Vom Glück des Boulevards

Warum "RTL-Exclusiv" der Spiegel einer unsicheren Gesellschaft ist, erklärt uns "Die Zeit", während die "Taz" uns das Teenie-Glück beim Miley-Cyrus-Konzert nahe bringt.
Eine erstaunliche Feststellung macht Ursula März in der Wochenzeitung DIE ZEIT:
"Die Namen Jauch und Gottschalk kennt hierzulande jeder, auch jeder Professor. Den Namen Frauke Ludowig wohl eher nicht. Man darf annehmen", dass die 50-jährige TV-Moderatorin höchst selten im "kulturellen Blickfeld deutscher Bildungsbürger aufkreuzt."
Das soll sich nun offensichtlich ändern, denn DIE ZEIT hat eine ganze Seite spendiert, um das RTL-Boulevardmagazin "Exclusiv" zu beleuchten. Wer sich für Justin Bieber interessiert, für Miley Cyrus oder für den Po der englischen Prinzessin, ist hier richtig. Aber warum interessiert sich eine anerkannte Literaturkritikerin dafür?
"Das Repräsentative an Frauke Ludowigs Starmagazin ist nichts anderes als die Vernarrtheit in die Verfehlung, der etwas Krankhaftes, fast möchte man sagen: etwas Perverses anhaftet", analysiert Ursula März. Diese Vernarrtheit "ist das Echo einer Gesellschaft, die ihre Energie daran verschwendet, sämtliche Promotionsarbeiten hochrangiger Politiker nach unausgewiesenen Zitaten zu durchstöbern, die irre genug ist, die linkische Bemerkung eines Altliberalen über Dirndl-Dekolletés zum Sexismus-Skandal hochzujubeln, die ernsthaft überlegt, ob Politiker für Übernachtungen bei Freunden zahlen müssen, die sich unsicher ist, wo die Grenze zwischen freiwilliger Prostitution und illegaler Zwangsprostitution verläuft, und die sich noch unsicherer ist, ob es private Dia-Abende geben darf, bei denen Strandfotos von Kindern gezeigt werden."
Der Dude als Ratgeber
Wer sich an dieser Stelle fragt, ob dem Boulevard hier nicht vielleicht doch eine zu große Bedeutung gegeben wird, dem sei die Literaturseite der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG empfohlen. Der dortige Aufmacher ist überschrieben mit den Worten:
"Was kann uns amerikanisches Kinoschauspiel fürs Leben lehren? Zwei Ratgeber von Stars, die es wissen könnten, dem Dude Jeff Bridges und dem Enfant terrible James Franco."
Fritz Göttler bespricht die Bücher und beginnt mit Jeff Bridges Werk dessen Titel "Der Dude und sein Zen-Meister" lautet.
"Es geht darin um Zen im Allgemeinen und um den Dude im Film 'Big Lebowski', der Bridges zur Kultfigur gemacht hat, ums Leben in L. A. mit seinen Stars und seinen Erdbeben, um die Liebe und das Glück, das Engagement für die Gesellschaft und für den Film, den man gerade dreht, um Orson Welles und Picasso und Heraklit, um Spiel und Vorspiel, durchaus auch beim Koitus."
Miley Cyrus angezogen
Während wir noch überlegen ob sie im SZ-Feuilleton inzwischen bewusstseinserweiternde Drogen verabreichen, fällt unser Blick auf Christian Wertschultes Bekenntnis in der TAZ:
"Im Vergleich zu anderen Journalisten haben wir Popschreiber ja ein vergleichsweise leichtes Leben. Wir schauen uns ein Video an, zum Beispiel von Miley Cyrus, und schreiben einen schlau klingenden Text darüber."
Dieses Mal ist Wertschulte aber doch lieber leibhaftig zum Konzert der Popprinzessin in Köln gegangen und natürlich hat es ihm nicht besonders gefallen. Aber am Ende stellt er immerhin fest:
"Ganz allein steht sie auf der Bühne, ohne Abrisskugel und mit ziemlich viel Stoff am Körper. Und alle singen mit. Die Grundschülerin ein paar Meter weiter singt wunderbar schief, neben mir ruft ein Mädchen ihre Freundin an, damit diese mithören kann. Gegen so viel Teenie-Glück kann man einfach nichts haben."
Vielleicht reicht es jetzt auch mit dem Boulevard im Feuilleton, und wir liefern hier zum Schluss noch eine richtig harte Kulturnachricht aus der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG:
"Ein Manager namens Werner Gropp, wohnhaft in Unterholzhausen, einem Ortsteil des Marien Wallfahrtsortes Altötting, ist ein Flugmeilenritter. Aus Japan hat er pulverisierten Grüntee mitgebracht: Matcha, ein nobles Getränk, das dem begeisterten Teetrinker - die Fama sagt: während einer Übung der Feuerwehr - den Geistesblitz bescherte, das Pulver mit Weißwurstbrät zu vermischen."
Und falls es irgendwen interessiert:
"Schmecken soll die Wurst einigermaßen, angeblich etwas bitterer im Abgang."