Aus den Feuilletons

Vom rechten Mittelfeld in der Politik

Der ehemalige Unionsfraktionschef Friedrich Merz, Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und Gesundheitsminister Jens Spahn sind während einer Regionalkonferenz der CDU auf einem Monitor einer Fernsehkamera zu sehen.
Die Kandidaten für den CDU-Vorsitz, Friedrich Merz, Annegret Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn. © picture alliance/Federico Gambarini/dpa
Von Arno Orzessek · 06.12.2018
Ein besonderes Finale beschäftigt die "Taz", denn einer der drei CDU Kandidaten wird am Freitag für den CDU Vorsitz gewählt. Das Blatt billigt - ganz Fußball - allen das rechte Mittelfeld zu, beim Verdienst erreicht nur Friedrich März die "Mittelschicht".
Wir können, wie viele Fußball-Fans, echt nicht singen. Aber es gibt in der TAGESZEITUNG eine Überschrift, die muss man leider singen. Sie geht so: "Finale o-o-o-oh"... Tja, und weil die Stimme jetzt oben ist, fügen wir wie im Stadion an: "Finale o-o-o-oh."
Bitte, schalten Sie nicht ab! Wir haben doch gesagt: Wir können nicht singen. Mit dem Finale meint die TAZ die Abstimmung um den CDU-Vorsitz an diesem Freitag, weshalb sie die drei Top-Kandidaten Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz und Jens Spahn in Trikots der deutschen Fußballnationalmannschaft zeigt.

Über die "Mittelschicht"

Die kurzen Spieler- also Politiker-Porträts verzeichnen bei allen dreien unter "Position": "Rechtes Mittelfeld." In der Rubrik "Stärke" heißt es bei Kramp-Karrenbauer "Glaube Liebe Hoffnung", bei Merz "Steuererklärung", bei Spahn "Ausflüge in die USA".
In der Rubrik "Vermögen" wiederum zählt die TAZ Kramp-Karrenbauer und Spahn zur "Unterschicht", was natürlich eine Anspielung auf die "Mittelschicht" ist, der sich der Einkommensmillionär Merz selbst zurechnet – worin ihm die TAZ boshafterweise folgt. -
So viel zur großen Politik.

Tausend Seiten Briefwechsel

Nun zur Hochkultur.
"Ich denke mir, dass Sie – auf Vergangenheit und Zukunft meiner Existenz gesehen – überhaupt d a s eine Ereignis sind, das mir entscheidend zuteil werden konnte." Diese Huldigung, der man anmerkt, dass sich der Autor auch selbst für ziemlich toll hält, brachte einst der Schriftsteller und Übersetzer Hans Wollschläger seinem Kollegen Arno Schmidt dar. Und nun ist im Suhrkamp Verlag der Briefwechsel der beiden erschienen: 1043 Seiten inklusive Dokumenten, Kommentaren und einem separaten Briefwechsel zwischen Wollschläger und Schmidts Frau Alice.
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG vermutet Gustav Seibt, dass sich bei manchem Leser schon recht bald "eine Mischung von Lächeln und Entsetzen einstellen" könnte.
"Die beiden können nicht anders als die Muskeln ihrer grenzenlosen Sprachfähigkeit unentwegt spielen zu lassen. Das ändert allerdings nichts daran, dass die hier abgebildeten Geschichten niederdrückend sind. Die eine, Arno Schmidts Rückzug in die Isolation, war bekannt, die andere, das Scheitern von Wollschlägers Lebensplänen, immerhin erahnbar. Nun sieht man beides mit protokollarischer Genauigkeit."
Hier ein Beispiel. Nach dem ersten Besuch bei Schmidt schreibt Wollschläger einen devoten Brief, in dem er sich um bleibende Freundschaft bewirbt. Unterdessen hält Schmidt in seinem Tagebuch zu Wollschläger fest: "1.73, dürr, 23, sehr hinfällig und überzüchtet; junger Mensch mit vielen Plänen; nicht unsympathisch (aber sympathisch eben auch nicht!)".
Schmidt und Wollschläger sind tot – Noam Chomsky aber feiert seinen 90sten Geburtstag.

Sozialismus made in USA

Jürgen Kaube würdigt den Linguisten und politischen Streiter in der FRANKFURTER ALLGMEINEN ZEITUNG mit der Formulierung, Chomsky stelle "seit mehr als fünfzig Jahren eine Art nicht wählbaren Ein-Mann-Sozialismus in Amerika" dar. Wir finden, das ist eine sehr hübsche Formulierung: 'Nicht wählbarer Ein-Mann-Sozialismus.'
Und wo wir gerade gedanklich in den USA weilen. In der Tageszeitung DIE WELT heißt es: "Goodby to Hollywood." Der Artikel von Rüdiger Sturm ist reich an Kenntnissen und Details – die beste Zusammenfassung steht indessen in der Unterzeile. "Deutsche Regisseure wenden der amerikanischen Branche den Rücken zu. Lieber nutzen sie in der alten Heimat die Möglichkeiten des grenzenlosen Medienmarktes." –

Das Wesen der musikalischen Weinacht

Am Ende etwas Weihnachtliches. "Dingelingeling" läutet es im Berliner TAGESSPIEGEL.
Gunda Bartels bespricht das an Weihnachtsliedern reiche Konzert von Mariah Carey in Berlin und urteilt gelassen: "Nostalgie, Sentiment, Selbstvergewisserung und die Prägekraft sturer Wiederholung. Darauf hat nicht nur die Mariah Carey ein Patent. Das ist das Wesen von Weihnachtsmusik." –
Übrigens: Der Titel der SZ-Kritik des Konzerts lautet nicht "Dingelingeling", sondern… und damit läuten wir uns für heute selbst die Schlussglocke… "Bimmel, bimmel".
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