Aus den Feuilletons

Warum Kultur kein "Freizeitspaß" ist

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Die freie Kunstszene fordert bei einer Demo mit einem Transparent ein monatliches Existenzgeld während der Coronapandemie.
Obwohl in der freien Kreativwirtschaft viele Menschen beschäftigt sind und sie für Umsätze sorgt, wird sie stiefmütterlich behandelt. © imago-images / Müller-Stauffenberg
Von Gregor Sander · 26.01.2021
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"Die Welt" und die "SZ" stellen eine Studie vor, wonach die Kultur- und Kreativwirtschaft mehr Beschäftigte hat als die Auto- oder chemische Industrie. 90 % davon erhalten keine Subventionen. Die Politik müsse deswegen jetzt in die Kultur investieren.
Kunst und Kultur sind nicht systemrelevant und finden daher zurzeit kaum statt. Im Gegensatz etwa zur Autoindustrie, an deren Bändern auch während der Pandemie fleißig geschraubt wird. Aber wird der Kultursektor da nicht etwas klein gemacht? Den Eindruck kann man nach der Lektüre der Tageszeitung DIE WELT bekommen:
"Ende 2019 hatte die Kultur und Kreativwirtschaft deutlich mehr Beschäftigte als andere führende Sektoren der europäischen Wirtschaft: 2,9 Mal mehr als die Automobilindustrie und 6,3 Mal mehr als die chemische Industrie", schreibt Swantje Karich und zitiert dabei aus einer Studie, die im Auftrag europäischer Künstlervertretungen, etwa der deutschen VG Bildkunst durchgeführt wurde.
Gut, aber die leben doch alle von Staatskohle, könnte man einwerfen. Karich widerspricht:
"Nur zehn Prozent der Branche werden in Europa staatlich unterstützt. 90 Prozent sind private Unternehmen und – das ist entscheidend – zum Großteil Kleinstunternehmen, einzelne ambitionierte Künstler, Musiker, Schauspieler, Grafiker. Im Jahr 2019 waren es 7,6 Millionen Menschen."
Catrin Lorch von der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG hat die Studie ebenfalls gelesen und stellt so ermutigt fest, dass "Politiker, die in Kultur investieren, mittels Subventionen oder wirtschaftlicher Hilfen, nicht in Freizeitspaß Geld versenken, sondern einem bedeutenden Wirtschaftsbereich durch die Krise helfen."

Neue Kunst und Hunde im Weißen Haus

Ebenfalls in der SZ fragt Nele Pollatschek schon in der Überschrift: "Laut Duden sind Ärzte jetzt Männer. Was verlieren wir denn durchs Gendern?". Aber dann schreibt die Autorin schon in ihrem ersten Satz: "Es gibt Wichtigeres als diesen Artikel."
Und das ist natürlich gefährlich, weil andere erste Sätze locken, etwa der von Maxie Römhild in der TAZ: "Nach vier trostlosen Jahren darf im Weißen Haus wieder gebellt werden: Die 'First Dogs' namens Champ und Major sind eingezogen. Joe Biden führt damit eine Tradition fort, mit der sein Vorgänger Donald Trump als erster Präsident seit 100 Jahren gebrochen hatte."
Ach, da wird einem doch ganz warm ums Herz, zumal der eine Köter auch noch aus dem Tierheim stammt. "Dass Biden den roten Knopf beseitigen ließ, mit dem Trump seinen Diät-Cola-Nachschub sicherte, sorgte für allerlei Spott", berichtet Frauke Steffens in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, aber auch, dass nun neue Kunst im Weißen Haus eingezogen ist:
"Eine Büste des ermordeten Bürgerrechtlers Martin Luther King, die bereits im Weißen Haus war, bekommt in Bidens Büro einen prominenteren Platz. Aus der Nationalen Porträtgalerie des Smithsonian stammen Büsten der schwarzen Freiheitskämpferin Rosa Parks und des ermordeten Justizministers Robert F. Kennedy. Ein Porträt von Franklin D. Roosevelt, dem Schöpfer des New Deal, hängt ebenfalls in Bidens Büro."

Abschaffung des generischen Maskulinums im Duden

Nach diesem künstlerischen Rundgang durch das Zentrum der Macht kehren wir reumütig zu Nele Pollatschek in die SZ zurück, weil es uns natürlich interessiert, dass sie lieber nicht als Schriftstellerin bezeichnet werden möchte, wie das jetzt der Duden auch bei ihrem Beruf unterscheidet, sondern beruflich gern im generischen Maskulinum aufgehen möchte. Auch wenn sie zu bedenken gibt:
"So generisch, wie es die Anhänger des generischen Maskulinums gerne hätten - und zu dieser Gruppe gehöre ich - war das generische Maskulinum nie." Wird es aber abgeschafft, wie jetzt im Duden, befürchtet Pollatschek Folgendes:
"Dann wäre jeder Berufsausübende in jeder Berufsbezeichnung männlich oder weiblich markiert. Ob wir wollen oder nicht. Und es gibt Menschen, die das nicht wollen. Nicht nur nicht-binäre Menschen, also jene, die weder Mann noch Frau sind, die im generischen Maskulinum wenigstens 'mitgemeint' wurden, aber nach neuem Duden gar nicht mehr abbildbar sind. Sondern auch alle Menschen – und zu denen gehöre ich – , die einfach nicht in jeder Berufsbezeichnung eindeutig männlich oder weiblich markiert werden wollen."
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