Aus den Feuilletons

Über das Verschwinden

Ein Helikopter landet auf dem Deck eines chinesischen Marineschiffes, das mit der Suche nach der verschollenen Boeing 777-200 im südchinesischen Meer beauftragt ist.
Ein Helikopter landet auf dem Deck eines chinesischen Marineschiffes, das nach der verschollenen Boeing 777-200 der Malaysia Airlines im südchinesischen Meer sucht - erfolglos. © dpa picture alliance / Stringer
Von Tobias Wenzel · 23.10.2014
Die "Neue Zürcher Zeitung" und die "FAZ" widmen sich der US-amerikanischen Serie "The Leftovers", die vom Umgang mit dem Unerklärlichen handelt, etwa wenn Menschen einfach so verschwinden. In Wien verschwindet laut "NZZ" der Dialekt, in Japan schrumpfen Häuser.
"Eben noch hat […] eine entnervte Mutter ihr Kleinkind im Fond auf dem Kindersitz gesichert",
beschreibt Jürg Zbinden in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG eine Szene aus der nun im deutschen Fernsehen anlaufenden Serie "The Leftovers".
"Als sie mit dem Autoschlüssel hantiert, den Kleinen mit einem 'It’s okay, baby' beschwichtigt und ins Mobiltelefon spricht, während sie einen Schluck aus einer Getränkedose nimmt, verstummt das Plärren plötzlich. Der Kleine hat sich wie von Zauberhand aufgelöst, alles verzweifelte Schreien der Mutter – 'Sam! Sam! Sam!' – bringt ihn nicht zurück."
Zwei Prozent der Menschen verschwinden in einer Kleinstadt auf ähnlich mysteriöse Weise. Eine Sekte entsteht. Deren Mitglieder rauchen
"Kette, tragen ausschließlich Weiß und verweigern das Sprechen, sie kommunizieren nur mittels gekritzelter Kurznotizen",
berichtet Jürg Zbinden weiter über die Serie. Komisch wirke das, gerade, weil in der Sekte nie gelacht werde.
Wie der Mensch die Tragödie verdrängt
Nina Rehfeld hat für die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Damon Lindelof, den Drehbuchautor von "The Leftovers" interviewt. Den Amerikaner interessiert, wie Menschen mit Unerklärlichem umgehen. Auf das mysteriöse Verschwinden der Malaysian-Airlines-Maschine mit Flugnummer 370 angesprochen, sagt Lindelof:
"Ich bin kein Hellseher, aber ich kann Ihnen mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, was mit diesem Flugzeug geschah: Es ist abgestürzt, und alle sind gestorben. Und trotzdem: […] Wir trauen uns doch selbst nicht über den Weg, wenn wir mit etwas abschließen sollen, selbst wenn wir eigentlich wissen, was passiert ist.“
Nicht zufällig seien nach den Anschlägen am 11. September 2001 Verschwörungstheorien aufgekommen:
„In Wirklichkeit klammert sich unser Verstand an jeden Strohhalm, wenn unsere Gefühle mit solchen Tragödien ringen.“
Architekturtrends
"Vergammelnde, tolle, hohe Häuser",
mit diesen Worten zitiert Dankwart Guratzsch in der WELT einen Bauunternehmer. Der Aufmacher im Feuilleton der Zeitung:
„Gegen die Gentrifizierung. Wie Büro- und Fabrikgebäude, Hotels und Kasernen zu Wohnhäusern umgebaut werden“.
Denn Wohnraum ist, besonders im Innern der Großstadt, knapp. Hierzulande allerdings noch lange nicht so knapp wie in japanischen Städten, wo die Grundstücke immer teurer sind als die darauf erbauten Einfamilienhäuser. Das jedenfalls behauptet Ulf Meyer in seinem Artikel für die FAZ. Der neue, notgedrungene Trend in Japans Architektur: Klein ist fein, es lebe das "Bonsai-Haus"! Die "zulässige Mindestbreite für Wohnhäuser" beträgt nur zwei Meter. Meyer formuliert das so:
„Mikrohäuser allerorten, minimalistische Ästhetik oft auf Grundstücken, die nicht größer sind als ein Parkplatz, Schlafzimmer, so groß wie ein Kleiderschrank, Kleiderschränke, so groß wie ein Koffer, und Miniküchen, wie man sie in einem U-Boot erwarten würde.“
Allerdings würden grundsätzlich in Japan, nach den Erfahrungen mit Naturkatastrophen und Kriegen, Häuser
„nicht für die Ewigkeit“ errichtet: „Schon nach nur zwanzig Jahren sind die meisten Wohnhäuser reif für ihren Ersatz. Häuser werden nicht weiterverkauft, sondern abgerissen und neu gebaut.“
Wienerisch in Gefahr
Vom Abriss zum Tod. Zum Tod in Wien:
„Ich kenne keinen Ort auf der Welt, wo g’scheiter mit dem Tod umgegangen wird als hier: Ihn nicht zu verleugnen, sondern ihn gewissermaßen an sein Herz zu ziehen und dabei so zu umarmen, dass er sich nicht mehr rühren kann, der Tod.“
So zitiert Ingeborg Waldinger den Liedtexter Stefan Slupetzky in der NZZ. Es geht um den Wiener Dialekt und dessen Verschwinden. Was der Wiener vom Sterben halte, drücke sich in einem Wort aus, schreibt die Autorin: im Wort "Schlagerl". Damit ist nicht etwa ein Klecks Schlagsahne gemeint, sondern der Schlaganfall.