Aus den Feuilletons

Überdosis Emo-Rap

Ein kreischender Junge hüpft auf einem Stuhl herum.
Lil Pump, Lil Uzi Vert oder Lil Xan: Die junge Generation hört Hip-Hop © imago / Westend61
Von Gregor Sander · 21.12.2017
Von Mumble-Core bis Emo-Rap. Hip-Hop überall. DIE WELT beschäftigt sich mit Musik und stellt fest, dass Rap immer beliebter wird, während Rockmusik nur noch von wenigen gehört wird.
"Eigentlich war 2017 ein gutes Jahr für Hip-Hop", behauptet Felix Zwinzscher in der Tageszeitung DIE WELT und stellt fest: "Rap hat erstmals Rock als den meistgehörten Musikstil abgelöst." Allerdings sorgt sich Zwinzscher um die Nachhaltigkeit dieses Phänomens, und erklärt seinen, vermutlich im Hip Hop nicht ganz so beheimateten Lesern, das Phänomen.
"Emo-Rap verbindet postpubertäre Selbstzweifel mit einer neuen Drogenkultur. Während die längste Zeit Gras zur Kernphilosophie des Genres gehörte, Hennessy-Congnac zu Werbezwecken getrunken und über den Verkauf von Crack als Ausweg aus der Armut gerappt wurde, haben die jungen Rapper Angstlöser entdeckt. Antidepressiva wie Xanax und Schmerzmittel wie Percocet und Codein sind die neuen Drogen der Wahl."
So bedröhnt rappt sich die Lil-Generation, wie Lil Pump, Lil Uzi Vert oder Lil Xan zu Millionen Klicks bei Youtube, aber: "Die neuen Drogen verändern auch den Sound. Schmerzmittel und Antidepressiva verwaschen die Sprache. Das Resultat ist der sogenannte 'mumble rap': genuschelte Reime, deren Inhalt sich nur noch erahnen lässt."

Der deutsche Wolkenrapper bevorzugt Alkohol

Der Berliner TAGESSPIEGEL, der ebenfalls eine Hip-Hop-Rundschau abdruckt, hat diese national begrenzt und Nadine Lange gibt für den hiesigen Rappernachwuchs Entwarnung. "Alkohol und Marihuana scheinen die bevorzugten Drogen der deutschsprachigen Wolkenrapper zu sein."
Ganz benebelt fällt der Blick so in die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, die die Vorweihnachtszeit ebenfalls nutzt, um etwas abseitigere Themenfelder zu beackern. David Steinitz widmet sich im Aufmacher dem Kinotrailer.
"Seit Trailer nicht mehr auf die Auswertung im Kino beschränkt sind, ist unter den amerikanischen Filmstudios ein richtiger Wettkampf ausgebrochen, wer innerhalb möglichst kurzer Zeit möglichst viele Internetnutzer mit einem Trailer begeistern kann."
So ist in Hollywood eine ganze Industrie entstanden, die mit der Trailerproduktion bereits beginnt, bevor der Film überhaupt gedreht ist. Der Cutter Vashi Nedomansky, der unter anderem an den Filmen "Gone Girl" und "Deadpool" mitgearbeitet hat und auch Trailer schneidet, erklärt das Überspielen von fehlendem Material sogar zur Hauptaufgabe heutiger Trailer-Macher:
"Wir müssen Dialoge und Bilder manipulieren, um sie interessanter zu machen und Musik verwenden, die gar nicht im fertigen Film zu hören sein wird."

Langweiliges Drama statt Actionfilm

Dann wird beim Konsumenten allerdings vielleicht ein Bedürfnis geweckt, dass der Film gar nicht mehr erfüllen kann. In den USA verklagte eine Frau aus Michigan die Macher des Filmes "Drive" mit Ryan Gosling. Sie freute sich auf einen Actionfilm mit vielen Verfolgungsjagden. Aber als sie sich ein Kinoticket kaufte, folgte die große Enttäuschung: "Drive", so die erzürnte Zuschauerin, sei nur ein langweiliges Drama, indem nicht ansatzweise so viel Auto gefahren wurde, wie es der Trailer suggeriert habe.
Das kann einem bei der Berlinale ja eigentlich nicht passieren, weil auf dem deutschen Vorzeigefilmfestival ja nur sehr selten Verfolgungsjagden gezeigt werden. Beworben wird das Festival aber auch 2018 und natürlich wieder mit echten Bären auf den Postern, wie Christiane Peitz im TAGESSPIEGEL ausplaudert:
"Sichtlich vergnügt tänzelt er an der Kuppel des Berliner Doms entlang, macht aus der Quadriga auf dem Brandenburger Tor ein Fünfergespann und gönnt sich, wieder als Eisbär, etwas Wellness im Rooftop-Jacuzzi, wir vermuten: auf dem Dach des Soho House."

Verflacht das Lesen?

So entspannt wollen wir hier am Ende noch eine schrill gestellte Frage aus der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG klären: "Müssen und können wir unser Lesen vor Verflachung schützen?" fragt Fridtjof Küchemann und hat dankenswerter Weise gleich einen Experten an der Hand:
Größtenteils, sagt der spanische Psychologe Ladislao Salmerón, sei die Fähigkeit zu lesen ein Verfahrenswissen, vergleichbar dem Fahrradfahren: "Man kann es nicht einfach vergessen."
Und das ist doch ganz beruhigend, dass wir selbst nach einer Überdosis Emo-Rap oder codeinhaltigem Hustensaft das Lesen nicht verlernen können.
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