Aus den Feuilletons

Warten auf den Musenkuss

Aufgenommen am 21.07.2013 in Münster-Altheim.
„Das Ohr kontrolliert, die Hand mit dem Bleistift begleitet“, so sagt es zum Beispiel Lutz Seiler. © picture alliance / dpa / Susannah V. Vergau
Von Ulrike Timm |
Nicht etwa mit dem Laptop, sondern mit Bleistift, Kuli oder Füller werden noch immer viele ihrer Ideen festgehalten. Das haben 20 Schriftsteller der „Süddeutschen Zeitung“ vor der Leipziger Buchmesse verraten.
„Die Weltgeschichte ist zuerst immer so eine Art Tratsch“
– sagt das besenstildürre dunkle Männchen zum zwiebelförmig knubbligen hellen Männchen, und ihre Nasen stoßen ob des denkwürdigen Satzes fast aneinander. Der TAGESSPIEGEL lässt sich seine Seiten zur Leipziger Buchmesse von Nicolas Mahler illustrieren, der Comiczeichner wird dort mit dem Preis der Literaturhäuser ausgezeichnet. Wie Nicolas Mahler Robert Musils vieltausendseitigen „Mann ohne Eigenschaften“ auf 155 Seiten eingedampft hat, das hat viele begeistert, die Musils Monolithen der Weltliteratur im Regal bestaunt und sich dann schnell aus dem Staub gemacht haben. Wenn die dann von der Graphic Novel kommend Lust auf Musils Original bekommen – umso besser!
Die Pressebeschauerin hat blitzschnell nachgeguckt, wie es bei Musil nach dem Satz „Die Weltgeschichte ist zuerst immer so eine Art Tratsch“ weitergeht – „da stehen die energischen Menschen eben vor einer sehr schwierigen Aufgabe“, so heißt es im „Mann ohne Eigenschaften“. Das stimmt fast immer, auch für eine Presseschau. Schade, dass da nicht immer so ein Nicolas- Mahler- Männchen hilft, sei's zwiebelknubblig oder besenstildünn.
Der Schriftsteller Lutz Seiler: Für seinen DDR-Roman "Kruso" wurde er von der Kritik gefeiert.
Der Schriftsteller Lutz Seiler: Für seinen DDR-Roman „Kruso“ wurde er von der Kritik gefeiert.© dpa / picture alliance / Arne Dedert
Altmodische Schreibgeräte
„Wann schreib ich – und wenn ja, wie lange?“
titelt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, sie hat Schriftsteller nach ihrer täglichen Arbeit befragt. Gut 20 Stimmen sind zusammengekommen, von möglichst regelmäßigen Tagesrhythmen ist viel die Rede, den Musenkuss erwartet ernsthaft niemand täglich und als Schreibgerät der ersten Runde sind Bleistift, Kuli und Füller eine erstaunlich starke Fraktion.
„Das Ohr kontrolliert, die Hand mit dem Bleistift begleitet“
– so schön beschreibt Lutz Seiler seine Selbstgespräche beim Dichten. Und die Frage nach der Inspiration beantwortet Felicitas Hoppe listig und gewitzt mit einer Anekdote des Kinderbuchautors Dr. Seuss:
„'Ich besorge mir alle meine Ideen in der Schweiz, unweit des Furka Passes. Dort gibt es eine kleine Stadt mit Namen Gletsch, und zweitausend Fuß oberhalb von Gletsch gibt es eine noch kleinere Stadt, ein Dorf namens Übergletsch. Dahin fahre ich jeden Sommer, um meine Kuckucksuhr reparieren zu lassen. Während der Kuckuck im Krankenhaus ist, laufe ich herum und rede mit den Leuten auf der Straße. Es sind ziemlich komische Leute, und von ihnen bekomme ich meine Ideen‘. Genauso mach‘ ich es auch.“
sagt Felicitas Hoppe der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Danke! Und schöne Buchmesse!
Die BERLINER ZEITUNG geht wesentlich handfester an das Ereignis der nächsten Tage heran, schaut statt vorab auf „Leipzig liest“ auf den Blog „Leipzig lauscht“, wo die wesentlichen Fragen des Literaturmesselebens gestellt werden, zum Beispiel
„Welche Rolle spielt der Alkohol?“
Wo man seinen Ärger im Netz loswerden kann
Und damit noch kurz zu ganz profanen Wortabsonderungen, die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG führt uns ins „Mekka des Meckerns“, eine Website, um seinem Ärger Luft zu machen, über Kellner, Waschmaschinen, inkompetente Kundendienste, undichte Fertiggaragen und über das Leben an sich. Staunend stellt Oliver Jungen fest:
„Im Minutentakt werden bei Reclabox ... seitenlange Texte eingestellt im wiederum erstaunlichen Vertrauen darauf, dass sich irgendjemand (im Idealfall der Verursacher des Ärgers) dafür interessieren könnte. Querulantentum muss nicht mehr bemäntelt werden, hier gilt es als Tugend: ‚Auf bislang mindestens fünfzig Mails hat der Hersteller nicht reagiert‘, brüstet sich ein Streiter für die Gerechtigkeit, der einer Firma schließlich – größter Triumph – die Ware plus Entschädigung abgerungen hat. Fünfzig Mails! Wir Anfänger im Motzgewerbe sind eben noch nicht auf der Höhe des Kampfes!“
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