Aus den Feuilletons

War Helmut Schmidt bestechlich?

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Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt mit Pfeife.
Als Helmut Schmidt 1977 das wertvolle Gemälde geschenkt bekam, war er Bundeskanzler. © imago images / Sven Simon
Von Burkhard Müller-Ullrich · 16.10.2020
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Die Kunstsammlung von Loki und Helmut Schmidt umfasst auch einige Werke von Ernst Nolde. Eines davon wird nun zum Politikum. Ein Unternehmer schenkte dem damaligen Kanzler ein Ölbild im Wert von 150.000 Mark – nachzulesen in der "SZ".
"Berlin ballert Geld raus, als gäbe es kein Morgen." Ein Satz, der universell wahr und sicher nicht nur in den Feuilletons zu lesen ist. Hier aber geht es um Architektur, und zwar um aktuelle Herrschaftsarchitektur, nämlich das Kanzleramt. Niklas Maak, Architekturkritiker der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, kann dem geplanten Ergänzungsbau in Berlin nichts Positives abgewinnen:
"Das Kanzleramt ist jetzt schon rund achtmal so groß wie das Weiße Haus in Washington", weiß Maak – von Downing Street No. 10 ganz zu schweigen. Mit einer Bruttogeschossfläche von mehr als 64.000 Quadratmetern ist das deutsche Kanzleramt schlicht und einfach das größte Regierungsgebäude der Welt.

Kanzleramtsanbau wird zum Politikum

Was für ein Kontrast zu den architektonischen Repräsentationsformen der alten, der Bonner Bundesrepublik. Als Willy Brand einst Kanzler war, bezog er, wie Maak erinnert, einen bescheidenen "Bau in Verwaltungssitz-Ästhetik, der sich in einen Park duckte und vor allem eine sachliche Atmosphäre ausstrahlte".
Jetzt also, zwei Jahrzehnte nach der Eröffnung, soll das Berliner Riesenkanzleramt gewaltig erweitert werden "für eine Summe, die zwischen 485 und 600 Millionen Euro liegt – was auf einen Quadratmeterpreis von über 18.000 Euro (eine Summe, die sonst nur für Hochsicherheitslabore veranschlagt wird) hinausläuft". Maak findet das "gerade in Krisenzeiten wie jetzt eine seltsame Botschaft".

Will Merkel durch die Hintertür regieren?

Aber was eigentlich dahinter steckt, wenn nun 400 Büros mehr gebraucht werden, das erklärt Thorsten Jungholt in der WELT unter der Überschrift: "Merkels Machtmaschine". Die Kanzlerin hat in 15 Amtsjahren die Zahl ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um mehr als 50 Prozent gesteigert, und dieser enorme Zuwachs hat nicht nur damit zu tun, dass das Regieren komplexer und schwieriger geworden ist und mehr Sachverstand gebraucht wird. Sondern: Sie bläht ihren Apparat auf, um das Regierungskabinett auszuhebeln. Jungholt beschreibt es so:
"Es wird klandestin eigene Kompetenz geschaffen, parallel zu den Ministerien. Es ist der Versuch, die Richtlinienkompetenz gleichsam durch die Hintertür durchzusetzen."
Dabei erhebt das Bundeskanzleramt nach außen hin gar keinen Führungsanspruch, sondern versteht sich laut Eigenbeschreibung lediglich als "zentrale Koordinierungsstelle der Regierungspolitik". "Für diese zurückhaltende Ambition freilich", so kommentiert Jungholt trocken, "hat die amtierende Regierungschefin sich erhebliche Ressourcen geschaffen".
Dass sich mit einer Präsidialverfassung leichter regieren ließe als mit einer großen Koalitionsregierung, deren Mitglieder ihre Zuständigkeitsbereiche sorgsam abzuschotten trachten, liegt auf der Hand. Aber Deutschland ist nicht Frankreich. Nur das gigantische Bauprojekt der Kanzlerin trägt gewissermaßen französische Züge. Denn wie nirgends sonst gehen in Frankreich die Staats- und Kultursphäre ineinander über.

Der Kunstgeschmack von Loki und Helmut

Ein bisschen gemahnt daran auch ein Ausstellungsbericht von Till Briegleb in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Es geht um eine Schau mit dem Titel "Kanzlers Kunst" im Hamburger Ernst-Barlach-Haus. Gezeigt wird dort die Privatsammlung von Helmut und Loki Schmidt: 140 Werke, die in ihrem Privathaus in Hamburg-Langenhorn hingen.
Briegleb macht sich über den Geschmack der beiden gleich ein bisschen lustig: die Sammlung bestehe "vornehmlich aus Hafen- und Heidemotiven, die in ihrer durchgängig schmutziggrauen Farblichkeit den Eindruck erwecken, als pflegte man im Hause Schmidt den depressiven Kunstgeschmack – oder als lebten Norddeutsche unter dem Aschehimmel eines ständigen Vulkanausbruchs".
Ein Ölbild von Nolde bekamen die Schmidts 1977 geschenkt, Wert: 150.000 Mark, Spender: ein Unternehmer. "Aufgedeckt hat diesen dubiosen Vorgang, der den Verdacht der Bestechlichkeit erwecken könnte, der Kunsthistoriker Bernhard Fulda", berichtet Briegleb. Fulda hat zuvor Noldes Nazi-Gesinnung zum Thema gemacht, um die Helmut Schmidt wohl wusste, die er aber im Hinblick auf Noldes Kunst für unwichtig hielt.
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