Aus den Feuilletons

Vom Weglassen der Verpackung

Alte Postkarte mit einer Abbildung der Promenade in Cabourg
Vor 150 Jahren wurde die Postkarte erfunden - hier ein historisches Exemplar von Cabourg an der Küste der Normandie. © Léo Mabmacien / Flickr
Von Tobias Wenzel |
Vor einhundertfünfzig Jahren wurde die Postkarte erfunden, daran erinnert die "Neue Zürcher Zeitung". Kern der Neuerung waren allerdings weniger künstlerische als vielmehr ökonomische Überlegungen des österreichischen Erfinders.
"Es kommt nicht oft vor, dass Beiträgen im Radio ein Gebrauchshinweis vorangestellt wird", schreibt Peter Weissenburger in der TAZ.
Aber genau das sei am Mittwochabend auf WDR 5 vor der eigentlichen Sendung "Tischgespräch" geschehen. Der Gast, der Theologe David Berger, habe, so der Vorabhinweis, in seinem Blog "zum Teil rechtsradikale und menschenverachtende Beiträge" veröffentlicht. Dann aber folgte laut Weissenburger gerade nicht, wie man erwarten würde, ein kontroverses Gespräch, sondern ein "bekömmlicher Plausch". Der falsche Gast für dieses Format, das ist noch das Freundlichste, was Weissenburger dazu zu sagen hat. Erst gegen Ende der Sendung habe der Moderator den Gast David Berger zu dessen Blog befragt.

Verpasste Fragen

Darauf Berger vermeintlich selbstkritisch: "Einmal habe er eine Geschichte von einem Mann verbreitet, der von Migranten mit Böllern beschossen worden sei. Die habe sich als falsch herausgestellt, also habe er das korrigiert."
Kommentar von Peter Weissenburger in der TAZ: "Intelligente WDR-Hörer*innen müssen am Mittwochabend scharenweise versucht haben, in ihr Radio zu kriechen, um die Nachfrage zu stellen, warum in aller Welt es Blogtexte darüber braucht, dass Leute andere Leute mit Böllern beschießen. Interviewer Horstmann ist diese Frage nicht eingefallen."

Dokumentationen mit gekauften Aussagen sind problematisch

Das Feuilleton vom Freitag ist für den WDR überhaupt schmerzhaft. In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG denkt Kathrin Hollmer über die schon seit einigen Tagen in die Kritik geratene Dokumentationsreihe "Menschen hautnah" im WDR-Fernsehen nach. Genauer: über die auch bei anderen öffentlich-rechtlichen und bei privaten Sendern vorkommende Praxis, Protagonisten für journalistische Dokumentationen über die Seite Komparse.de zu buchen. Dabei würden die gebuchten Menschen nicht nur Aufwandsentschädigungen, sondern manchmal auch richtige Honorare bekommen. Rechtlich sei das wohl in Ordnung, medienethisch aber problematisch.
Hollmer zitiert Dennis Amour, den Geschäftsführer des Bayrischen Journalisten-Verbands, mit den Worten: "Gerade bei Sachverhalten, die schwer nachprüfbar sind, wie Gefühlslagen, kann das dazu verleiten, Geschichten zu verändern oder zu erfinden."

Die Wahrheit zurechtgebogen - Relotius lässt grüßen

Ein bisschen an der Wahrheit ist wohl auch in den drei Folgen gedreht worden, die eine Autorin für "Menschen hautnah" produziert hat. Ein Mann, der in einer Folge über Vernunftehen mit seiner Frau porträtiert wurde, behauptet gegenüber der SZ, auch aus Liebe geheiratet zu haben. Im Beitrag sagt aber eine Sprecherin "Verliebt waren die beiden nicht." Das habe, so der Mann zur SZ, die Autorin so gewollt. Die streitet das ab. Der WDR kam nach Sichtung des Rohmaterials aber zum Schluss, die Autorin habe die Gefühlslage der Protagonisten "verzerrt dargestellt", und trennte sich von seiner Mitarbeiterin.

Die Postkarte hat Geburtstag

Von der Verzerrung der Wirklichkeit zur bunten Innovation: Am Samstag wird die Postkarte 150 Jahre alt. Claudia Mäder erinnert in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG an ihren Erfinder, den österreichischen Ökonom Emanuel Herrmann, der es mit dem Geld sehr genau nahm:
"Briefpapier, Couverts, Siegellack, Schreib- und Lesearbeit schlugen seinen Berechnungen gemäss in Österreich mit jährlich 20 Millionen Gulden zu Buche. Würde man auf die ganze Verpackung und das ausgefeilte Formulieren verzichten, liessen sich enorme Ersparnisse erzielen, war der Ökonom überzeugt. Er regte daher am 26. Januar 1869 in einem Zeitungsartikel die Einführung von 'Postkarten' an".
Die Knauserigkeit eines Mannes hat also die Postkarte in die Welt gebracht! Sie war so beliebt, dass der Dichter Christian Morgenstern fragte: "Was ist das erste, wenn Herr u. Frau Müller in den Himmel kommen? Sie bitten um Ansichtspostkarten."