Aus den Feuilletons

Warnung vor einer Welt ohne Autoritäten

Grafik: Ein großer Mann hält eine Rede, symbolisiert durch eine Sprechblase, zu einer Menge kleiner Menschen.
Eine Welt ohne Autoritäten könne zur „Tyrannei der Masse“ führen, stellt die FAZ fest. Immer mehr Menschen sind der Auffassung, ihre Meinung sei schon alles. © imago / Ikon Images
Von Tobias Wenzel · 24.11.2018
Genauso wie der Pilot einen Pilotenschein brauche, so sollte auch bei Meinungsäußerungen über Kultur und Politik ein gewisses Maß an Qualifikation Voraussetzung sein, fordert die FAZ und wünscht sich eine "Autorität der Reflexion".
"Wo ist der Denkmalschutz, wenn man ihn braucht?", witzelte Friedrich Küppersbusch zu Wochenbeginn in der TAZ zum beschlossenen Aus der "Lindenstraße" nach 35 Jahren. Ihr Erfinder Hans W. Geißendörfer und seine Tochter Hana Geißendörfer, die die "Lindenstraße" aktuell produziert, wollen aber das Ende nicht einfach akzeptieren. Hans Hoff machte in der SZ im Gespräch mit beiden einen frechen Vorschlag für die letzte Folge: "Man könnte Quentin Tarantino engagieren …" – "Der dann alle abmetzelt?", fragte die Produzentin. Das Ende und die Auflehnung dagegen haben überhaupt die Feuilletons dieser Woche bestimmt.

Für Mindestanforderungen bei Meinungsäußerungen

Simon Strauß beschrieb in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG das drohende Ende der Autorität – als solche würden viele Menschen weder Kirchen noch Parteien noch Medien anerkennen – und versuchte sich in einer "Ehrenrettung der Autorität". "Vielleicht ist das der eigentliche Zeitgeistfehler, dass immer mehr Menschen annehmen, ihre eigene Meinung wäre schon alles und wertvoll und in jedem Fall schützenswert", schrieb er und widersprach: "Es gibt minderwertige Meinungen, es gibt eine abschätzbare Hierarchie der Wahrheiten." Eine Welt ohne Autoritäten könne zur "Tyrannei der Masse" führen. Zwar könne man in einer offenen Gesellschaft niemanden dazu zwingen, Autoritäten anzuerkennen. Allerdings gebe es eine "Pflicht zur Akzeptanz von Wertunterschieden": "Niemand würde auf die Idee kommen, einen Piloten fliegen zu lassen, nur weil er ein paar Pilotenfilme gesehen hat und gern Simulationsspiele spielt. Aber beim Arbeiten an der Gesellschaft, beim Reden über politische Probleme und kulturelle Zusammenhänge soll es keine Mindestanforderung geben? Doch. Die richtige Antwort auf den liberalisierten Populismus muss heißen: Autorität der Reflexion."

"Freunde, sucht lieber euch selbst"

Michel de Montaigne kann nicht mehr nachdenken. Im Keller des Musée d’Aquitaine in Bordeaux, in einer Familiengruft, scheinen nun die sterblichen Überreste des französischen Schriftstellers gefunden worden zu sein. Darüber und über die Verfügungen von Montaignes Ehefrau berichtete Georg Blume in der ZEIT: "Françoise de Montaigne hatte die Leiche ihres Ehemannes den Mönchen übergeben – allerdings ohne sein Herz, das sie auf dem geliebten gemeinsamen Landschloss verwahrte." Später wurde auf dem Klostergelände das Museum gebaut, erläutert Nils Minkmar im neuen SPIEGEL. Gerade an diesem Ort habe man aber seltsamerweise bis vor kurzem nicht nach den Gebeinen gesucht: "Montaigne würde das amüsieren – gesucht zu werden, obwohl man anwesend ist. An seinem Kommentar kann es keinen Zweifel geben: Freunde, sucht lieber euch selbst." Bevor euer eigenes Ende da ist – möchte man ergänzen.

Gescannte Prominente

Zum Glück ist Montaigne schon über vierhundert Jahre tot. Sonst würde man ihn heute wohl für einen siebenstelligen Betrag bis zur letzten Hautpore einscannen. Die Firma Digital Domain habe so schon rund sechzig Schauspieler konserviert, um sie möglicherweise irgendwann nach ihrem Tod wieder in Filmen auferstehen zu lassen, schrieb Michael Moorstedt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. "Ende November gibt ein Hologramm von Maria Callas sein Debüt in den europäischen Opernhäusern", verriet der Journalist.

Wichtiger als die digitale Wiederherstellung von gestorbenen Prominenten erscheint dann doch die Restitution afrikanischer Kunstgegenstände. Und das Ende der Hinhaltetaktik. Das afrikanische Kulturerbe dürfe nicht länger Gefangener europäischer Museen sein, sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und verurteilte den Kolonialismus als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Nun hat Macron einen von ihm bestellten Expertenbericht entgegengenommen. Demzufolge sollen alle afrikanischen Objekte, die bei Militäraktionen erbeutet worden sind, sofort zurückgegeben werden. "Er hat ein Fass geöffnet, das man nicht mehr schließen kann", kommentierte mit Blick auf Macron Peer Teuwsen in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. Jürg Altwegg prophezeite in der FAZ: "Die Widerstände werden gewaltig sein."

Der Dieb Deutschland lädt zum Bier ein

Wohl auch bei den deutschen Museen. Sonja Zekri zitierte in der SZ die nigerianische Kunsthistorikerin Peju Layiwola: "Was gestohlen wurde, muss zurückgegeben werden. Es ist, als gehöre mir ein Auto, aber ein anderer fährt es." Jörg Häntzschel führte das Bild in derselben Zeitung fort: "Der Dieb Deutschland […] hofft, seine Tat gutzumachen, indem er das Opfer zum Bier einlädt und ihm dann – mit dessen Auto – ab und zu die Einkäufe nach Hause bringt."

Wissenschaftliche Verschwörungstheorien

Kommt es zur Restitution der afrikanischen Kunstgegenstände, erfreut das alle Postkolonialismusforscher. Aber nicht alle Postkolonialismusforscher erfreuen Judith Basad. Nach der Lektüre ihres FAZ-Artikels hält man die dort zitierten Fachleute nicht für Wissenschaftler, sondern für Sektenmitglieder. Der ganze Westen werde als verwerflich angesehen. Das sei gefährlich. "Denn so werden moralische Grundsätze wie die Ablehnung von Gewalt, Terrorismus oder Verstümmelung außer Kraft gesetzt und eine antiwestliche Agenda in den Wissenschaften etabliert", schrieb Basad. So habe die Geschlechterforscherin Claudia Brunner in ihrer Doktorarbeit sogar islamistischen Terror verteidigt: "Der Selbstmordattentäter an sich, so Brunner, sei […] nur eine Erfindung einer ‚okzidentalistischen Selbstvergewisserung‘, die durch die ‚koloniale Expansion europäischer Staaten‘ und durch das ‚kapitalistische Weltsystem‘ gelenkt würden." Kommentar der Journalistin: "Derartige Verschwörungstheorien stellen keineswegs einen wissenschaftlichen Ausrutscher innerhalb der Gender Studies dar. Denn Claudia Brunner wurde für ihre Arbeit mit dem Caroline-von-Humboldt-Preis für Nachwuchswissenschaftlerinnen ausgezeichnet – einem der höchstdotierten Wissenschaftspreise in Deutschland."
Mit dem Ende an sich hadert der Mensch. Das Ende solcher "Wissenschaft" sollte die Menschheit aber verkraften können.