Vom Vor und Zurück der Errungenschaften

Zum gesellschaftlicher Fortschritt gehören auch Rücksetzer, schreibt die "Welt". So würden Fotos in sozialen Netzwerken die Mutterschaft vor allem romantisiert abbilden und damit ein überkommenes Bild der Frau als Mutter idealisieren.
"Man macht sich immer Sorgen um die Kinder", lesen wir in der Tageszeitung TAZ. "Aber sie verstehen die Welt besser als ich", sagt im Interview Judith Kerr, 95 Jahre alt und berühmt geworden mit ihrem Buch "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl."
"Mein Gefühl, dass ich kein Kind will, ist das Gefühl, nicht zu jemandes Vorstellung von mir werden zu wollen", ist von einer anderen prominenten Autorin in der Tageszeitung DIE WELT zu erfahren. "Eltern haben mehr, als ich je haben werde, etwas Größeres, das ich aber nicht will, und mag es noch so groß sein, der Hauptgewinn gewissermaßen, den sie ergattert haben, der goldene Ring, der in der genetischen Erleichterung besteht", wird aus dem neuen Roman "Mutterschaft" von Sheila Heti zitiert, der in der kommenden Woche erscheint.
Falsches Bild der Frau
"Heute wird auf Instagram die Mutterschaft völlig romantisiert, und wir erleben eine Rückkehr zum Idealbild der Frau als Mutter", erläutert die kanadische Schriftstellerin im Gespräch mit der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG ihren Roman: "Wir bewegen uns in der Menschheitsgeschichte nicht in eine Richtung und profitieren von den Errungenschaften, die schon gemacht wurden. Es geht eher im Zickzack vor und zurück."
Verwirrung vom links und rechts in der Politik
Zickzack geht aber noch ganz anders – beängstigend anders. "Was ist ein Linksrechtsdeutscher?", fragt Maxim Biller in der WELT – und nennt als ersten "Linksrechtsdeutschen", der ihm einfällt, den verstorbenen einstigen Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Frank Schirrmacher: "Er, der späte Kapitalismuskritiker und frühe Internetskeptiker, verehrte aufrichtig den Ex-Kommunisten und Nazi-Überlebenden Marcel Reich-Ranicki – aber komischerweise auch den eiskalten Antidemokraten Ernst Jünger."
Der Literat Maxim Biller mit seinen jüdischen Wurzeln ist eher als Autor von satirischen, auch skurrilen Texten bekannt. Wenn er nun aber in der WELT auf einer ganzen Zeitungsseite den Typus eines "Linksrechtsdeutschen" beschreibt, dann ist an jeder Zeile zu merken, wie ernst ihm das Thema ist. "Der historisch verwirrte Linksrechtsdeutsche à la Frank Schirrmacher ist inzwischen überall", schreibt er – nennt Buchbeiträge von vermeintlich linken Intellektuellen mit Gesprächsangeboten an die ganz Rechten von der AfD und zitiert aus mehr als seltsamen Artikeln des Magazins Der Spiegel, des "Zentralorgans der Linksrechtsdeutschen" mit "auffällig ambivalenten, manisch einfühlsamen Porträts" etwa des völkischen Verlegers Götz Kubitschek. Das alles macht Maxim Biller Angst, "ob das Land, in dem Sie und ich leben, auch morgen noch demokratisch sein wird oder nicht. Und ob solche Artikel wie der, den Sie gerade gelesen haben, dort noch erscheinen können."
Mit Angst die Demokratie wahren
Ausgerechnet DER SPIEGEL muntert uns da ein wenig auf. "Im Kontext der Bundesrepublik haben Ängste die Gesellschaft oft für die Gefahren sensibilisiert, die der Demokratie drohen können", lesen wir dort in einem Interview. "Historisch betrachtet würde ich sagen, dass Angst und Demokratie häufig verwoben sind", sagt der Historiker Frank Biess: "Durch Ängste ist ein Problembewusstsein entstanden, das Handlungsdruck erzeugt hat."
Und so blicken wir dann noch einmal in das Interview der SÜDDEUTSCHEN mit der Literatin Sheila Heti, die von der New York Times als eine der Vordenkerinnen unserer Zeit beschrieben wurde – was sie aber nicht stolz macht: Da ist ihr Lebenspartner vor. "Er ist ständig sauer auf mich, zum Beispiel wegen irgendetwas, das ich im Haushalt falsch mache, und fragt mich dann: 'Warum tust du das nur?'" Sheila Hetis Lebensrezept für uns alle: "Wenn du mit jemandem zusammenlebst, ist es unmöglich, mit einer Größenfantasie von dir selbst durch die Welt zu spazieren."