Aus den Feuilletons

Von männlichen Dirndln und Empörungs-Nazis

Von Paul Stänner · 27.01.2014
Die "Welt" behauptet, "Nazi" sei das – global gesehen – populärste deutsche Wort. Die TAZ hingegen sieht in Edward Snowdens offenem Hemdkragen ein Indiz für Begehren, während die SZ überall Ressentiment wittert.
Europa, das lehrt uns die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, entstand in einem Wellness-Zentrum. Heutige Europa-Politiker werden das nicht so einfach nachvollziehen können, britische schon gar nicht. Weil Karl der Große so gern warm badete, hatte er sich in Aachen niedergelassen, wo er vor 1200 Jahren verstarb – noch ein Gedenkjahr also. Alfred Grosser, der immer gefragt wird, wenn es um Europa geht, erinnert in der WELT an die blutigen Einigungsbemühungen Karls, der für seine Vorstellung von einem Reich den – wie Grosser sagt – ersten 30-jährigen Krieg führte, sodass er sich am Ende fragt:
Ob nun Karl der Große wirklich ein offenes, tolerantes, wertebewusstes Europa verkörpert hat, bleibe dahingestellt.
Wir sind sicher, gefeiert wird auf jeden Fall, das ist Aachen seiner Tourismuswirtschaft schuldig. Ebenfalls in der WELT findet sich die Überschrift:
"Nazi ist das populärste Wort deutsche Wort der Welt"
Irgendwie haben wir es geschafft, dass das Kürzel für unseren historischen Dreck zu einem beliebten internationalen Schimpfwort geworden ist – vor allem in Israel, wo die Knesset jetzt das Wort gesetzlich verbieten will. Zum Glück wird es nicht überall so ernst gesehen: 1995 erfand ein britischer Journalist den Begriff aerobics nazis, um über leidenschaftliche Sportler zu beschimpfen. Trotzdem ist einem nicht ganz wohl dabei, dass dieses Wort – wie die WELT findet – das populärste deutsche Wort sein soll.
Der Konjunktiv als leises Dementi?
Edward Snowden hat dem NDR ein Interview gegeben: Die WELT übt sich im Relativieren – so habe Snowden nicht den "endgültigen Beweis" erbringen können, "dass jeder einzelne Bürger abgehört und überwacht werden kann" und dass die NSA das wirklich tut. Wir sollen uns wohl entspannen. Außerdem ist der Kommentatorin aufgefallen, dass Snowden viele Konjunktive benutzt habe und schließt daraus:
"Der Konjunktiv ist glücklicherweise neben der Möglichkeit des Dementis auch ein Mittel der Distanz und des leisen Zweifels."
Da Snowden ihrer Meinung nach schon sich selbst dementiert, ist der Hinweis wohl nicht mehr wichtig, dass Interviewer Seipel angeblich "schlechte journalistische Qualität" abgeliefert habe. Man könnte glauben, die WELT versucht, die NSA-Affäre zu beerdigen wie weiland der unselige Pofalla.
Auch die Tageszeitung TAZ hat das Interview gesehen und wieder einmal das gefunden, was alle übersehen haben: Snowden trug a) keine Krawatte und hatte b) den obersten Knopf auf. Das, so lehrt uns die TAZ, ist ein Trend, denn:
"Inzwischen knöpfen Männer gern das Hemd auf, zeigen nicht nur Hals, sondern die mal blanke, mal behaarte Brust oder ihre sexy Unterwäsche. Auch sie wollen eben mal ein Dirndl füllen, wollen begehrenswert sein und ... anzüglich angemacht werden."
Absurde Empörungsrituale
Auf die Idee muss man in diesem Zusammenhang erst einmal kommen. Die SÜDDEUTSCHE nimmt erste Gerüchte, der Bau der Limburger Bischofsresidenz habe sich im kalkulierten Rahmen bewegt, zum Anlass einer generellen Kulturkritik. Beispiel ist die berühmte Badewanne, an der schon verwerflich war, dass sie freistehend sei – "und somit Inbegriff kleinbürgerlicher Schöner-Wohnen-Träume", wiedie SZ ätzt und dass sie 15.000 Euro kostete. Schreibt die SZ:
"Einmal kurz gegoogelt und man kennt den wahren Preis: 1200 bis 1500 Euro. Doch verdirbt die Recherche am Ende noch die schöne Wut, die man schüren möchte."
Und dann listet sie eine Reihe berühmter Bauwerke aus der jüngeren Vergangenheit auf, die alle mit undurchsichtigen Vorwürfen skandalisiert worden seien und resümiert:
"Gemeinsam ist ihnen aber das zunehmende Ressentiment, das ihnen in Form einer nicht immer begründeten Planerschelte und denkwürdig überzogenen Architekturkritik entgegenschlägt."
Es steht zu vermuten, dass diese – wie es heißt – "oft absurden Empörungsrituale" der Öffentlichkeit und der Medien dem Verlangen nach öffentlicher Wahrnehmung geschuldet sind – vielleicht ist die SZ schon dem Empörungs-Nazi auf der Spur.