Aus den Feuilletons

Wagemut nach Amtsabtritt

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) vor dem Brandenburger Tor.
Jetzt führt er das Wort "Mut" im Munde: Berlins Noch-Regierender Klaus Wowereit. © dpa / picture-alliance / Kay Nietfeld
Von Hans von Trotha · 12.11.2014
"Es muss auch mal krachen", sagt der noch amtierende Regierende Bürgermeister Berlins dem "Tagesspiegel" und spricht sich für mehr mutige Architektur in der Hauptstadt aus. Dieser Mut fehlte ihm als operierender Kultursenator jedoch.
"Es muss auch mal krachen."
Das sagt der scheidende Berliner Kultursenator Klaus Wowereit dem TAGESSPIEGEL im Abschiedsinterview. Überschrift:
"Erst meckern, dann staunen. Das ist Berlin"
Mit dem Krachen meint Wowereit die Architektur. "Ein bisschen mehr Mut, so wie in Paris, wäre schon gut.", sagt der gerade noch Regierende. Schade, dass er das erst jetzt sagt, wo es nicht mehr interessiert, was er sagt. Mutige Architektur in Berlin unter Bürgermeister Wowereit - da hätte es schon krachen können.
Die Kometenlandung philosophisch betrachtet
Ob's hätte krachen können, wusste Ingo Arzt nicht so recht, als er für die TAZ seine philosophische Analyse der Landung von Philae auf Tschuri verfasste. Kurz nachdem Arzt die Redaktion verließ, ist die Sonde des einen auf dem Kometen des anderen Namens gelandet – aber:
"Der Redaktionsschluss lässt sich nicht an historische Ereignisse angleichen."
Vorsicht: So hat die Frankfurter Rundschau damals den Mauerfall verpasst. Aber sei's drum. Es hat nicht gekracht - nicht in der Berliner Architektur, nicht auf Tschuri – und Gott sei Dank auch nicht auf der Erde: "Schön, dass wir auf Tschuri landen und nicht andersrum", erschreckt uns Arzt kurz vor Redaktionsschluss.
"Der Wums würde uns ausrotten."
Und dann weiter:
"Falls das Universum denken kann, hat es dieser Tage viel zu schmunzeln. Über eine völlig aus den Fugen geratene Spezies mit der putzigen Eigenschaft, ganz kirre zu werden, wenn sie darüber nachdenkt, woher sie stammt und wozu sie wird."
Sozialismus und Kapitalismus besiegen
In der ZEIT denkt Thomas Assheuer nach. Über alles, also zumindest mal über alles, was so in Berlin passiert.
"Erst meckern, dann Staunen."
Assheuer meckert wenig, staunt aber nicht schlecht, was alles an einem Wochenende in Berlin los sein kann. "Die Fronten der Stadt", heißt sein Stück.
"Ein langes Wochenende mit Angela Merkel und Klaus Wowereit, mit Thomas Piketty und Frank Castorf".
Wem da nicht schon schwindelig ist, den könnte es bei der These erwischen, die das alles zusammenbringt:
"In Berlin wird die Vertreibung des Sozialismus gefeiert, jetzt soll auch der Kapitalismus besiegt werden."
"Ob das gut geht?", fragt Assheuer, und der Leser schließt sich der Frage leicht besorgt an angesichts des Eingangssatzes:
"Es gibt Ereignisse, die sind so gewaltig, dass die Metaphern vor ihnen davonlaufen."
Gemeint ist natürlich der Mauerfall. Aber gilt das nicht auch für die Sache mit Philae und Tschuri? "Der Komet ist unser verschrobener Opa im All", steht in der TAZ, aber auch:
"Manche sehen in ihm auch einen Embryo, manche ein Ente. Das Mysterium Komet findet in jeder Zeit seine passende Metapher. Die Russen hatten Juri Gagarin, die Amis Neil Armstrong, die Europäer haben Philae"
Russlands Entwirklichung
Tja, die Russen. "Die Russen verlieren den Bezug zur Realität", stellt der Zeichentheoretiker Michail Jampolsky in einem recht anspruchsvollen FAZ-Text fest. Mit Nietzsche, Freud und Hannah Arendt führt er vor, "wie man mit dem Hammer moralisiert".
"Russlands Gesellschaft ist drauf und dran, eine Sklavenmoral zu entwickeln. Sie ist geprägt von Ressentiment und Erschöpfung. Russlands Entwirklichung ist ins Stadium der Selbstzerstörung von Staat und Gesellschaft getreten."
Düstere Aussichten im Feuilleton.
Das bietet aber immer auch Ablenkung. Diesmal sogar Sport. Lothar Müller konstatiert in der SÜDDEUTSCHEN:
"Der schärfste Rivale des Sportfilms ist der Sport selbst. Für den Film 'Die Mannschaft' ist er mehr: der Gegner, gegen den er haushoch verliert."
Verlieren die Frauen die Hosen(rollen)?
Und noch ein Kampf im Feuilleton: "Angriff der Countertenöre", lautet der Aufmacher in der WELT.
"Nehmen die Falsettisten den Frauen bald auch noch die letzten Hosenrollen weg?"
Voller Spannung liest man quer, bis Manuel Brug die Frage tatsächlich stellt:
"Werden die Mezzosoprane jetzt also in Hosenrollen als Kastratenersatz ausgemustert?"
Der Atem stockt. Der Autor schreibt:
"Ganz bestimmt nicht."
So geht das zu im Feuilleton: Reißerische Fragen in der Überschrift, und dann ein flaues "Nö". Ist ja nur Kultur. Aber Vorsicht. "Kultur", sagt Klaus Wowereit dem TAGESSPIEGEL, "betrifft viele Lebensbereiche, das wird oft nicht wahrgenommen."
Schön, dass er das jetzt auch so sieht.
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