Aus den Feuilletons

"Verteidigung des Gutmenschen"

Morius Enden und Jenni Moli, Mitglieder des Künstlerkollektivs Zentrum für Politische Schönheit, stehen am 22.11.2017 in Bornhagen im Eichsfeld (Thüringen) in einem verkleinerten Nachbau des Berliner Holocaust-Mahnmals in Sichtweite des Grundstücks von AfD-Politiker Höcke.
Morius Enden und Jenni Moli, Mitglieder des Künstlerkollektivs Zentrum für Politische Schönheit, stehen in Bornhagen (Thüringen) in einem verkleinerten Nachbau des Berliner Holocaust-Mahnmals in Sichtweite des Grundstücks von AfD-Politiker Björn Höcke. © picture alliance / Swen Pförtner
Von Arno Orzessek · 26.11.2017
Die "Frankfurter Allgemeine" nennt die deutsche Migrationspolitik ein "moralisches Desaster", die "Zeit" Christian Lindner einen "modernen Nationalpolitiker" und die Replik des Holocaust-Mahnmals im Vorgarten von Björn Höcke wird auch besprochen.
Kaum nötig zu sagen: Als ‚Gutmensch‘ tituliert zu werden, das kommt heute selten einer Belobigung gleich – eher im Gegenteil.
Es gibt ja Leute‚ die sprechen Gutmensch fast so verächtlich aus wie ‚Kinderschänder‘.
Und dieser Missstand missfiel dem Schriftsteller Ilija Trojanow sehr. Deshalb nutzte er seine Dankesrede anlässlich der Verleihung des Heinrich-Böll-Preises durch die Stadt Köln zu einer Klarstellung…
Die in der FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG unter dem Titel "Verteidigung des Gutmenschen" nachzulesen war.
"Es ist leicht, als Zyniker durchs Leben zu gehen. Es ist kommod und bequem, alles zu akzeptieren, sich nicht zu wehren, sich abzukapseln, sich nicht ins Offene zu wagen, sich zu schützen, die Waffen zu strecken vor dem Erdrückenden, den Überwältigenden. Daher der Hass auf die Gutmenschen. Sie stellen die gängige Selbstparalyse in Frage. Es ist so einfach und billig, alles mit einer Prise Lächerlichkeit zu bestäuben, die vergebliche Sehnsucht der Träumer und Utopisten zu verhöhnen",
ätzte Ilija Trojanow gegen Menschen, die andere Menschen als ‚Gutmenschen‘ diffamieren.
Auch Angela Merkel hat das im Spätsommer 2015 im Rahmen ihrer "Wir schaffen das"- Flüchtlingspolitik erlebt. Aber noch im Dezember des Jahres, als sie längst Flüchtlings-Begrenzungspolitik betrieb, rechtfertigte sie sich mit dem "humanitären Imperativ"…
Einem Blutsverwandten von Kants weltberühmtem Kategorischen Imperativ. Vor diesem Hintergrund griff nun der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel seine Namensvetterin Angela an.

Flüchtlingspolitik als moralisches Desaster

Unter dem sarkastischen Titel "Wir können allen helfen" polterte Merkel wiederum in der FAZ: "Wie man das Gute will und das Böse schafft: Die deutschen Flüchtlingspolitik ist ein moralisches Desaster."
Jawohl! Reinhard Merkel schrieb ‚moralisches Desaster‘…
Dabei war Moral die letzte Fluchtburg all derjenigen, die nach und nach zu ahnen begonnen hatten, dass der Kanzlerin 2015 ein politisches Desaster unterlaufen war.
"Wir helfen […] unzähligen Menschen in Not, und das ist, was immer es noch sein mag, ein hohes moralisches Verdienst", paraphrasierte Reinhard Merkel die Haltung der Verteidiger der Kanzlerin, darunter Ex-Finanzminister Wolfgang Schäuble.
Da laut Reinhard Merkel weniger als ein Prozent der Zuwanderer ‚Flüchtlinge‘ im Sinn der Genfer Konventionen und des Grundgesetzes sind, sei Deutschland allen anderen minder verpflichtet.
Und dann spielte Reinhard Merkel sein vermeintliches Ass:
"Zum moralischen Desaster wird die deutschen Migrationspolitik […] mit der nachgerade tragischen Fehlallokation ihrer Mittel: An die 300 Milliarden Euro werden die Aufnahme und die Versorgung schon der bisher Zugewanderten in den nächsten zehn Jahren kosten. In den oft bitterarmen Ländern ihrer Herkunft wäre das Geld das Zehn- bis Fünfzigfache wert. Damit ließe sich das Elend der Menschen dort, ja, beinahe das der ganzen Welt in ungleich höherem Maße lindern als durch die Aufnahme und Versorgung jenes Bruchteils von ihnen, der es bis hierher geschafft hat."
Hübsche Träumereien des FAZ-Autors Reinhard Merkel, könnte man sagen…
Denn niemals würde Deutschland 300 Milliarden Euro an Bedürftige dieser Welt verausgaben, wären sie nicht leibhaftig hier. Ob also Gutmenschen in puncto Flüchtlingspolitik doch starke Argumente haben?
So oder so: Wir vermuten, dass über diese Dinge noch einige Jahrzehnte beherzt gestritten wird…Und wenn das stimmt, lagen die – auch an der Frage des Familiennachzugs – gescheiterten Jamaika-Verhandlungen im Trend.
In der Wochenzeitung DIE ZEIT nahm Thomas Assheuer am Auftreten des FDP-Chefs Christian Lindner Maß, als er über einen neuen "Typ des modernen Nationalpolitikers" nachdachte.
"Er liefert ein ungeschminktes Bild der Verhältnisse, er macht sich keine Illusionen über die Despotie ökonomischer Gesetze, über das Hauen und Stechen zwischen den Nationalstaaten, über das Belauern, Tricksen und Überbieten, all das Catch-as-catch-can der kapitalistischen Weltgesellschaft mit ihren Armutshöllen und Steuervermeidungsparadiesen. Ändern möchte er daran kaum etwas. Er ist ein optimistischer Fatalist und kennt nur einen Ausweg: die Anpassung ans globale Rattenrennen."
So der ZEIT-Autor Assheuer in einer Typisierung Lindner-artiger Politiker – übrigens ohne dezidiert moralisches Vokabular zu bemühen.

Mahnmal auf dem Nachbargrundstück

Selbiges gilt auch für das "Zentrum für Politische Schönheit", die dem Verächter des Berliner Holocaust-Mahnmals Björn Höcke eine kleine Replik des Mahnmals aufs Nachbargrundstück gestellt hat…
Und den AfD-Rechtsaußen zudem überwachen ließ, als ob das Zentrum die Rechte des Verfassungsschutzes hätte.
"Eine gelungene Aktion?" fragte die TAGESZEITUNG.
"Ja" meinte Dinah Riese und zitierte zur Begründung eine weitere Frage, die auf Phillip Ruch vom "Zentrum" zurückgeht: "‘Sind wir eine wehrhafte oder eine wehrlose Demokratie?‘"
"Nein", nicht gelungen, antwortet Peter Weissenburger – und wir paraphrasieren: Falls es Neuwahlen gäbe, würde sich die AfD umso krasser als Opfer stilisieren.
Was ganz gewiss zu Unrecht geschähe im Vergleich zu Frauen, die tatsächlich Opfer werden – und zwar von Sexismus und Gewalt.
Trotzdem gefiel es der ZEIT, genauer nachzufragen: "Wieso machtlos? Wieso Opfer?"
"Ich wüsste nicht, weshalb das Patriarchat im Jahr 2017 für den Mangel an weiblicher Courage, weiblicher Solidarität und für die Beharrlichkeit eines sehr speziellen weiblichen Narzissmus verantwortlich sein sollte, der […] [Frauen] daran hindert, dem angeblich flächendeckenden Alltagssexismus auf wehrhafte und spontan wirksame Weise zu begegnen. Will heißen: unangenehm aufzufallen"
Empfahl die ZEIT-Autorin Ursula März weibliche Courage, und zwar inklusive "auf die Pfoten […] hauen" und "Ellbogen in die Rippen […] stoßen", wenn Männer sich sexuell Ungehöriges herausnehmen. -
Noch so ein Thema, das uns lange, lange begleiten wird! Falls Sie deshalb zum Seufzen neigen, liebe Hörer, dann tun Sie es doch mit der FAZ; die seufzte:
"Was für eine Zeit, die Du Dir da ausgesucht hast."
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