Aus den Feuilletons

Vermummte Gefühle

Eine junge Frau mit einer schwarzen Gesichtsmaske, auf der die berühmte Rolling-Stones-Zunge aufgedruckt ist.
In den Masken bleiben nicht nur die meisten Tröpfen hängen, sondern auch die meisten sichtbaren Gefühlsregungen, erklärt die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". © imago / Daina Le Lardic
Von Klaus Pokatzky |
Menschen kann man an der Nasenspitze ansehen, was sie fühlen. Doch was, wenn diese sich fortan hinter Masken verbirgt? Dann können wir die Gefühlswelt unseres Gegenübers nicht mehr entschlüsseln, schreibt die "FAZ".
"Die Hoffnung stirbt zuletzt", lesen wir in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, aber nicht zum epidemischen Dauerthema dieser Wochen und wohl noch der kommenden Monate, sondern zur Sprache: "Nur tote Sprachen verändern sich nicht. Der Wandel, dem das Deutsche gerade heute unterliegt, ist ein Lebenszeichen. In fast allen Bereichen der Sprache ist vieles längst nicht mehr wie früher", schreibt Theo Stemmler.
"Wörter verschwinden und werden durch neue ersetzt, die oft zunächst Missfallen erregen, schließlich aber geduldet werden", meint der ehemalige Professor für Englische Philologie.

Wörter kommen und gehen

"Über das nützliche Handy hat man sich zunächst aufgeregt, dann aber eingesehen, dass es handlicher ist als das Mobiltelefon. Dem exotisch klingenden Schupo folgte der Polizist, dem französischen Mannequin das amerikanische Model, der langatmigen Eintrittskarte das simple Ticket, und der umständliche Sommerschlussverkauf ist dem kurzen und bündigen Sale gewichen."
Das kannten wir noch gar nicht und sind ansonsten beglückt, dass wir bei diesem Autor alles auf Anhieb verstehen können, was er meint – und nicht, wie das heutzutage ja bei Experten so üblich ist, dass wir mit einer unerträglichen Fülle an Fachbegriffen und Fremdwörtern überschüttet werden.
"Kongruenz, die Übereinstimmung zugehöriger Teile im Satz, ist nichts anderes als grammatische Logik", zeigt Theo Stemmler dann doch, dass er auch anders kann. "Kongruenz kann alle grammatischen Kategorien betreffen: Kasus, Numerus, Apposition, Genus." Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Neue Begriffe im Zuge der Coronakrise

"In der Krise ist auch die Sprache ein Opfer", steht in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. "Seit dem Virus reden alle gleich und manche ein bisschen gleicher. Man sieht sich konfrontiert mit Innovationen wie ‚Spuckschutzscheibe‘. Klar wie Wasser, was das Wort soll", findet Daniele Muscionico. "Es gibt auch den Premiumkontakt, die Mortalitätsrate, die Latenzzeit, die Fallzahl: Wir führen mit einem Mal Begriffe im Mund, von denen wir nichts begreifen."
Wir hoffen auf Experten, die so reden, dass auch Laien sie verstehen können. Die Hoffnung lebt. Und Daniele Muscionico hat auch Lustiges beobachtet: "‘Wegen Zuseins geschlossen‘ hat ein humoriger Gastwirt auf ein Schild geschrieben." Das versteht jeder.
"Die Welle wird brechen und abebben", macht uns der Berliner TAGESSPIEGEL Mut. "In Zeiten der Haltlosigkeit, wie wir sie gerade erleben, brauchen wir eine Tugend, die uns erfolgreich von den Märkten und ihrem Zeitkomplex abtrainiert wurde: Geduld", rät Carlotta Wald.

Maskenpflicht und Mienenspiel

Aber bevor die Welle abebbt, werden wir uns alle wohl an unsere Masken gewöhnen müssen. "Hinter jedem Maskenträger verbirgt sich ein Mensch. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge", bereitet uns da schon einmal die FRANKFURTER ALLGEMEINE vor.
"Was wir verlieren, wenn wir bald alle Masken tragen, ist mehr als nur die Möglichkeit, das subtile Mienenspiel anderer Gesichter zu entschlüsseln", fürchtet Melanie Mühl. "Die Maskenpflicht schafft ausgerechnet dort neue Barrieren, wo wir ohnehin oft im Dunkeln tappen: in der Gefühlswelt unseres Gegenübers. Dass man jemandem an der Nasenspitze ansieht, was ihn umtreibt, welche Gefühle ihn leiten, darin liegt eben durchaus ein Funken Wahrheit."
Den Tipp für den Corona-Alltag entnehmen wir dem TAGESSPIEGEL. "Ich versuche dem Stubenarrest seine guten Seiten abzugewinnen. Lesen, schreiben, einkaufen, wenn es sein muss", erzählt der Schauspieler Christian Redl im Interview. "Und einmal am Tag Fahrrad fahren."
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