Aus den Feuilletons

Über die Maßstäbe bei Attacken auf Statuen

04:15 Minuten
Arbeiter bauen vor einer Demonstration in London einen Schutz um die Statue des Friedensaktivisten Mahatma Gandhi.
Auch die Statue des Friedensaktivisten Mahatma Gandhi in London wurde bei Antirassismusprotesten angegriffen - ein Versehen, schreibt die "FAZ". © imago images / Vudi Xhymshiti
Von Hans von Trotha · 15.06.2020
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Statuen einst geehrter Persönlichkeiten werden im Rassismusstreit neu bewertet und teils physisch angegangen. Die "FAZ" warnt vor der "Verwechslung von Bildern des Bösen mit dem Bösen selbst" - manchmal würde auch nicht das eigentliche Ziel getroffen.
"Gewalttätige junge Männer werden das Sagen haben. Die werden dann die Regeln aufstellen – einschließlich denen in euren Gegenden. Ihr werdet nicht hier leben wollen, wenn das passiert."

Das ist O-Ton Tucker Carlson, Moderator des TV-Senders Fox News, zitiert von Jürgen Schmieder in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, gefolgt von Rachel Maddow vom TV-Konkurrenten MSNBC, "fast gleichzeitig und ähnlich besorgt", wie Schmieder bemerkt: "Die Soldaten sind bewaffnet, sie tragen Schutzausrüstung und Bajonette. Helikopter führten ein Spektakel der Stärke auf – das ist eine Taktik des Militärs bei Schlachten, um Aufständische zu zerstreuen."
Zweimal die gleiche Szene. "Carlson und Maddow wollen den Sorgen, vor allem aber den Ängsten ihrer Zuschauer eine Stimme geben – aber klingt es nicht so, als würden sie diese Sorgen erst in den Köpfen ihrer Zuschauer manifestieren?"

Vorschlag von Banksy?

Schmieder spricht von der "Illusion von Objektivität im Journalismus". Mit Objektivität ist es aber auch sonst nicht so weit her, wie es die Gesellschaft immer schon gern hätte. Etwa wenn sie Statuen aufstellt - wie die des Sklavenhändlers Edward Colston in Bristol, sie wieder umwirft - wie es Colston gerade widerfahren ist - und dann womöglich wieder aufstellt, wie vom Street-Art-Künstler Banksy vorgeschlagen, allerdings "in gekippter Position wie kurz vor dem Umsturz: mit vier durch Masken unkenntlich gemachten Protestlern ebenfalls in Bronze, die das Standbild mit Seilen vom Sockel zerren."
Das kolportiert Stefan Trinks in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Er warnt vor der "Verwechslung von Bildern des Bösen mit dem Bösen selbst".

"Hass auf die alten weisen Männer"

Tatsächlich dürften uns im Umgang mit Straßennamen, Denkmälern aber zum Beispiel auch mit Büchern noch einige Debatten bevorstehen - was absolut zu begrüßen ist und nichts mit dem Agieren von "neuen Jakobinern" zu tun hat, auch nicht mit "fanatische(m) Bildersturm", schon gar nicht sind "die Taliban unter uns", wie der emeritierte Kommunikationswissenschaftler Norbert Bolz in der WELT schwadroniert.
Was Bolz akut erregt, ist, dass "sich der Hass auf die alten weißen Männer nun auf die alten weisen Männer" konzentriere - auf einen, um genau zu sein, aber den Plural braucht es für den müden Kalauer. Es geht um Immanuel Kant und rassistische Passagen in dessen Werk. Mit dieser Diskussion, warnt Bolz, steht "das Schicksal des okzidentalen Rationalismus auf dem Spiel", um es sich dann doch arg einfach zu machen mit der Unterstellung, die Kritiker seien bloß zu faul, Kant zu lesen, was, wie er zugibt, "sehr anstrengend" ist.

Wie sich Maßstäbe verändern

Während diese Unterstellung kaum satisfaktionsfähig ist, gibt Jan Küveler in derselben WELT einiges zum Fall Kant zu bedenken. Er meint, wer fordere, Kant jetzt aufgrund gemeinhin bekannter Passagen zu bannen, habe "den Geist der Aufklärung nicht verstanden". Er wundert sich, dass solche Forderungen "ausgerechnet von Historikern" kommen.
"Ist es nicht eine Binse der Disziplin", fragt er, "Persönlichkeiten der Geschichte nach den Maßstäben ihrer Zeit zu messen und nicht nach unseren? Reicht es nicht, sich von Kants Beispiel eine Lektion in der grundlegenden Ambivalenz der Welt erteilen zu lassen? Noch 1951 behauptete Hannah Arendt, die 'Rassen' Afrikas und Australiens zeugten von einer 'katastrophenhaften Einförmigkeit ihrer Existenz'. Von einem Arendt-Denkmalsturz hat man noch nicht gehört", setzt Küveler nach, "wohl nicht nur, weil sie so häufig als Galionsfigur des Antitotalitarismus herhalten muss, sondern vor allem, weil es von ihr (noch) keine Denkmäler gibt."

Gandhi-Bronze aus Versehen angegriffen?

Stefan Trinks führt in seinem FAZ-Artikel zur Denkmalsturz-Bewegung noch das Beispiel an, vor dem englischen Parlamentsgebäude sei "auch die Statue Mahatma Gandhis tätlich angegriffen worden. Der Grund, warum die Angreifer den Friedensaktivisten in Bronze angingen, sei, dass man ihn mit historisch schuldigen Personen verwechselt habe."
Uns scheinen da, wie gesagt, noch einige sehr grundlegende Debatten bevorzustehen - und zwar nicht zuletzt, damit die wichtigen, hilfreichen und zukunftsweisenden Aspekte der Aktionen dieser Tage nicht pauschal in Misskredit geraten.
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