Aus den Feuilletons

Umspült vom Schlager

Jürgen Drews singt auf der Bühne.
"Der Schlager wird nicht verschwinden", schreibt die "Welt". © dpa / picture alliance / Bodo Schackow
Von Hans von Trotha · 11.08.2014
In den Feuilletons ist viel vom Niedergang die Rede. Als solchen könnte man interpretieren, dass es dem Schlager richtig gut geht - wie die "Welt" feststellt. Auch Neubauten fallen in diese Kategorie: "Würfel des Schreckens" ("SZ") oder "Bunker 21" ("Berliner Zeitung"). Und die "taz" eröffnet dem Feuilleton neue Dimensionen.
Vom Niedergang ist viel die Rede. Und der hat viel mit dem Internet zu tun. In der FAZ unkt der Literaturwissenschaftler Robert Pogue Harrison: "Im Silicon Valley behauptet jeder, die Welt verbessern zu wollen. Gemeint ist damit aber nur die optimale Vermarktung einer ewig jugendlichen, regressiven Kultur." Harrisons kulturpessimistischer Schlachtruf lautet: "Verändert die Welt, und macht sie flach!"
Richtig gut geht es, analog und im Netz gleichermaßen, dem Schlager – was nicht weinigen als weiteres Indiz für den Niedergang erscheint. In der WELT stellt Felix Zwinzscher fest: "In letzter Zeit ist die Hemmschwelle, sich zum Schlager zu bekennen, mal wieder gesunken", und erklärt uns auch gleich, warum das so ist: "Der Schlager ist eine passive Durchhalteparole auf der Ebene des kleinsten musikalischen Nenners, mit dem eine diffuse Gemeinsamkeit in apolitischer Innerlichkeit beschworen werdensoll." Zwinzscher fügt hinzu, was er damit sagen wollte, nämlich: "Wenn sich die Deutschen politisch-gesellschaftlich unsicher, unmündig fühlen, schunkeln sie im Takt." Fazit: "Der Schlager war nie weg und wird auch nicht verschwinden, er umspült mit seinen zarten Einflüsterungen über wohlige Innerlichkeit dauerhaft das Fundament der deutschen Gesellschaft."
Auf diesem Fundament erhebt sich derzeit eine Architektur, die auch nichts Gutes erwarten lässt. Gottfried Knapp stellt das Münchner Dokumentationszentrum zum Nationalsozialismus in der SÜDDEUTSCHEN als "Würfel des Schreckens" vor ("Die Architektur ist so brutal wie die Umgebung"), Nikolaus Bernau in der BERLINER ZEITUNG einen Hotelneubau als "Warnemündes Furunkel" ("Die Gier nach der Gewerbesteuer verstellte Rostocks Stadtgewaltigen wieder einmal (…) jeden Maßstab") und Dieter Bartetzko den Stuttgarter Bahnhof als "Bunker 21". Bei Letzterem droht aufgrund von Kompromissen "der Wandel vom technoiden Meisterstück zum dreidimensionalen Bürokratie-Labyrinth."
Amazon und die Waffen des Gegners
Zu viel Entgegenkommen ist eben nie gut. Schließlich gilt: "Jede Gefälligkeit rächt sich". Das titelt die SÜDDEUTSCHE, und Andreas Zielcke meint damit, ein wenig hinterhältig, das Verhältnis zwischen uns Amazon. "Amazon verspricht, kompromisslos dem Konsumenten zu dienen", schreibt Zielcke, um dann zu fragen: "Doch wer ist da eigentlich von wem abhängig?" – Gute Frage. Holger Ehling wähnt in der WELT schon mal "Amazon in Angst", und in der FAZ erklärt Andreas Platthaus den Kleinkrieg, der da tobt:
"Auch bei Hachette handelt es sich nicht um einen Kleinverlag, sondern um ein Riesenunternehmen mit mehr als zehn Milliarden Dollar weltweitem Jahresumsatz. Diese Marktmacht seines Kontrahenten betont Amazon in einer gestern veröffentlichten Botschaft (…): Man möge, um etwas gegen hohe E-Book-Preise zu tun, beim Vorstandsvorsitzenden der reichen Hachette-Gruppe protestieren; dessen E-Mail-Adresse ist dem Text gleich beigefügt. Es handelt sich um die längste öffentliche Stellungnahme Amazons in diesem Streit, und sie ist bis hin zur daraus kopierten Mobilmachung der Leser eine Antwort auf einen vorgestern per Anzeige in der 'New York Times' publizierten Appell von 909 Autoren, der dazu aufrief, persönlich beim Amazon-Chef Jeff Bezos gegen die Erpressung von Hachette zu protestieren."
Platthaus resümiert: "Die Waffen des Gegners stiehlt Amazon mit Lust."
Durch Fiktion die Wirklichkeit verstehen
Apropos Waffen. Ralf Sotschek stellt in der TAZ den weltweit kompetentesten Experten für Waffen im Syrienkrieg vor: den Blogger Brown Moses.
"Im Internet", schreibt Sotschek, "kursierten schnell Gerüchte: Brown Moses arbeite für die CIA oder den MI5, hieß es, vielleicht auch für den Mossad, aber mindestens sei er Mitglied der Bilderberg-Gruppe, einem informellen Treffen einflussreicher Personen aus Wirtschaft, Militär, Politik, Medien, Hochschulen und Adel. Um die Verdächtigungen zu entkräften, outete er sich schließlich: Brown Moses ist Eliot Higgins, ein arbeitsloser Engländer aus Leicester ohne Fremdsprachenkenntnisse."
Die Quelle seines Wissens legt Higgins so freimütig offen wie seine Arbeitsweise: "Meine Kenntnisse stammten von Filmen mit Arnold Schwarzenegger und Rambo", so Higgens, der täglich 450 You-Tube-Kanäle nach Bildern von Waffen durchforstet. "Entdeckt er einen neuen Waffentyp, sucht er solange im Netz, bis er weiß, worum es sich handelt."
Das geht dann eben wieder nur im Netz: Die Wirklichkeit so fiktionalisieren, dass die exzessive Auswertung der Fiktion es erst ermöglicht, die Wirklichkeit zu verstehen, die in der Zwischenzeit entstanden ist. Mancher mag auch das für Niedergang halten. Auf jeden Fall ist es eine neue Dimension, für die sich das Feuilleton zuständig fühlen sollte.