Aus den Feuilletons

Von der Macht der Scham und goldenen Shitholes

Mit einem Skandal in Hollywood hat es angefangen - jetzt diskutiert auch Deutschland wieder über Sexismus. #MeToo - Ich auch - heißt das Hashtag, unter dem Frauen ihre Erfahrungen damit teilen.
Erst die MeToo-Debatte habe das schambedingte Schweigen von Frauen beendet, findet die FAZ © dpa / Britta Pedersen
Von Tobias Wenzel · 26.01.2018
Nach den neuen Vorwürfen gegen Regisseur Dieter Wedel und gegen Fernsehsender bestimmt die MeToo-Debatte die Feuilletons der "Süddeutschen Zeitung" und der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Die "TAZ" erinnert an den Jahrestag der Befreiung von Auschwitz.
"Für Produktionsfirmen, mehr aber noch für den gebührenfinanzierten Rundfunk stellt sich die Frage: Warum hat keiner eingegriffen?",
fragt Susan Vahabzadeh in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
"Nun, Dieter Wedel galt als der Meisterregisseur des damaligen Fernsehens. Und Genies dürfen schon mal über die Stränge schlagen."

Im Herrenklub waren sich alle einig

Dann, nach einem Schlenker über Hollywood, kommt die Filmkritikerin allerdings zu dem Schluss, dass Wedel zwar mit "Der große Bellheim" oder der "Schattenmann" gute Unterhaltung gemacht habe, mehr jedoch nicht. Trotzdem habe sich, wie es scheine, keiner für die Frauen und gegen Wedel ausgesprochen. Die Sender hätten damals "wie ein Herrenklub des Establishments" funktioniert:
"Homogene Machtstrukturen, in denen die meisten einen ähnlichen Hintergrund haben, führen dazu, dass jemand gedeckt wird, der recht mittelmäßig ist, weil alle Klubmitglieder das so vereinbart haben."

Die Kultur der Scham hat Männer begünstigt

Es gibt einen weiteren Grund, warum, ganz allgemein, Frauen als Opfer von sexuellen Übergriffen die Anzeige gescheut haben: die Scham. Die Historikerin Ute Frevert hat sich intensiv mit der Scham auseinandergesetzt. In der MeeToo-Debatte träten nur Männer als Handelnde auf. Die Frauen blieben meist in der Opferrolle, erläutert Frevert in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG.
Dieses Muster kennt sie schon aus der Geschichte:
"Generationenlang wurde Frauen eingeimpft, dass sie selbst für ihre Ehre und Unbescholtenheit verantwortlich sind. Jeder kecke Blick, jedes lockere Wort, hieß es, konnte als Einladung an einen Mann verstanden werden, dieser Ehre zu nahe zu treten. Deshalb war es am besten, die Augen niederzuschlagen und den Blick zu senken. Wer es an solchen Gesten der Bescheidenheit und Schamhaftigkeit fehlen ließ, war im Prinzip selbst schuld, wenn ein Mann ‚zu weit‘ ging."
Frauen hätten sich deshalb meist den Übergriff durch Männer selbst zugerechnet. Bis heute sei die "Macht der Scham" noch nicht gebrochen:
"Scham ist der beste Verbündete übergriffiger Männer, denn sie bringt Frauen zum Schweigen. Dieses Schweigen gebrochen zu haben ist die größte Leistung der MeToo-Kampagne".

Befreiung von Auschwitz jährt sich

"Ich bin auf einem Friedhof geboren."
Michel Friedmann sagt diesen Satz im Interview mit der TAZ zum Jahrestag der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee. Die Familien von Friedmanns Eltern sind in Auschwitz ermordet worden:
"Meine Eltern und meine Großmutter waren lebenslang in ihrer Seele verletzt. Trauer war eines der prägnantesten Gefühle in ihrem Leben. Aber genauso groß war ihr Unverständnis darüber, wie es möglich ist, dass Menschen andere Menschen umbringen, weil sie anders scheinen. Wie es möglich ist, daraus sogar eine 'moral-politische' Notwendigkeit zu fabulieren. Meine Mutter hat mir immer gesagt: 'Ich habe den Hass und die Gleichgültigkeit in Reinkultur erlebt. Ich kann dir, mein Kind, nur raten, nie zu hassen. Denn der Hass begleitet den Hassenden 24 Stunden lang.'"

Goldene Kloschüssel statt van Gogh

Da bedarf es keiner weiteren Überleitung zu Donald Trump. Willi Winkler berichtet in der SZ, das Weiße Haus habe schon im September das New Yorker Guggenheim-Museum um van Goghs Gemälde "Schneelandschaft" als Dauerleihgabe für die Wohnräume des neuen Präsidentenpaares gebeten. Das Museum lehnte ab. Stattdessen bot es den Trumps als Dauerleihgabe "America" an, eine "Mitmachskulptur" von Maurizio Cattelan.
"Das Werk ist eine funktionstüchtige Toilette, nachgebaut aus angeblich 18-karätigem Gold", erläutert Winkler und kommentiert das Angebot so:
"Da trieft nicht nur der New Yorker Hohn über den nach Washington entrückten banausischen Mitbürger, es ist auch die Antwort auf Donald Trumps berüchtigten Satz, er wolle sein Amerika oder jedenfalls seine Wähler vor Einwanderern aus shithole countries bewahren."
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