besonderheiten aus der Lyrik, wo ein Begriff wie 'Rose' nicht einfach nur für eine rote Blume steht. Und Epen wie auch komplizierte Programme sind komplexe Überlieferungssysteme über Generationen hinweg."
Tja, wie viele Programmierer die Sache wohl so sehen wie der NZZ-Autor Glaser?
Fest steht, dass die Zeitschrift "Merkur" in Berlin über die Konkurrenz zwischen analoger Literatur wie etwa dem Roman und digitalen Phänomenen wie etwa Twitter diskutieren ließ.
Wobei es laut TAZ-Autor Dirk Knipphals zu kulturellen Hegemonie-Kämpfen kam.
"Nicht ganz so smarte Vertreter der Twitteratur wie (Kathrin) Passig und (Holger) Schulze erheben für digitale Literaturformen einen starken Avantgardeanspruch, als könne man mit Romanen nicht innovativ sein. Und die im analogen Literaturbetrieb festgefahrenen Romanverteidiger sehen im Digitalen oft weiterhin Schwundformen und Verfall."
Zum Schluss: Vermischtes. Die TAZ variiert Descartes' "Cogito sum" und warnt sehr hübsch:
"No cogito (ergo: dumm)"
Was aber auch schon egal ist, falls der Berliner TAGESSPIEGEL recht hat:
Er titelt: "Am Donnerstag ist Weltuntergang."
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