Aus den Feuilletons

Über Politiker, Friedrike und den Schnee

Ein Fahrradfahrer fährt am 17.01.2018 auf der Allee Unter den Linden in Berlin durch das Schneegestöber.
Der Schnee, den Sturmtief "Friederike" nach Deutschland fegte, beschäftigte auch Kulturjournalisten. © dpa / Jens Kalaene
Von Klaus Pokatzky · 20.01.2018
Das Unwort des Jahres, Donald Trump, Karl Marx und das Wetter - einen bunter Strauß an "Aufregern" haben die Feuilletons der Zeitungen in der zurückliegenden Woche gebunden. Und so mancher Feuilletonredakteur stoßseufzte: Kaum ist das Luther-Jahr vorbei, wird im Marx-Jahr weitergefeiert.
"Ein Steinzeitmensch konnte nur als Generalist überleben, als Spezialist hatte er keine Chance." Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG (NZZ) warf einen Blick auf die Entwicklung des Zweibeiners – und in die Zeiten, als die Frau noch am Feuer saß und der Mann vor der Höhle alles können musste. "Das änderte sich erst vor zirka 10 000 Jahren, als immer mehr Menschen sesshaft wurden. Plötzlich kam die Spezialisierung auf: der Viehzüchter, der Ackerbauer, der Töpfer", schrieb Rolf Dobelli: "Der Beruf war erfunden, die Karriere, das Expertentum – und damit die Fachidiotie." Keine Hoffnung, nirgends? "Die letzten Generalisten – die Allesschreiber unter den Journalisten – haben den Wert ihres Handwerks ins Bodenlose fallen sehen."

Schreckliches Unwort

Und damit sind wir im Jahre 2018 gelandet. "Das Interessanteste am neuen Unwort des Jahres ist der deprimierende Niedergang des Wortes alternativ." Das lasen wir in der Tageszeitung DIE WELT zu den "alternativen Fakten" als dem angeblich schrecklichsten Wort. "Was in den Siebzigerjahren ein mit Hoffnung aufgeladener Begriff war", meinte Matthias Heine, "ist zum Dreckswort im Munde von Verschwörungsirren, Reichsbürgern und Realitätsverweigerern geworden." Die hätten sich wahrscheinlich alle mit dem Steinzeitmenschen gut verstanden. "Ins Licht dieser Welt katapultiert hat sich das sinistre Wortpaar bekanntlich vor Jahresfrist aus dem Mund der Trump-Beraterin Kellyanne Conway", erinnerte die NEUE ZÜRCHER: "Sie adelte die mässig faktennahe Behauptung ihres Umfelds, bei der Amtseinführung des heutigen Präsidenten hätten auf den Strassen mehr Leute gefeiert als bei jeder anderen zuvor, als ‚alternative Fakten‘", meinte Urs Bühler. "Seither hat sich die Wendung epidemisch ausgebreitet." Wenn es nur das wäre, was wir dem Donald aus Trumpenhausen zu verdanken haben.

Trump: Kein Interesse an der Zukunft

"Donald Trump ist an der Zukunft nicht interessiert", stand in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG (SZ). "Von Politik will er nichts wissen, viel eher will er die Politik zerstören", sagte der amerikanische Historiker Timothy Snyder im Interview – und dann doch auch etwas Positives zu unserem Journalistenberuf, der unseren eingangs zitierten Steinzeit-Experten Rolf Dobelli dann doch etwas relativiert: "Wir befinden uns in einer Hochphase des investigativen Journalismus. Das meiste, was wir über Trump wissen und was wirklich relevant ist, wissen wir dank Journalisten, die im Moment die Möglichkeit haben, Geschichte zu schreiben. Vor allem die Zeitungen haben in einen Kampfmodus gewechselt, aber nicht auf der Ebene der Gesinnung, das wäre langweilig. Sondern auf der Ebene der Fakten und des Wahrheitsgehalts."
Und eben nicht auf der Ebene der alternativen Fakten. "Was wirklich passiert, übersteigt unsere Phantasien davon, was passieren könnte", lasen wir in einem Interview der NEUEN ZÜRCHER. "Die Wahrheit ist seltsamer als die Fiktion", meinte der Schriftsteller Salman Rushdie. Das wäre jetzt die passende Überleitung zum Thema Sexismus und all dem, was an neuen und alten Vorwürfen in dieser Woche in den Feuilletons gebracht wurde. Aber wir halten es jetzt mit dem Bildungsbürger und wenden uns unserem entsprechenden Halbgott zu. "Wie geil war Goethe?", fragte die WELT. "Es gibt mehrere Belegstellen, an denen das Verb vögeln eine Rolle spielt", antwortete der Literaturhistoriker Michael Niedermeier: "Die zwei bekanntesten sind aus der nur ein Bruchstück gebliebenen Farce namens ‚Hanswursts Hochzeit‘, in der es von grobianischem Wortschatz nur so wimmelt."

Über kanzlerlose Zeiten

Bleiben wir in der Vergangenheit – es muss ja nicht gleich die Steinzeit sein. "Die kanzlerlose, die schreckliche Zeit?", fragt die WELT am SONNTAG. "Warum es uns ganz gut tut, hin und wieder keinen Herrscher zu haben", erklärt uns da Dirk Schümer mit einem Blick in das mittelalterliche Heilige Römische Reich Deutscher Nation, in dem wir Deutschen gelegentlich auch keinen Herrscher auf dem Thron hatten. "Eine Phase ohne machtvolle Entscheider weist unseren Blick auf funktionierende Selbstverwaltung, auf dezentrale oder wenigstens regionale Entscheidungsstrukturen, auf die schmucklose Schönheit des Palavers und die fruchtbringende Langeweile des Konsenses."
Und damit zum Jubilar des Jahres. "Kaum hat sich Deutschland vom Luther-Jahr erholt, steht das nächste große Gedenken an: Das Jahr 2018 gehört Karl Marx." So wies uns auf das marxistische Geburtsjahr 1818 CHRIST und WELT hin, die Beilage der Wochenzeitung DIE ZEIT. "Am besten feiert man einen großen Mann, indem man ihn nicht allzu sehr in den Mittelpunkt stellt", meinte Wittenbergs Oberbürgermeister Torsten Zugehör, der gerade sein Luther-Jahr hinter sich gebracht hat. "Marx war getragen von vielen. Übrigens hatten er und Luther beide auch ihre finsteren Seiten, die darf man nicht ausblenden."

Der Schnee und die Einsamkeit des Schreibens

Und damit zum Wetter, das wollen wir hier auch nicht ausblenden. "Das literarische Wesen des Schnees ist Verwandlung, ist Transformation", stimmte uns recht lyrisch der Berliner TAGESSPIEGEL auf Sturmtief Friederike und die Folgen ein. "So wie sich das Kind im Schnee als erster Mensch auf Erden fühlt, geht es auch dem Schriftsteller, der mit den Buchstaben das weiße Blatt füllt", schrieb Gunda Bartels: "Schneien ist auch eine Allegorie für Schreiben."
Und wer sich dabei erkältet? In der Tageszeitung TAZ gab der Bariton Günter Papendell Lebenshilfe: "Wenn ich merke, dass Halsschmerzen kommen, fange ich an wahnsinnig viel Tee zu trinken oder warmes Ingwer-Wasser mit Honig."
Gesundheit!
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